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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Zweites und drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0430
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426 Eduard Hirt

finden, nicht aufgefaßt werden, also wie weghalluziniert scheinen.
Diese Annahme dürfte jedoch kaum das Richtige treffen. Vielmehr
ist im Augenblicke, in dem eine Halluzination erlebt wird, die Auf-
merksamkeit dieser offenbar in einem Grade hingegeben, daß das,
was tatsächlich an oder hinter ihrer Stelle sich befindet, einfach
nicht aufgefaßt wird. Es ist ein Vorgang ähnlich dem, den wir
Gesunden tagtäglich ungezählte Male erleben, wenn wir auf belebter
Straße z. B. unsere Aufmerksamkeit bestimmten Objekten zuwenden.
Auch wir werden dann zumeist nicht in der Lage sein anzugeben.
wie die Umgebung und der Hintergrund der betrachteten Objekte
beschaffen war, weil wir beides nicht beachtet und, obwohl es mit
dem Sinnesorgan gesehen worden sein muß, nicht aufgefaßt haben.
Umgekehrt könnte es scheinen, als müsse die Stelle, an der ein
Ding der Außenwelt durch negative Halluzination verschwindet, durch
eine positive ausgefüllt werden, da doch nicht eine Lücke im Ge-
sichtsfeld erscheint. Aber auch diese Annahme läßt sich auf ein-
fache Weise umgehen. Tatsächlich gibt es im Gesichtsfeld infolge
der anatomischen Anordnung der lichtempfindlichen Elemente der
Netzhaut eine große Anzahl kleiner und eine, dem sogenannten blinden
Flecke entsprechende, beträchtliche Lücke, die uns trotzdem in unserer
Gesichtswahrnehmung nicht zum Bewußtsein kommen. Die benach-
barten Eindrücke breiten sich aus und erfüllen dadurch für unsere
Wahrnehmung den Gesichtsraum in stetiger Weise. Dasselbe wird
aber dort der Fall sein, wo infolge einer negativen Halluzination in
unserem Wahrnehmungsraum eine Lücke zu entstehen droht. —

Wenn man immer wieder beobachtet, wie die Mehrzahl der hal-
luzinatorischen Erlebnisse die Kranken erschüttert und welch un-
heimliche Macht sie meist sofort auf ihr Handeln auszuüben vermag,
so muß man zu der Anschauung kommen, daß es affektive Erlebnisse
sind, die den Inhalt der Sinnestäuschungen bestimmen. Danacn
wäre die Halluzination ein vom allgemeinen Bewußtseinszustand er-
strebtes oder gefürchtetes, unmittelbar oder durch Kontrast gefor-
dertes und auf eine zunächst noch unerklärte Weise erreichtes Wabr-
nehmungserlebnis. Die negative Halluzination aber wäre der Austa
einer Wahrnehmung, die normalerweise erfolgen müßte, gegen die
sich aber der Gesamtbewußtseinszustand sträubt.

Diese durchsichtigen und, soviel ich sehe, auch allgemein aner-
 
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