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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0670
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666 Kuno Mittenzwey

duktion der Befriedigungserinnerung zur rollen Halluzination ver-
hindert. Diese Hemmung aber wird geleistet von jener zweiten
Instanz oder System, dem Vorbewußten, welches in so umfassender
Weise über die Zulassung unserer psychischen Erregungen zum Be-
wußtsein entscheidet. Jetzt erst vermögen wir den ganzen Umfang
der Kompetenz dieses Systems zu ermessen: seine Leistung ermög-
licht überhaupt erst die »Verwendung der Motilität zu vorher er-
innerten Zwecken«. Ohne dieses zweite System müßten wir im
primären Entwicklungsstadium elend zugrunde gehen, erfüllt von
Halluzinationen, die uns zwar beglücken, aber nicht satt machen
würden. Im Traum aber ergeht sich die Regression wieder in ihrem
alten, vollen Umfange, die Wünsche werden wieder halluzinatorisch
befriedigt, »das Träumen ist ein Stück des überwundenen Kinder-
seelenlebens «.

Wir wollen solche spielerischen Konstruktionen über einen psychi-
schen Paradieszustand nicht weiter verfolgen. Für die Erklärung
der psychischen Entwicklung dürften sie kaum irgendwelche Be-
deutung haben. Von den Erscheinungen des entwickelten psychischen
Lebens aber scheinen mir in jenen Konstruktionen zwei beachtens-
werte psychische Tatsachen enthalten zu sein, welche zugleich die
anschauliche Grundlage für jene Hypothesen abgeben. Die eine ist
der Unterschied in der Haltung des Wünschens und des Wollens;
er läßt sich ganz kurz so bezeichnen, daß man beim Wünschen von
der Vorstellung des Wunschzieles absorbiert ist und dabei verweilt,
auch wohl in der Ausmalung dieses Wunschzieles eine gewisse Be-
friedigung findet, während man beim Wollen von der Vorstellung
des Willenszieles zu der Vorstellung seiner realen Bedingungen zum
Zwecke der Verwirklichung übergeht. Die zweite ist das, was Lipps
die »Tendenz des vollen Erlebens der Vorstellungen« nennt und auch
bereits für die Theorie der Halluzinationen verwendet hat1. Beide
Tatsachen finden sich wie gesagt im entwickelten Seelenleben vor
und sind auch von den Psychologen bereits erfaßt worden. Sie sind
es, die den Freud sehen Konstruktionen einen Schimmer von Wahr-
heitsgehalt verleihen. Aber dadurch, daß Freud sie gar nicht in
ihrer phänomenalen Erscheinungsweise beschreibt, sondern sie nur

1 Lipps, Leitfaden der Psychologie, 2. Aufl., S. 216f.
 
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