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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0184
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180 Kuno Mittenzwey

selben behaftet ist. Diese »subjektive Unsicherheit, die Gegen-
erwartung, wird selbst durch eine Summe von Vorstellungen dar-
gestellt, welche wir als »peinliche Kontrastvorstellungen«
bezeichnen wollen«. Die peinlichen Kontrastvorstellungen gegen
den Vorsatz lauten so: es wird mir nicht gelingen, meinen Vorsatz
auszuführen, weil dies und jenes für mich zu schwer ist, ich dafür
ungeeignet bin, auch sind andere daran gescheitert usw. Die pein-
lichen Kontrastvorstellungen gegen die Erwartung, die Gegenerwar-
tung, »beruht auf der Erwägung aller anderen Möglichkeiten, die
mir zustoßen können, bis auf die eine, die ich wünsche«. Ein ge-
sundes Vorstellungsleben unterdrückt und hemmt die Kontrastvor-
stellungen gegen den Vorsatz nach Möglichkeit, »wie es dem kräftigen
Selbstbewußtsein der Gesundheit entspricht, schließt sie von der
Assoziation aus, und dies gelingt häufig in so hohem Grade, daß die
Existenz der Kontrastvorstellungen gegen den Vorsatz meist nicht
evident ist, sondern erst durch die Betrachtung der Neurosen wahr-
scheinlich gemacht wird«. Bei den Neurosen hingegen besteht primär
eine Tendenz zur Verstimmung, zur Herabsetzung des Selbstbewußt-
seins, und damit parallel kommt den Kontrastvorstellungen gegen
den Vorsatz eine Kräftigung zu (Folie de doute, Mißtrauen des Indi-
viduums in die eigene Leistung). An diesem Punkte zeigt sich ein
charakteristischer Unterschied zwischen Neurasthenie und Hysterie.
»Bei der Neurasthenie wird die krankhaft gesteigerte Kontrastvor-
stellung mit der Willensvorstellung zu einem Bewußtseinsakt ver-
knüpft, sie zieht sich von letzterer ab und erzeugt die auffällige
Willensschwäche der Neurastheniker, die ihnen selbst bewußt ist.«
Bei der Hysterie dagegen wird die peinliche Kontrastvorstellung, wie
es der Neigung der Hysterie zur Dissoziation des Bewußtseins ent-
spricht, außer Assoziation mit dem Vorsatz gebracht und besteht,
oft dem Kranken selbst unbewußt, als abgesonderte Vorstellung weiter.
Exquisit hysterisch ist es nun, daß sich diese Kontrastvorstellung,
wenn es zur Ausführung des Vorsatzes kommen soll, mit derselben
Leichtigkeit durch Innervation des Körpers objektiviert wie im nor-
malen Zustande die Willensvorstellung; die Kontrastvorstellung
etabliert sich sozusagen als »Gegenwille«, während sich der
Kranke mit Erstaunen eines entschiedenen, aber machtlosen Willens
bewußt ist. Im Gegensatz zur Willensschwäche der Neurasthenie be-
 
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