Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Peek, Sabine
Cottas Morgenblatt für gebildete Stände: seine Entwicklung und Bedeutung unter der Redaktion der Brüder Hauff (1827-1865) — Frankfurt (am Main): Buchhändler-Vereinigung, 1965

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.53628#0063
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
PEEK: COTTAS MORGENBLATT FÜR GEBILDETE STÄNDE

an unter folgenden von Selbstironie diktierten Bedingungen:
erstens, darauf zu verzichten, »durch Ihre Leidenschaft die
unsere zu reizen« und zweitens über die ganze Sache gegen
jedermann Stillschweigen zu bewahren.
Dies, meinte er abschließend, sei sein letzter Vorschlag zur
Güte. GingePaniel nicht darauf ein, so sei er »erbötig«, Paniels,
Rothes und seine eigenen Briefe, voraus die Artikel von
Engels, auf eigene Kosten drucken zu lassen.
Dieser erste Briefentwurf enthielt alles, was Hauff seinem
Gegner als Mensch zu sagen hatte. Er war schonungslos, aber
rechtschaffen und voll Mitgefühl. Großmütig bot darin
Hauff dem Angegriffenen eigene Schwächen und Angriffs-
punkte dar und ließ also gerade eine Perspektive vermissen,
die zu besitzen er sich vorher gerühmt hatte: die der Vorsicht.
Dies war wohl der Grund, weshalb er diese Fassung dann
doch nicht abschickte. Der zweite Entwurf des Briefes sah
grundlegend anders aus. Alle Sicherungen des Mißtrauens
Waren eingebaut. Vorher Eingestandenes wurde gestrichen,
aber auch auf direkte persönliche Ausfälle auf Paniel verzich-
tet. Zwar kam auch in der zweiten Fassung das rhetorische
Mittel zur Anwendung, die Worte des Gegners gegen ihn
selber zu wenden, aber es waren nicht die Urteile Paniels
über sich selbst, sondern über andere, die Hauff als Waffe be-
nutzte. So hielt er ihm eine durch baren Hohn vernichtende
Rede, in welcher Paniel nur in der dritten Person vorkam
und bei welcher der passionierte Shakespeare-Verehrer sehr
offensichtlich die berühmte Anklagerede des Mark Anton
als Vorlage benutzt hatte.
Dies endlich wirkte. Paniel erfüllte ein Minimum der an
ihn gestellten Bedingungen. Und wenn ihm auch jetzt noch
kein Wort christlicher Reue oder gesellschaftlichen Bedau-
erns über die Lippen kam, so Keß er sich doch dazu herab,
einzugestehen, es sei sein »inniger Wunsch«, daß die Sache
nicht vor die Öffentlichkeit komme und Hauff sich zufrie-
den gebe. Auch Rothe, der von einem bestimmten Zeit-
punkt an Hauffs Zuschriften entweder ignoriert oder zu-
rückgeschickt hatte, muß auf die Mitteilung hin, die Buch-
handlung sei informiert und alles zur Bekanntmachung be-
reit, für den Fall, daß er nicht binnen acht Tagen die bewußte
Entschuldigung liefere, zur Besinnung gekommen sein,
denn die Akte »Paniel-Rothe« wurde »versiegelt«.
Die zähe, geduldige und verschwiegene Weise, in welcher
Hauff zwei Jahre lang ein Ziel verfolgte, das in nichts ande-
rem bestand, als einer menschlich korrupten Geistlichkeit
eine moralische Lektion zu erteilen, läßt sich mit heutigen
Kategorien nicht messen. Einmal ist sie ein Ausdruck
größerer Muße, als einem Zeitschriftenredakteur des 20. Jahr-
hunderts je zur Verfügung stände. Zum anderen aber ver-
steht sie sich aus den Grundsätzen eines Zeitalters, in welchem
der Humanitätsgedanke noch einigen Einfluß auf das öffent-
liche und private Leben besaß.

