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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Zweites Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0141
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Zur Phänomenologie n. Morphologie d. path. Wahrnehmungstäuschungen. 137

aus irgend welchen inneren Ursachen nur zu wiederholen, dann wird
das noch einmal gegeben, was in der Wahrnehmung gegeben war,
nur »abgeblaßter«, »weniger lebhaft«. Daher die Rede von der Re-
produktion und von dem Intensitätsunterschied von Wahrnehmung
und Vorstellung und daher auch im letzten Grunde der Versuch,
die Halluzinationen aus einer gesteigerten Reizbarkeit der nervösen
Substanz zu erklären, daher aber auch die Blindheit gegen das, was
in der Erfahrung gegeben ist.

Schon wenn Johaitoes Müllek behauptet, daß, wenn äußere Ur-
sachen auf unsere Sinnesorgane einwirken, wir nichts empfinden, was
wir nicht auch ohne solche äußere Ursachen empfinden könnten, so
kann sich dieser Satz doch wirklich nicht auf die Erfahrung berufen;
die Erfahrung widerspricht ihm. Gewiß kann man bei Augenschluß
allerlei farbige Phänomene sehen, und es ist richtig, daß bei mecha-
nischer oder elektrischer Reizung der peripheren Sinnesorgane oder
der zentralen Sinnesflächen allerlei optische, akustische und andere
Phänomene auftreten. Aber reichen denn solche Beobachtungen aus,
um jenen Satz empirisch zu erhärten? Sind jene Phänomene wirk-
lich dem Material vergleichbar, auf dem sich die wahrgenommene
Welt aufbaut? Es sind gehirnbedingte Phänomene, von denen nichts
hinüberleitet zu dem, was beim Sehen einer Farbe oder Hören eines
Tones gegeben ist. Und es läßt sich doch wirklich nicht sagen, daß
der Blindgeborene die volle Anschauung des Lichtes und der Farben
haben müsse, daß sein Sinn um nichts ärmer sein würde als der des
Sehenden, wenn nur die Nervenhaut und der Sehnerv unversehrt
sind. Jedes Zeugnis eines operierten Blindgeborenen widerlegt diesen
Satz. Es ist auch nicht richtig, daß ein Mensch, der in der ein-
förmigsten Natur geboren wurde, die aller Farbenpracht entbehrte
und ihm niemals die Eindrücke der Farben von außen zuführen
konnte, dasselbe empfinden würde wie der, der in einer farbenreichen
Landschaft steht, weil die Farben seinen Nerven eingeboren seien.
Nein, nichts von Farben würde er sehen, er würde die Natur so
sehen, wie sie wirklich ist, grau und farblos, da wo sie grau und
farblos ist, farbig da, wo sie farbig ist. Im ganzen Umkreis der
Erfahrung gibt es keine einzige Tatsache, die jenen Satz bekräftigen
könnte, vielmehr widerspricht ihm die Erfahrung auf Schritt und
Tritt. Es ist ja auch einleuchtend, daß jener Satz deduziert ist aus

Zeitschrift f. Patbopsychologie. II. 10
 
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