Zur Psychologie des kindlichen Eigensinnes. 87
wollte, die Annahme einer einfachen »Hemmung« aus Angst erkläre
alles, so könnte das in keiner Weise befriedigen. Gewöhnlich pflegt
die Furcht vor Strafe gerade eins der Hauptmittel zu sein, durch das
die Kinder zur Befolgung der elterlichen Wünsche veranlaßt werden.
Von einem lähmenden Schrecken war absolut keine Rede — das
wird, wie ich hoffe, auch die Schilderung der Szene jedem vermitteln
können. Auch daß Otto seinen Vater zum besten hätte halten wollen,
kommt hier nicht in Frage, man konnte manchmal deutlich sehen,
daß er auch Angst hatte.
Der Ausdruck »gehemmt« gibt dagegen recht gut den Eindruck
wieder: man sah deutlich, Otto wollte und wollte auch nicht; irgend-
etwas hielt ihn in der Situation fest, die zugleich für ihn doch sehr
peinlich war, und aus der er gern herausgekommen wäre.
Diese Szene, die ich absichtlich so ausführlich geschildert habe,
veranlaßte den Vater, mir das Kind zur Analyse zu bringen, die ich
dann im Verlauf der nächsten zwei Jahre durchführte und die mit un-
gefähr 12 Sitzungen, die immer nur aus Anlaß besonderer Vorkomm-
nisse (wie pavor nocturnus etc.) stattfanden und die sich gruppenweise
auf die ganze Zeit verteilten, ungefähr 20 Stunden in Anspruch nahm.
Diese Analyse soll nächstens in extenso im Jahrbuch für psycho-
analytische Forschung veröffentlicht werden, und außerdem habe ich
an anderer Stelle (in einer Arbeit über Analerotik, Angstlust und
Eigensinn1) das hierher Gehörige eingehender behandelt, so daß ich
hier auf eine vollständige Begründung meiner Auffassung dieses und
ähnlicher Fälle verzichten und mich auf die Wiedergabe des Gedanken-
ganges beschränken kann.
Der kleine Otto, das Kind gesunder Eltern, doch nicht ohne »ner-
vöse Belastung« und selbst nie ernstlich krank, war von früh auf ein
eigensinniges Kind. Als er einmal im Alter von 2 Jahren und
9 Monaten dem heiligen Nikolaus ein Verschen aufsagen sollte, das
ihm sein Fräulein beigebracht hatte, war er weder durch gütliches
Zureden, nach durch die scheinbar energische Züchtigung, die er
schließlich von Seiten dieses Funktionärs erfuhr, zu bewegen, auch
nur die Worte »lieber Nikolaus« zn sagen. Als ihn nachher sein Vater
vornahm und ausfragte, warum er denn nicht gefolgt habe, antwortete
er diesem wörtlich: »weil ich nicht wollen will«.
1 In der Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse, Maiheft 1914.
wollte, die Annahme einer einfachen »Hemmung« aus Angst erkläre
alles, so könnte das in keiner Weise befriedigen. Gewöhnlich pflegt
die Furcht vor Strafe gerade eins der Hauptmittel zu sein, durch das
die Kinder zur Befolgung der elterlichen Wünsche veranlaßt werden.
Von einem lähmenden Schrecken war absolut keine Rede — das
wird, wie ich hoffe, auch die Schilderung der Szene jedem vermitteln
können. Auch daß Otto seinen Vater zum besten hätte halten wollen,
kommt hier nicht in Frage, man konnte manchmal deutlich sehen,
daß er auch Angst hatte.
Der Ausdruck »gehemmt« gibt dagegen recht gut den Eindruck
wieder: man sah deutlich, Otto wollte und wollte auch nicht; irgend-
etwas hielt ihn in der Situation fest, die zugleich für ihn doch sehr
peinlich war, und aus der er gern herausgekommen wäre.
Diese Szene, die ich absichtlich so ausführlich geschildert habe,
veranlaßte den Vater, mir das Kind zur Analyse zu bringen, die ich
dann im Verlauf der nächsten zwei Jahre durchführte und die mit un-
gefähr 12 Sitzungen, die immer nur aus Anlaß besonderer Vorkomm-
nisse (wie pavor nocturnus etc.) stattfanden und die sich gruppenweise
auf die ganze Zeit verteilten, ungefähr 20 Stunden in Anspruch nahm.
Diese Analyse soll nächstens in extenso im Jahrbuch für psycho-
analytische Forschung veröffentlicht werden, und außerdem habe ich
an anderer Stelle (in einer Arbeit über Analerotik, Angstlust und
Eigensinn1) das hierher Gehörige eingehender behandelt, so daß ich
hier auf eine vollständige Begründung meiner Auffassung dieses und
ähnlicher Fälle verzichten und mich auf die Wiedergabe des Gedanken-
ganges beschränken kann.
Der kleine Otto, das Kind gesunder Eltern, doch nicht ohne »ner-
vöse Belastung« und selbst nie ernstlich krank, war von früh auf ein
eigensinniges Kind. Als er einmal im Alter von 2 Jahren und
9 Monaten dem heiligen Nikolaus ein Verschen aufsagen sollte, das
ihm sein Fräulein beigebracht hatte, war er weder durch gütliches
Zureden, nach durch die scheinbar energische Züchtigung, die er
schließlich von Seiten dieses Funktionärs erfuhr, zu bewegen, auch
nur die Worte »lieber Nikolaus« zn sagen. Als ihn nachher sein Vater
vornahm und ausfragte, warum er denn nicht gefolgt habe, antwortete
er diesem wörtlich: »weil ich nicht wollen will«.
1 In der Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse, Maiheft 1914.