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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0062
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58 Hugo Münsterberg

Diese vier bisher charakterisierten Gebiete werden schließlich
dadurch noch komplizierter, daß ja der Pathologe sowohl wie der
Psychologe heute geneigt ist, das psychologische Geschehen als Be-
gleiterscheinung von Gehirnvorgängen zu betrachten. Das rein psy-
chologische Problem erweitert sich dadurch in ein physiopsycho-
logisches, wenn die Erklärung des Psychischen durch physiologische
Vorgänge im Vordergrund steht, und in ein psychophysiologisches,
wenn die Gehirnvorgänge mit Kücksicht auf ihre psychischen Funk-
tionen studiert werden sollen. Sowohl das eine wie das andere aber
kann nun selbst in der normalen Sphäre untersucht werden und in
den Dienst der Pathologie gestellt werden oder auf der anderen Seite
im Pathologischen beobachtet und dann in den Dienst des Normalen
gestellt werden. Wenn etwa die Gehirnläsionen nach Sprachstörungen
in der Autopsie entdeckt werden, so kann dieser psychophysiologische
Zusammenhang aus pathologischer Sphäre für die Erklärung der
normalen Sprachvorgänge benutzt werden. Wenn andererseits das
physiologische Tierexperiment durch Heizungen der Gehirnrinde die
normale Beziehung zwischen einem physiologischen Zentrum und
einem psychologischen Prozeß wahrscheinlich macht, so kann diese
Erkenntnis verwertet werden, um gewisse pathologische Defekte zu
erklären. Die Hilfe ist also durchaus wechselseitig. Es handelt sich
aber wieder um Untersuchungsinteressen, die sauber getrennt werden
müssen.

Allen diesen Bemühungen gegenüber, die sich ausschließlich mit
den Beziehungen der Psychologie und Pathologie im Dienste der
Theorie und nur indirekt im Dienst der Praxis befassen, kommen
wir nun zu denjenigen wissenschaftlichen Bestrebungen, welche Psy-
chologie und Pathologie verknüpfen, damit direkt praktische Erfolge
erreicht werden können. Prinzipiell wäre es ja nicht ausgeschlossen,
auch hier an eine wechselseitige Beziehung zu denken, also nicht
nur zu verlangen, daß die Psychologie der praktischen Betätigung
im Gebiet der Pathologie dienstbar würde, sondern auch daß die
Pathologie verwendet würde, um praktische Bemühungen im Um-
kreis der Normalpsychologie zu fördern. Es würde sich dann also
um eine angewandte Pathologie für normalpsychologische Zwecke
handeln. Solche liegen bereits da vor, wo das Ziel ist, das geistige
Leben normal zu erhalten und zu entwickeln, also in der Hygiene
 
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