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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Zweites und drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0553
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Stottern als assoziative Aphasie. 549

dem wirklich ausgebildeten, höher assoziierten Stottern gegenüber
kann man nichts wesentliches ausrichten —, so ist auch die Er-
klärung der Fälle rein psychogenen Stotterns nicht zugleich eine
solche derjenigen Fälle, in denen wir einen rein oder vorzugsweise
organisch bedingten Anfang anerkennen müssen. Die Möglichkeit, es
handele sich etwa vorzugsweise sogar um sexuelle Psychotraumen,
kann und darf nicht ernsthaft diskutiert werden — sonst werden, wie
es mir bei analytisch und hypnotisch behandelten Fällen begegnet ist,
die Züge der induzierten Psychose noch obsessiver werden.

Es sei noch kurz erwähnt, daß Schreibkrampf, »Geiger-
krampf« u. a. sich dem ausgebildeten Stottern völlig analog ent-
wickeln. Auch Platzangst, Angst vor öffentlichem Auftreten u. a.
lassen sich auf das gleiche Prinzip zurückführen; doch ist hier nicht
der Ort zu solchen weitergehenden und prinzipiellen Allgemein-
erörterungen.

5. Kapitel.
Kritisch-diagnostische Schlußbemerkungen.

Das sprachliche Störungsbewußtsein, das sich innerhalb einer
Psyche organisiert hat und zum Ausgangspunkt einer Unsumme von
spezifischen Erfahrungen wird, muß bestimmte Existenzbedingungen
besitzen, bestimmte Anpassungen erzeugen, bestimmte Ausfallserschei-
nungen hervorbringen, einen bestimmten ontologischen Wert in sozialer
Hinsicht zugemessen bekommen; mit der letzten Normierung werden
wir gewissermaßen den Namen der Klinik zu nennen haben, deren
Begutachtung es zufällt.

Die Existenzbedingungen des Störungsbewußtseins sind solche Vor-
stellungen und Gefühle, die sowohl aus der Funktionsstörung selbst
fortgesetzt entspringen und erneuert werden, als auch solche, die
durch Kontrast oder durch Ähnlichkeit den abnormen Betrieb unter-
halten helfen. Die Tatsache der Aufmerksamkeitszuwendung, die
sich nicht unterdrücken läßt, sondern einfach vorhanden ist, bildet
den Schluß des circulus vitiosus, in welchem das Störungsbewußt-
sein sich betätigt, indem es in die Funktion eingreift, und so eine
Verstärkung seiner Faktoren wiedererhält.

Damit ist nicht gesagt, daß das Störungsbewußtsein stets rein
sei und unabhängig von der sonstigen Psyche bestehen bleibe. Die
 
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