242 0. Külpe
fähigkeit aufgezeigt worden ist, und daß die großen individuellen
Unterschiede, die das normale Bewußtsein in der Ausbildung an-
schaulicher Vorstellungen zeigt, unseres Wissens keine entsprechen-
den Unterschiede in der Erkennungs- oder Wiedererkennungsfähig-
keit nach sich ziehen.
Die andere Übersieht, von der wir sprachen, stammt von dem
ausgezeichneten Genfer Psychologen Claparède1. Hier finden wir
die Angabe, daß es möglich sei, auf Grund eines Wissens ein Ob-
jekt zu erkennen, ohne seinen Sinneseindruck mit einem Gedächtnis-
bilde zu vergleichen. Hier wird es auch als eine wichtige Aufgabe
der Prüfung des Wiedererkennens bezeichnet, daß man bei Seelen-
blinden untersuchen läßt, ob sie ein Objekt als solches wiedererkennen,
ohne seine Bedeutung zu kennen. Ferner werden die Störungen der
Orientierung feinsinnig analysiert und verschiedene Anforderungen
erhoben, die den psychologisch geschulten und eingestellten Forscher
verraten. Aber auch Claparède ist hier2 noch zu sehr in den Kreis
der Assoziationspsychologie gebannt. Er faßt die Seelenblindheit als
eine Störung in den Assoziationsbahnen und hält an den unbrauch-
baren Begriffen einer primären und sekundären Identifikation fest,
wenn er sie auch mit einem einfacheren Gehalt zu erfüllen scheint
und zwischen einer Erkennung der Sinneseindrücke als solcher und
ihrer Bedeutung mit Recht unterscheidet.
Claparède versteht unter primärer und sekundärer Identifikation
die einfache und die komplizierte Wahrnehmung. Jene ist der Pro-
zeß, in dem der Gegenstand uns als eine Einheit, als ein Ganzes
der Außenwelt gegeben ist, unabhängig von den Vorstellungen oder
Gefühlen, die er erregen kann. Das sinnliche Erkennen, die Herbart-
sche Apperzeption ist auf diesem Boden verwirklicht. Zu der kom-
plizierten Wahrnehmung wird das Verständnis der Bedeutung der
Gegenstände, eine intellektuelle Erkenntnis, ein begriffliches Erfassen
gerechnet. Beide Formen hängen voneinander ab und umfassen
ihrerseits eine Fülle von Stufen. So sehr eine richtige psychologi-
1 Revue generale sur l'agnosie. Année psychologique VI (1900), S. 74 ff.
2 Daß seine Anschauungen sich seitdem geändert haben, zeigt die aus seinem
Institut hervorgegangene interessante Untersuchung von Katzaroff und die daran
anschließende Abhandlung von ihm selbst, die eine Ichbeziehung zur Grundlage
des Wiedererkennens macht (Archives de Psychol. XI, S. Iff.).
fähigkeit aufgezeigt worden ist, und daß die großen individuellen
Unterschiede, die das normale Bewußtsein in der Ausbildung an-
schaulicher Vorstellungen zeigt, unseres Wissens keine entsprechen-
den Unterschiede in der Erkennungs- oder Wiedererkennungsfähig-
keit nach sich ziehen.
Die andere Übersieht, von der wir sprachen, stammt von dem
ausgezeichneten Genfer Psychologen Claparède1. Hier finden wir
die Angabe, daß es möglich sei, auf Grund eines Wissens ein Ob-
jekt zu erkennen, ohne seinen Sinneseindruck mit einem Gedächtnis-
bilde zu vergleichen. Hier wird es auch als eine wichtige Aufgabe
der Prüfung des Wiedererkennens bezeichnet, daß man bei Seelen-
blinden untersuchen läßt, ob sie ein Objekt als solches wiedererkennen,
ohne seine Bedeutung zu kennen. Ferner werden die Störungen der
Orientierung feinsinnig analysiert und verschiedene Anforderungen
erhoben, die den psychologisch geschulten und eingestellten Forscher
verraten. Aber auch Claparède ist hier2 noch zu sehr in den Kreis
der Assoziationspsychologie gebannt. Er faßt die Seelenblindheit als
eine Störung in den Assoziationsbahnen und hält an den unbrauch-
baren Begriffen einer primären und sekundären Identifikation fest,
wenn er sie auch mit einem einfacheren Gehalt zu erfüllen scheint
und zwischen einer Erkennung der Sinneseindrücke als solcher und
ihrer Bedeutung mit Recht unterscheidet.
Claparède versteht unter primärer und sekundärer Identifikation
die einfache und die komplizierte Wahrnehmung. Jene ist der Pro-
zeß, in dem der Gegenstand uns als eine Einheit, als ein Ganzes
der Außenwelt gegeben ist, unabhängig von den Vorstellungen oder
Gefühlen, die er erregen kann. Das sinnliche Erkennen, die Herbart-
sche Apperzeption ist auf diesem Boden verwirklicht. Zu der kom-
plizierten Wahrnehmung wird das Verständnis der Bedeutung der
Gegenstände, eine intellektuelle Erkenntnis, ein begriffliches Erfassen
gerechnet. Beide Formen hängen voneinander ab und umfassen
ihrerseits eine Fülle von Stufen. So sehr eine richtige psychologi-
1 Revue generale sur l'agnosie. Année psychologique VI (1900), S. 74 ff.
2 Daß seine Anschauungen sich seitdem geändert haben, zeigt die aus seinem
Institut hervorgegangene interessante Untersuchung von Katzaroff und die daran
anschließende Abhandlung von ihm selbst, die eine Ichbeziehung zur Grundlage
des Wiedererkennens macht (Archives de Psychol. XI, S. Iff.).