Über Selbsttäuschungen. 107
seine Erlebnisse geht, sondern vermittelt durch einen »inneren Sinn«.
Es ist ein gewaltiger Irrtum, wenn man gemeint hat, seelische Exi-
stenz habe nur: einmal das jeweilig gegenwärtig im Bewußtsein Vor-
gefundene und alles vergangene Erleben sei nur in physiologischen
Dispositionen oder auch in Dispositionen einer metaphysischen Seelen-
substanz und dgl. vorhanden; sodann nur das, wovon das Individuum
so sich im Erleben bewußt sei, daß es dies und was es erlebt. Genau
sinnlos als es wäre, den uns eben gegenwärtigen Ausschnitt der Natur
für allein »wirklich« zu halten und alles andere nur in »Dispositionen«,
»Möglichkeiten der Wahrnehmung«, genau so falsch ist diese Vor-
stellung für die seelische Realität1. Nicht das Erlebnis selbst, son-
dern nur seine Erscheinung für den inneren Sinn ist uns in dem
gegeben, was uns momentan gegenwärtig ist (von aller besonderen
Aufmerksamkeit, Bemerken, Beobachten noch abgesehen). Und so
wenig Sonne, Mond und Sterne von »Gehirn« und »Sinnen« abhängig
sind, so wenig das psychische Erlebnis selbst. In beiden Fällen aber
ist die äußere und innere Sinneserscheinung der Tatsache vom Leibe
und in erster Stelle vom Nervensystem abhängig. Es ist eben ein
prinzipieller Irrtum, der Biologie, Physik und Psychologie gleich-
mäßig schädigt, das Psychische vom Leibe irgendwie abhängiger zu
denken als das Physische. In beiden Gegenstandsbereichen gibt es
vielmehr prinzipiell davon abhängige und davon unabhängige Er-
scheinungen und Erscheinungsmomente ; und in beiden eine ganz be-
stimmte Ordnung unter den auf den Leib und bestimmte Beschaffen-
heiten seiner relativen Gegenstände. Und so sinnlos ein Mensch sich
verhielte, der Physik zu treiben wähnte, wenn er nur äußere sinn-
liche Erscheinungen konstatierte und sie nach Abhängigkeit vom
Leibe erforschte (denn er treibt doch Physiologie der Sinne), so falsch
ist es auch, die Tatsachen und Erscheinungen des »inneren Sinnes«
mit der seelischen Realität gleichzusetzen. Freilich gibt es eine
Physiologie des inneren Sinnes so gut wie eine solche des äußeren
Sinnes. Zu ihr gehört der Hauptinhalt der sog. »Physiologischen
Psychologie«. Aber von Psychologie ist diese Wissenschaft grund-
verschieden, da es sich in ihr um das reale seelische Erleben handelt
und nicht um das, was das Individuum davon in seinem »inneren
i J. St. Mill und andere haben ja auch dieses behauptet.
seine Erlebnisse geht, sondern vermittelt durch einen »inneren Sinn«.
Es ist ein gewaltiger Irrtum, wenn man gemeint hat, seelische Exi-
stenz habe nur: einmal das jeweilig gegenwärtig im Bewußtsein Vor-
gefundene und alles vergangene Erleben sei nur in physiologischen
Dispositionen oder auch in Dispositionen einer metaphysischen Seelen-
substanz und dgl. vorhanden; sodann nur das, wovon das Individuum
so sich im Erleben bewußt sei, daß es dies und was es erlebt. Genau
sinnlos als es wäre, den uns eben gegenwärtigen Ausschnitt der Natur
für allein »wirklich« zu halten und alles andere nur in »Dispositionen«,
»Möglichkeiten der Wahrnehmung«, genau so falsch ist diese Vor-
stellung für die seelische Realität1. Nicht das Erlebnis selbst, son-
dern nur seine Erscheinung für den inneren Sinn ist uns in dem
gegeben, was uns momentan gegenwärtig ist (von aller besonderen
Aufmerksamkeit, Bemerken, Beobachten noch abgesehen). Und so
wenig Sonne, Mond und Sterne von »Gehirn« und »Sinnen« abhängig
sind, so wenig das psychische Erlebnis selbst. In beiden Fällen aber
ist die äußere und innere Sinneserscheinung der Tatsache vom Leibe
und in erster Stelle vom Nervensystem abhängig. Es ist eben ein
prinzipieller Irrtum, der Biologie, Physik und Psychologie gleich-
mäßig schädigt, das Psychische vom Leibe irgendwie abhängiger zu
denken als das Physische. In beiden Gegenstandsbereichen gibt es
vielmehr prinzipiell davon abhängige und davon unabhängige Er-
scheinungen und Erscheinungsmomente ; und in beiden eine ganz be-
stimmte Ordnung unter den auf den Leib und bestimmte Beschaffen-
heiten seiner relativen Gegenstände. Und so sinnlos ein Mensch sich
verhielte, der Physik zu treiben wähnte, wenn er nur äußere sinn-
liche Erscheinungen konstatierte und sie nach Abhängigkeit vom
Leibe erforschte (denn er treibt doch Physiologie der Sinne), so falsch
ist es auch, die Tatsachen und Erscheinungen des »inneren Sinnes«
mit der seelischen Realität gleichzusetzen. Freilich gibt es eine
Physiologie des inneren Sinnes so gut wie eine solche des äußeren
Sinnes. Zu ihr gehört der Hauptinhalt der sog. »Physiologischen
Psychologie«. Aber von Psychologie ist diese Wissenschaft grund-
verschieden, da es sich in ihr um das reale seelische Erleben handelt
und nicht um das, was das Individuum davon in seinem »inneren
i J. St. Mill und andere haben ja auch dieses behauptet.