Über den Wert der pathologischen Methode in der Psychologie usw. 43
strenge, harte oder gar lieblose Behandlung seitens der Eltern das
Kind in jungen Jahren eingeschüchtert worden ist, und daß durch
solche Erfahrungen in frühester Kindheit sein Verhältnis zu den
Menschen und der Welt dauernd bestimmt worden ist. Man bedenke
doch, daß es wirklich nicht gleichgültig ist, in welchem Alter der
Mensch seine Erfahrungen macht, daß die Erfahrungen der Kindheit
schon deshalb für das spätere Leben von richtunggebender Bedeutung
sein müssen, weil dem jungen Kinde keine Erfahrungssumme zur
Verfügung steht, die es seinen einzelnen Erfahrungen entgegenstellen
könnte. Derjenige, der mit Vertrauen auf das Leben und mit Liebe
zu den Menschen in das Leben hinausgetreten ist, dem verschlägt
es nichts, wenn er dann später hier und da die Erfahrung macht,
daß nicht alles in der Welt gut ist. Wer aber schon in frühester
Kindheit statt Liebe und Güte nur Strenge und Lieblosigkeit er-
fahren hat, bei dem kann solche Kindheitserfahrung dazu führen,
daß ihn Mangel an Vertrauen auf das Leben und die Menschen als
ein Grundzug seines Wesens dauernd begleitet, und daß er, so groß
auch sein Verlangen nach Liebe und Güte sein mag, die wirkliche
Lieblosigkeit eines einzelnen Menschen, die er später erfährt, hin-
nimmt als etwas, das so sein müsse, weil diese Erfahrung in der
Richtung jener Einteilung liegt, mit der er in das Leben hinausgetreten
ist. Und so kann es kommen, daß psychische Eigenschaften als an-
gestammte Eigenschaften erscheinen, während sie tatsächlich in der
Kindheit erworben worden sind.
Muß aber die Möglichkeit zugegeben werden, daß durch irgend
welche Einwirkungen auf das kindliche Seelenleben der psychische
Mechanismus derart gestört wird, daß er fortan den Menschen zu
einer bestimmten psychischen Erkrankung gefährdet, so muß auch
das als möglich erscheinen, daß in einem und demselben Seelenleben
in Abhängigkeit von der Art der Einwirkung die Disposition zu
einer anderen psychischen Erkrankung erworben werden kann, also
das, was man den Charakter des Hysterischen oder den Charakter
des Manisch-depressiven nennt. Daß dieser Charakter nicht identisch
ist mit der intimen Persönlichkeit, das ist selbstverständlich. Beide
sind soweit verschieden wie die Persönlichkeiten zweier Geschwister
verschieden sind von dem Familiencharakter, den sie beide gemeinsam
haben, oder die Persönlichkeit des einen Hysterischen verschieden
strenge, harte oder gar lieblose Behandlung seitens der Eltern das
Kind in jungen Jahren eingeschüchtert worden ist, und daß durch
solche Erfahrungen in frühester Kindheit sein Verhältnis zu den
Menschen und der Welt dauernd bestimmt worden ist. Man bedenke
doch, daß es wirklich nicht gleichgültig ist, in welchem Alter der
Mensch seine Erfahrungen macht, daß die Erfahrungen der Kindheit
schon deshalb für das spätere Leben von richtunggebender Bedeutung
sein müssen, weil dem jungen Kinde keine Erfahrungssumme zur
Verfügung steht, die es seinen einzelnen Erfahrungen entgegenstellen
könnte. Derjenige, der mit Vertrauen auf das Leben und mit Liebe
zu den Menschen in das Leben hinausgetreten ist, dem verschlägt
es nichts, wenn er dann später hier und da die Erfahrung macht,
daß nicht alles in der Welt gut ist. Wer aber schon in frühester
Kindheit statt Liebe und Güte nur Strenge und Lieblosigkeit er-
fahren hat, bei dem kann solche Kindheitserfahrung dazu führen,
daß ihn Mangel an Vertrauen auf das Leben und die Menschen als
ein Grundzug seines Wesens dauernd begleitet, und daß er, so groß
auch sein Verlangen nach Liebe und Güte sein mag, die wirkliche
Lieblosigkeit eines einzelnen Menschen, die er später erfährt, hin-
nimmt als etwas, das so sein müsse, weil diese Erfahrung in der
Richtung jener Einteilung liegt, mit der er in das Leben hinausgetreten
ist. Und so kann es kommen, daß psychische Eigenschaften als an-
gestammte Eigenschaften erscheinen, während sie tatsächlich in der
Kindheit erworben worden sind.
Muß aber die Möglichkeit zugegeben werden, daß durch irgend
welche Einwirkungen auf das kindliche Seelenleben der psychische
Mechanismus derart gestört wird, daß er fortan den Menschen zu
einer bestimmten psychischen Erkrankung gefährdet, so muß auch
das als möglich erscheinen, daß in einem und demselben Seelenleben
in Abhängigkeit von der Art der Einwirkung die Disposition zu
einer anderen psychischen Erkrankung erworben werden kann, also
das, was man den Charakter des Hysterischen oder den Charakter
des Manisch-depressiven nennt. Daß dieser Charakter nicht identisch
ist mit der intimen Persönlichkeit, das ist selbstverständlich. Beide
sind soweit verschieden wie die Persönlichkeiten zweier Geschwister
verschieden sind von dem Familiencharakter, den sie beide gemeinsam
haben, oder die Persönlichkeit des einen Hysterischen verschieden