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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Erstes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0108
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104 Max Scheler

den Erscheinungen aber, die uns äußere Wahrnehmung gibt, sind
physikalisch und physiologisch bedingte Erscheinungen oder die
betreffenden so verschieden bedingte Momente an einer Erscheinung
noch indifferent und scheiden sich erst innerhalb des Bereiches der
Erscheinungen äußerer Wahrnehmungen oder der physischen Phäno-
mene. Das nur oder überwiegend physiologisch Bedingte mag »mensch-
lich«, selbst »subjektiv« heißen (z. B. alle physiologisch bedingten Sinnes-
täuschungen), es wird dadurch nicht im mindesten »psychisch«. Es
war ein prinzipieller Irrweg, den zuerst Descartes inaugurierte, von
allen äußeren Erscheinungen zuerst eine physikalische Erklärung zu
fordern und dann erst die stattfindenden physiologischen Vorgänge
soweit heranzuziehen, als sie durch die den Erscheinungen suppo-
nierten physikalischen Reizrealitäten als bewirkt angesehen werden
dürfen. In der Sinnesphysiologie hat zuerst Hering (durch Voraus-
setzung der wohlgeordneten Farbenerscheinungen und nicht ihrer
physikalischen Definitionen), in erweitertem Maße erst Pawlow durch
seine Erweiterung der Physiologie mit diesem Irrweg prinzipiell ge-
brochen 1. Es ist also auch irrig, alle Erscheinungen zunächst als
»psychisch« anzusehen und erst durch einen »Schluß« oder eine »Deu-
tung« in das Gebiet des Physischen überhaupt hineingelangen zu
wollen. In jedem Akte äußerer Wahrnehmung wird die Existenz
des Physischen, einer »Natur« schlechthin evident und nur über die
Stufe der »Relativität« des in dieser Erscheinung im Denken zu er-
fassenden Gegenstandes, d. h. dem Maß seiner Abhängigkeit von den
Eigenschaften des auffassenden Wesens (den generellen und indivi-
duellen, normalen und abnormen) kann dann noch eine weitere Frage
gehen, die man summarisch oft mit »Realität der Außenwelt«
bezeichnet. Nicht aber auf einer zuvor angenommenen »Realität«
»jenseits des Bewußtseins« (wie der unklare Ausdruck lautet) ist die
Außenwelt, sondern auf der evident gegebenen Existenz der Außen-
welt schon als Phänomen ist die weitere Frage, was daran »real«
ist und in welchem Sinne, zu stützen. Es bedarf auch keiner »ge-
setzlichen Verknüpfung« der Inhalte mehrerer Akte, keine besondere

usw. und durch einen Hinblick darauf, was an dem wahrgenommenen Ganzen
hierdurch herausgehoben wird.

1 Eine kurze Belehrung über Pawlow s erweiterte Physiologie gibt sein auf
der Königsberger Naturforscherversammlung gehaltener Vortrag.
 
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