In den Jahren 1849-1865: Allgemeines Zeitschriftensterben -
das Feuilleton - Reform des Morgenblattes - Umsiedlungs-
pläne - Hauffs Hang zur Wissenschaft - sein Tod - Interes-
senten an der Vakanz - Ende des Morgenblattes
Hauffs optimistische Zukunftsprognose für das Jahr 1849366,
daß zu den Dingen, die man »trotz der eisenfresseri-
schen Miene des verflossenen Jahrs« bestehen lassen müsse,
auch zwei gehören werden, »die man seit einiger Zeit sehr
vornehm über die Achsel angesehen« habe: die deutschen
Kronen und »die Institute, die man, echt deutsch, belletristi-
sche Blätter nennt«, erwies sich nur für die deutschen Kronen
als richtig. Denn schon am Ende des gleichen Jahres hieß* es
in einer Korrespondenz aus Berlin:
»Bis auf unsere graue ehrwürdige Tante Voß und Onkel
Spiker haben nun alle unsere größeren politischen Zeitungen
Feuilletons angelegt. Sie, die reichen Leute, schämen sich
nicht, mit der Erbschaft der Armen ihre jeweiligen Blößen
zu decken. Wie viele Journale mußten eingehen, um ein
Feuilleton möglich zu machen! Sie starben hm, die kleinen
freundlichen unzähligen Unterhaltungsblätter, wie die
Schwärme harmloser und stechender Insekten, die warme
Tage aus Sumpf und Busch hervorgelockt, erstarren und
verschwinden, wenn der erste rauhe Nord bläst.«367
Zu Hunderten hatten die »belletristischen Zeitschriften«
vor einer Neuerscheinung368 der Nachrevolutionszeit kapi-
tuliert: der modernen politischen Tageszeitung mit Feuille-
ton369. Dem seit Anfang der dreißiger Jahre in den breiteren
Volksschichten immer größer werdenden Neuigkeitenhun-
ger war das Feuilleton der politischen Tageszeitung weit bes-
ser gewachsen als das ehemalige Unterhaltungsblatt, welches
selbst dann, wenn es wie das Cotta’sehe Morgenblatt täglich
erschien, zu gediegen und schwerfällig war, um das Neueste
vom Tage zu bieten. Auch in der Cotta’schen Zeitschriften-
hierarchie, in welcher die Zeitungen und Zeitschriften auf-
einander abgestimmt waren, sollte die Beilage der »Allge-
meinen Zeitung« von Jahr zu Jahr an Bedeutung gewinnen.
Sie grub dem Morgenblatt langsam das Wasser ab. Wie eine
Äußerung Hauffs gegen Hermann Kurz erkennen läßt, hatte
eine Rivalität zwischen dem Morgenblatt und der »Allge-
meinen Zeitung« schon lange vor 1848 bestanden, und zwar
schon damals auf Kosten des Morgenblattes:
»Ihre Äußerungen wecken aber in mir ein altes bitteres
Gefühl. Die Allg. Zeitung ist natürlich das Cottasche
Schooßkind, dem alles von Talenten und Kräften zuge-
Mbl. 1849, Nr. 5: Zum Antritt des Jahres 1849. An die Leser.
3«? Mbl. 1849, Nr. 299, Willibald Alexis.
£>je Verbindung der Literatur mit der Tagespresse war umwälzend.
1836 wurde in Frankreich mit der Zeitung »La Presse« diese neue Gattung
begründet, die sich jedoch erst nach der Revolution in vollem Umfange
durchzusetzen begann.
309 In der bei Wilmont Haacke abgedruckten »Zeittafel«, a.a.O. S. 269,
wird das Ende der literarisch-kulturellen Zeitschrift mit 1848 datiert.

1003

Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel — Frankfurter Ausgabe — Nr. 42, 28. Mai 1965
 
Annotationen