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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0633
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Versuch zu einer Darstellung u. Kritik der FüEUDschen Neurosenlehre. 629

Weg: können diese Charakterzüge unmöglich ihrem Inhalt nach das
Ziel des männlichen Protestes sein, so geht es auf dem Umweg über
die Umgebung, auf die sie berechnet sind. »Der Endzweck bleibt
immer die Beherrschung anderer, die als männlicher Triumph emp-
funden und gewertet wird.« (Es erübrigt sich wohl, ausdrücklich
auf das Groteske hinzuweisen, mit welcher Absolutheit das Weib-
liche als das schlechthin Minderwertige hingestellt wird.) — Dieser
Mangel an kausalen Aufschlüssen und der ganze Intellektualismus der
Theorie wird auch fühlbar, wenn man nach der Therapie der Neu-
rosen fragt. Adlek hat über die Therapie besondere Aufstellungen
nicht gegeben; vermutlich soll sie geschehen, indem die neurotische
Fiktion rein intellektuell bewußt gemacht wird. — Was endlich die
Zurückführung des Minderwertigkeitsgefühls auf eine Organminder-
wertigkeit anbetrifft, so werden die zureichenden Bedingungen dafür
nicht angegeben, daß die Organminderwertigkeit zu einem allgemeinen
Persönlichkeitsminderwertigkeitsgefühl sich ausbreitet. Jedem werden
Personen bekannt sein, die bei der Minderwertigkeit eines Organes,
etwa eines Sinnesorganes, nicht daran denken, sich dadurch in ihrem
Persönlichkeitsgefühl grundstimmend beeinflussen zu lassen, sondern
sich demgegenüber ihrer seelischen Gesundheit erfreuen. Das Ke-
gister von Organen, das der Psyche für die Wechselwirkung mit der
Außenwelt zur Verfügung steht, ist glücklicherweise nicht so be-
schränkt, daß durch die Minderwertigkeit eines oder einiger die
Psyche selbst verändert werden müßte. Übt darum die Minderwertig-
keit eines Organes die Wirkung aus, daß die ganze Persönlichkeit
dadurch in ihrem Wertgefühl getroffen und das neurotische Wechsel-
spiel von Unterschätzung und illusionärer Überschätzung wachgerufen
wird, so muß wohl noch eine besondere Disposition des allgemeinen
Persönlichkeitwertgefühls zu der partiellen Organminderwertigkeit hin-
zukommen. Es fragt sich aber, ob in dieser besonderen Disposition
etwas anderes zu finden wäre, als eben — die neurotische Konstitution.
Mit diesen Bemerkungen soll die prinzipielle Bedeutung der Lei-
stung nicht verkannt sein, daß eben die teleologische Betrachtungs-
weise folgerecht und mit entschiedener Großzügigkeit durchgeführt
worden ist. Dieser Unterstellung des neurotischen Geschehens unter
die Kategorie des Zwecks kommt für einen gewissen Umfang Beal-
bedeutung zu, da ja das psychische Geschehen selbst in gewissem
 
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