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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0589
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Die Erinnerungstäuschungen der reduplizierenden Paramnesie« usw. 585

Krankengeschichte.

W. H., Bahnarbeiter, 37 Jahre alt. Eingeliefert am 15. Dezember 1911.

Diagnose: Paralysis progressiva.

In den ersten Tagen war Pat. bei Tag ruhig, in der Nacht meist erregt;
steht im Bette und macht sich mit den Matratzen zu schaffen, verkennt die Um-
gebung. Auf Fragen antwortet er ausweichend, oft gar nicht. Beim Examen
beginnt er zu konfabulieren, er habe einen Ausflug gemacht und ähnliches.

Die Frau gibt an, daß Pat. im Frühjahre 1911 vergeßlich und in der Arbeit
gleichgültig wurde; zu Hause gegen die Kinder sehr reizbar. Er klagte über
Kriebeln in den Beinen. Der Frau fiel seine Ungeschicklichkeit auf.

3 "Wochen vor der Einbringung konnte er eines Tages */4 Stunde nicht
sprechen. Die Frau hat einmal abortiert. Die serologische Untersuchung ergab :

Pleocytose (23 Zellen) Nonne Appelt positiv, WAssEKMANNSche Reaktion im
Serum und Liquor positiv.

Am 24. Dezember 1911 hatte Pat. während des Besuches seiner Frau einen
kleinen Anfall, Zuckungen in der rechten Gesichtshälfte, konnte nicht sprechen.

Als Pat. am nächsten Tage früh examiniert wurde, gibt er an, er sei in
Paka1, aber nicht zu Hause, er sei vor einiger Zeit in der Prager Anstalt ge-
wesen.

Ans Fenster geführt, behauptet er, das sei Paka, nur sei es sehr verändert,
da viel gebaut werde. Er sagt: »alles sei ihm so fremd « Den Arzt erkennt
er, meint der sei nach Paka gekommen, werde aber nicht hier bleiben.
Er erinnert sich, daß er in der Prager Anstalt war und dort untersucht wurde.

Wie wir sehen, bleibt in einem, dem Anfalle unmittelbar folgen-
den Stadium die Identifikation innerhalb der Erlebnisreihe »Klinik«
vollständig aus; der Pat. weiß zwar, daß er »vor einiger Zeit in der
Prager Anstalt war«, identifiziert aber seine jetzigen Eindrücke nicht
mit diesen Erinnerungen. Er hält vielmehr, vielleicht auf Grund
mehr zufälliger Verknüpfung, seinen jetzigen Aufenthaltsort für seine
Heimatstadt; empfindet aber diesen Widerspruch selbst, indem er
sagt, »alles sei ihm fremd«. Es handelt sich also keineswegs um
eine »fausse reconnaissance«.

Sein Zustand entspricht am ehesten dem der Topoagnosie Duprés.
Er ist nicht fähig, das Milieu aufzufassen. Einzelne Dinge, Per-
sonen (den Arzt) erkennt er dagegen wieder.

Wir sprachen oben von dieser Störung und erwähnten, daß wir
die Topoagnosie Duprés für eine gewissermaßen schwerere Form der
Desorientiertheit halten, als es die reduplizierende Paramnesie ist.
»Das Band« — der Kontinuität etwa — ist bei jener »aufgelöst«,

1 Sein Wohnort.
 
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