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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0570
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566 Maximilian Rosenberg

37jähriger Arbeiter in einer Zuckerraffinerie. Jahrelanger Alkoholismus, be-
sonders in den letzten 5 Monaten vor seiner Einbringung, während welcher er
überhaupt nicht mehr arbeitete. Eifersuchtsideen gegen seine Erau. Vomitus
matutinus. Bei der Einbringung ruhig, keine Halluzinationen, orientiert. Keine
deutliche Merkfähigkeitsstörung (There was no noticeable defect in the recent
memory).

Gleich nach seiner Einbringung äußert der Pat. spontan, schon hier ge-
wesen zu sein. — Zirka 6 "Wochen später erklärt er am 11. März 1903 das erste
Mal zur Anstalt gekommen (das reale Datum seiner einzigen Einbringung war
der 11. März 1904) damals 5 Wochen hier geblieben, und dann wieder nach
Hause gegangen zu sein.

Auf die Frage, was der Arzt ihn damals während seines angeblichen Aufent-
haltes gefragt habe: »Dasselbe, was Sie jetzt fragen, ich saß in demselben Raum,
Sie sprachen mit mir, der Tisch und die Uhr waren auch da«.

»Hat sich etwas verändert?« — »Nein«. »Bin ich derselbe?« ■— »Ja«. Ein
anderes Mal sagt Pat. dem ihm gegenüber sitzenden Arzt: >Der Doktor sitzt
jetzt genau an demselben Platz« (vgl. wie bei seinem angeblichen ersten Aufenthalt,
das Examen dreht sich gerade darum). Pat. glaubt weiterhin, von einer »Ge-
sellschaft« in dieses Spital gebracht worden zu sein, die Eifersuchtsideen werden
weiterhin geäußert.

Am 29. April behauptet der Pat. auf einmal, er sei bereits zum dritten
Male in der Anstalt, das erste Mal sei er am 11. März vor 2 Jahren, das zweite
Mal am 11. März vor einem Jahr, das dritte Mal am 11. März d. J. eingebracht
worden.

Am 2. Mai gibt er spontan an, 4 mal hier gewesen zu sein, das erste Mal
vor 5 Jahren, wann das zweite Mal, könne er nicht sagen, das dritte Mal vor
3 Jahren, das vierte Mal diesmal.

Am 9. Mai wieder examiniert, will er sogar ornai in dieser Anstalt ge-
wesen sein, ohne über die Data nährere Angaben zu machen; wichtig erscheint
der Umstand, daß er wieder angibt, alles in der Anstalt sei jetzt genau so wie
die früheren Male, so daß die Vervielfältigung seines jetzigen Erlebnisses in
der Erinnerung bis in die letzten Einzelheiten geht.

Dieser Fall bereitet der Analyse größere Schwierigkeiten, er
markiert sich sichtlich als etwas Besonderes. Während bei den
übrigen Fällen ein Kontinuum zerfiel und die Stücke als etwas
Ganzes auftraten, bleibt hier das Kontinuum unzerstört, der Pat.
ist orientiert, weiß, daß er am 11. März hierher gekommen,
weiß das jeweilige Datum, weiß immer, wo er sich befindet,
die Merkfähigkeit ist nicht gestört, das Gedächtnis intakt,
und trotzdem tritt etwas auf, was ohne Zweifel kein Zerfall, sondern
eine wirkliche Multiplikation eines gegebenen Erinnerungsfaktums
ist. Dieser Fall ist in der Tat etwas Seltsames; — auf die Ana-
lyse muß ich am Ende dieses Kapitels noch eingehend zurück-
kommen.
 
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