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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, Ergänzungsband 1.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.2775#0182
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178 Ferdinand Winkler

und den — wenn auch selteneren — Mitempfindungen im Bereiche
des Gerach- und Geschmacksinns beobachten wir in ausgedehnter
Weise motorische Beize der mannigfachsten Art, von den einfachen
taktmäßigen Mitbewegungen der Hände und der Füße bis zu den
Visionen, welche Heinrich Heine1 bei Paganini s Flötenspiel und
bei dem Anhören von BERLiozschen Werken erlebt hat; Baudelaire2
meint sehr richtig, daß die Musik fast durchgehends motorische Vor-
stellungen anregt, und Dauriac3 nennt sehr hübsch die Musik eine
mit Ton bekleidete Bewegung; Havelock Ellis4 berichtet übersieh
selbst und über eine Beihe von Komponisten, wie sich hohe Töne mit
aufsteigender Körperbewegung und tiefe Töne mit absteigender Be-
wegung kombinieren; besonders weist er auf das »ungeheure Aufge-
bot motorischer Bildgestaltung* hin, welches sich bei Johann
Sebastian Bach findet. Zu diesen Weiterleitungen des vom Ohre
kommenden Bewegungsreizes zu rein motorischen Neuronen kommt
noch die allgemein bekannte Erscheinung der drüsenmotorischen
Funktion der Musik, die sich besonders in der Tränensekretion äußert,
und Wallascheks5 Ausführungen über den vasomotorischen Effekt
der Musik lassen sich wohl als allgemein gültig ansehen.

Die Rindenneurone, welche die Reizleitung von den Gehörzellen
aufnehmen, geben also diesen Reiz nach den verschiedensten Seiten
ab, nach der motorischen, der vasomotorischen, optischen oder einer
anderen sensoriellen Seite hin; von dem Grade der Erschütterung
hängt auch das Resultat ab; verschiedene Tonhöhen erschüttern in
verschiedenem Grade.

Nun wird auch die bekannte Tatsache, daß wir besonders schrille
Töne und Geräusche schmerzhaft empfinden, nicht mehr durch einen
gleichzeitigen Trigeminusreiz erklärt werden müssen, sondern der
peripherläufige Reiz trifft eben schmerzempfindende Nervenendigungen;
so erklärt sich auch der Bericht von Billroth6, daß er in einem
Konzert bei einem Falschsingen einer Sängerin plötzlich Zahn-
schmerzen bekam.

1 Florentinische Nächte und musikalische Berichte ans Paris.

2 L'art romantique. Eichard Wagner et Tannhäuser.

3 Kev. Philosoph. Nov. 1902.

* Die Welt der Träume, übersetzt von Kurella. 1911, pg. 155.

5 Psychologie und Pathologie der Vorstellung. Leipzig 1905,

6 Wer ist musikalisch? Wien 1894.
 
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