Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, Ergänzungsband 1.1914

DOI issue:
Aufsätze
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.2775#0142
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
138 Wilhelm Stekel

infantilen Wurzel (Erinnerung an ein Sexualobjekt der Jugend!) noch
eine andere Motivierung haben. Diesen entstellten Frauen gegenüber
empfindet man Mitleid. Sie werden nicht als vollwertig genommen.
Sie sind vom Schicksal gezeichnet nnd schon entwertet. Ein von
Meb2bach beobachteter Fall, von dem ich später sprechen werde,
bestätigt diese Annahme. Das Persbnlichkeitsgefühl des Mannes, das
bei der sexuellen Werbung nnd Erobernng eine so große Rolle spielt,
kommt diesen Krüppeln gegenüber eher zur Geltung. Solchen halben
Frauen gegenüber kann sich der Mann eben als ganzer Mann fühlen.
Das erklärt uns auch die gute Potenz mancher Männer bei Dirnen
und ihr Versagen bei anständigen Frauen. Solche Männer über-
schätzen das anständige Weib und fühlen sich ihm gegenüber unter-
legen, was eine sexuelle Aggression in vielen Fällen ausschließt, weil
Potenz und Überlegenheitsgefühl innig zusammenhängen. In solchen
Fällen läßt sich der Mann zum entwerteten, »gezeichneten« Weibe
herab, er beglückt sie mit seiner Gunst, während er sich sonst be-
glücken läßt.

Immer wieder werden wir bei den beschriebenen Fällen von Feti-
schismus betont finden, daß der davon Befallene eigentlich keusch
gelebt habe. So sagt Leppmann von seinem Zopffetischisten: »Nie-
mals zeigte er eine Spur von Sinnlichkeit. Gespräche über
Mädchen, bzw. über geschlechtliehe Dinge interessierten ihn gar nicht.
Er trat auf Wunsch eines Freundes in einen Studentenverein ein, der
das Keuschheitsprinzip zur Bedingung der Mitgliedschaft machte. Er
erklärte, daß es ihm nicht schwer falle, ein derartiges Versprechen
zu geben, c Daß es sich aber nur um verdrängte Sexualität ge-
handelt hat, beweist der Umstand, daß er einmal, gegen seine son-
stige Gewohnheit berauscht, auf die Wirtin zuspringt und sie bei den
Haaren zaust. Solche die Hemmungen aufhebenden und den Cha-
rakter scheinbar verändernde Wirkungen des Alkohols kann man in
Sexualibus oft beobachten und solchen Personen ist die Abstinenz
geradezu notwendig nnd hütet sie vor Entgleisungen. (Der Fall zitiert
nach Merzbach: Die krankhaften Erscheinungen des Geschlechts-
sinnes. Alfred Holder, 1909.)

Dieser Kranke gibt an: »Eine sinnliche Kegung zu Personen
anderen Geschlechtes habe er nie empfunden. Es sei ihm das recht
klar geworden, als in dem Verein Ethos über die Schwierigkeiten
 
Annotationen