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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig, 1.1912

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2776#0701
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Versuch zu einer Darstellung u. Kritik der FREt'Dschen Neurosenlehre. 697

Auffassungen noch mit einem Beispiel zu illustrieren. Nehmen wir
ein einfachstes Beispiel, den Traum »vom brennenden Kinde«. Der
Vater träumt, als im Nebenzimmer, wo die Leiche seines Kindes
aufgebahrt ist, eine Kerze umgefallen ist und nun der Lichtschein
durch die offene Tür zu ihm dringt, das Kind stehe an seinem Bett,
fasse ihn am Arm und spreche : Vater, siehst du denn nicht, daß ich
verbrenne? — worauf er dann erwacht und die Leiche tatsächlich bren-
nend findet. Dieser Traum ist nach Feeuü außer durch den Wunsch
zu schlafen durch den Wunsch zu erklären, das Kind lebend zu
sehen, dessen Erfüllung der Traum bringt. »Dieser Wunscherfüllung
zuliebe hat der Vater seinen Schlaf um einen Moment verlängert.«
Wäre er gleich erwacht, »so hätte er gleichsam das Leben des
Kindes um diesen einen Moment verkürzt« *. Eine eigentümliche
Erklärung und ein eigentümlicher Wunsch. Denn jeder Vater möchte
wohl sein Kind schon lieber tot als lebendig brennend sehen. Nach
unserer Auffassung wäre dieser Traum etwa so zu verstehen: Nach
dem Todesfall will es der Vater zuerst »noch nicht wahr haben,«
daß sein Kind tot ist, in »unbewachten« Augenblicken läuft sein
Denken immer wieder dahin zurück, wie es doch war, als das Kind
noch lebte. Das Denken im Traum ähnelt ungefähr diesem »un-
bewachten« Denken. Sobald nun der Lichtschein aus dem Zimmer
dringt und die Bewußtseinstätigkeit halb weckt, erregt er sofort jene
Gefühlskonstellation, welche als die stärkstbetonte die nächst bereit-
liegende ist, und sobald nun aus der halbwachen Wahrnehmung des
Lichtscheins die Erkenntnis dämmert, es könnte im Leichenzimmer
etwas brennen, wird diese sofort in die Konstellation eingetragen,
daß das Kind lebt, woraus dann der Trauminhalt entsteht, daß das
lebende Kind brennt. Die Sache ist also nicht so, daß der Vater
»jener Wunscherfüllung zuliebe« träumt und »seinen Schlaf ver-
längert«, sondern vor dem vollen Erwachen kann die Wahrnehmung
des Lichtscheins überhaupt nur im Kahmen jener Gefühlskonstellation
verarbeitet werden. Zugleich zeigt dieses Beispiel sehr schön, wie
der Traum tatsächlich eine emotionale Konstellation enthüllt. Denn
man wird sofort zustimmen, daß der Vater den Traum kaum in
dieser Gestalt gehabt hätte, wenn ihm nicht der Tod des Kindes

i a. a. 0. S. 314.
 
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