Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

DOI Heft:
Viertes Heft
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0703
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Versuch zu einer Darstellung u. Kritik der FREUDschen Neurosenlehre. 699

inhalt nun als der Inhalt oder das Ziel dieser Tendenz oder Strebung
erscheint. Wir wollen mit diesem Satz keine Theorie aufstellen
noch auch über theoretische Schwierigkeiten hinwegtäuschen, wir
wollen damit nur tatsächlich psychische Erlebnisse möglichst einfach
beschreiben. Wir erinnern uns an den Fall, daß wir das >dunkle
Gefühl« haben, daß wir etwas vergessen haben oder etwas haben
sagen wollen, bis uns dann »einfällt«, was wir vergessen haben oder
haben sagen wollen. Obgleich dieses Beispiel nicht das einfachste
ist, ist es doch vielleicht das alltäglichste und genügt für hier, um
zu exemplifizieren, wie eine emotionale Determinante zunächst rein
gefühlsmäßig in uns konstellierend vorhanden sein und erst nach-
träglich sich an einem Vorstellungsinhalt explizieren kann. Denn
die Rolle jenes »dunklen Gefühls« ist ja nicht damit abgetan, daß
wir eben nicht wissen, wdb wir vergessen haben, sondern es be-
schäftigt uns, macht uns nachdenklich, zerstreut, färbt auf unsere
Leistungen ab, kurz ist konstellierend präsent. Ebenso kann eine
emotionale Determinante im Traum konstellierend präsent sein und
auf die Trauminhalte abfärben, und wie jenes dunkle Gefühl erst
nachträglich sich selbst erfüllt, wenn uns »einfällt«, was wir ver-
gessen haben, so kann jene emotionale Determinante nachträglich
durch die Einfalle in der Analyse ihren Vorstellungsinhalt finden.
Doch wollen wir diese Andeutungen nicht weiter verfolgen. Wir
fußen ja nicht auf eigenen Forschungen und haben nicht die Auf-
gabe, fremde Konzeptionen in eine andere Form umzugießen. Wir
deuteten diese abweichende Auffassung nur an, um durch die Mög-
lichkeit einer andersartigen Auffassung klar zu machen, daß die
hypothetische Begriffsfassung der FREUDschen Theorie nicht identisch
ist mit ihrem anschaulichen Gehalt. Und dies wieder bestreben wir
uns eindringlich zu machen, weil nur so zu verstehen ist, wieso die
Lehre so verschiedene Beurteilung finden kann. Die von Fkedd
gefundenen psychischen Tatsachen haben in seinen hypothetischen
Aufstellungen nicht die zwingende und notwendige Gestalt gefunden,
die einen fallen nicht mit den anderen, und wenn man die Hypo-
thesen als unhaltbar aufzeigt, so kommt man noch nicht dem an-
schaulichen Gehalt der Lehre bei, welcher allein ihre werbende
Kraft ausmacht, sondern man muß sich mit diesem noch besonders
auseinandersetzen.

Zeitschrift f. Psthopsjchoiogie. I. 45
 
Annotationen