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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Zweites und drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0192
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188 O. Külpe

Einem ähnlichen Prozeß unterliegt zweifellos in unseren Tagen
die Psychologie. Die Alten rechneten sie zu ihrer Physik, zu einer
Naturlehre im weitesten Sinne des Wortes. Später wurde sie zu
einem Teil der Anthropologie, der Wissenschaft vom Menschen, als
Descaetes von einer Tierseele absehen zu dürfen glaubte. Aber
schon im achtzehnten Jahrhundert trennen sich eine rationale und
eine empirische Psychologie voneinander, und die letztere, die mit
einer gewissen Vorliebe getriebene Erfahrungsseelenlehre, wird auf
Beobachtung, auf biographische Zeugnisse und andere empirische
Grundlagen gestellt. Seit diese Psychologie sich die naturwissen-
schaftlichen Methoden und Hilfsmittel dienstbar machen konnte, hat
sie einen spezialwissenschaftlichen Charakter und Betrieb angenommen,
der eine Abtrennung von der Philosophie und einer philosophisch
gerichteten Psychologie teils schon herbeigeführt hat, teils mit sich
bringen muß und wird. In Amerika ist die Verselbständigung der
einzelwissenschaftlichen Psychologie vielfach bereits eingetreten.
Wenn es in Deutschland, dem Geburtslande der Psychophysik, der
medizinischen und der physiologischen Psychologie, sowie des In-
stituts für experimentelle Arbeiten, noch nicht geschehen ist, so Hegt
das hauptsächlich daran, daß noch kein rechter Weg gefunden worden
ist, um einer selbständigen Psychologie eine Daseinsberechtigung im
staatlichen System des Unterrichts zu gewähren. Gewiß gibt es auch
Philosophen, die den Kontakt mit der experimentellen Psychologie
nicht verlieren möchten, weil sie hier das fruchtbare Bathos der Er-
fahrung, der unmittelbaren Erforschung der Tatsachen zur Verfügung
haben, woraus immer neue Triebe und Früchte der philosophischen
Betrachtung zuwachsen. Andererseits jedoch beginnt sich auch bei
uns die Beschäftigung mit experimentell-psychologischen Aufgaben
mehr und mehr zur Lebensarbeit Einzelner zu gestalten, die einen
ganzen Menschen erfordert und nicht durch Geschichte der Philo-
sophie, Logik oder Ethik ergänzt zu werden braucht. So treibt der
natürliche Entwicklungsgang von selbst zu der Trennung einer einzel-
wissenschaftlichen und einer philosophischen Psychologie und damit
zu einer Beantwortung der Frage nach der Stellung jener an unseren
Universitäten.

Es ist nicht leicht, die Psychologie zu bestimmten anderen Wissen-
schaften in eine organische Beziehung zu bringen, nicht etwa des-
 
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