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Petersen, Eugen
Die Attische Tragödie als Bild- und Bühnenkunst — Bonn: Cohen, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.45631#0138
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Widerstreit

gebannt zu werden, von wo sie die Phantasie hervorgerufen hatte.
Der Wendepunkt im Agamemnon ist der Stimmungsumschlag von
der Freude des Sieges und Wiedersehens zur tragischen Furcht des
Untergangs. Da tönt ihnen drinnen der Erinys Klage. Kassandra
weckt die Erinnerung an die Greuel des Königshauses, an die Erinys,
den Dämon, der nun mehr und mehr sein Denken beherrscht, ihm
jetzt auch über Kassandra Macht zu haben scheint, 1174, ganz in
der bekannten urtümlichen Vorstellung, auf sein Opfer springend.
Dem ahnungslosen König folgt, den Tod vor Augen, die Seherin in
das Haus des Verderbens, und nach dem Aufruhr, der, so rasch er
anschwoll, auch abflaute, sehn die Greise über den Leichen die
blutbespritzte Mörderin, das schreckliche Weib und hören sie der
Tat, als einer gerechten, gar sich rühmen. Klytämestras Hinweis
auf die Opferung Iphigenias, ihre Beschwörung der Rachegeister
ihres Kindes und die Schmähung der Ehebrecherin über ihres Gatten
Buhlen mit Chryseis und ihresgleichen, zuletzt mit Kassandra,
trifft den Chor an schmerzlichster Stelle: er kann seinen Herrn
gegen solche Vorwürfe, deren einen er ja selber anerkannt hatte, 218,
nicht in Schutz nehmen; er kann nur seine Güte preisen, im Gegen-
satz zu Aigisths schon lange mit Unwillen getragener Tyrannis, 1365,
vgl. mit 1425, 1618 und 1633. Allmählich hat sich ihm der Dämon
in der trotzigen Mörderin selbst verkörpert. Anfangs ist er ihm nur
einer, in beiden Schwestern gewaltig 1467 ; dann bleibt die Idee des
Unholds an der so grässlich vor ihm Stehenden haften 1472, und
refrainartig wiederholt er die Klage über Helena als erste Urheberin
des Unheils. Da greift Klytämestra das Wort vom Dämon auf:
vorher hatte sie die Rächerinnen ihrer Tochter beschworen; jetzt
stimmt sie zu, und ohne noch sich mit dem Dämon für eins zu er-
klären, nennt sie doch ihre Tat einen weiteren Akt des im Hause
waltenden Rachegeistes. Der Chor stimmt ein in den Weheruf über
den Dämon des Hauses, den er selbst zuerst genannt hatte; aber
sogleich lehnt sich sein Zeusglaube gegen den finstern Dämonen-
glauben auf: es ist das Ringen zweier religiösen Vorstellungen, die
im Wechsel der Worte Gott und Dämon, 6ed^, bcdpwv schon so oft
hervortrat, einer dualistischen von Gott und Teufel und einer mo-
nistischen von dem einen Gott, der mit dem Guten auch das Übel
gibt. Mit neuem Wehruf bekennt er, alles sei durch Zeus zum
Ziele geführt. Und wie Klytämestra leugnet, dass es ihr Werk:
sie sei nicht Agamemnons Gattin, sondern in deren Gestalt habe der
alte grimme Irrgeist des Atreus Agamemnon biissen lassen, da macht
der Chor den Zwiespalt seines Inneren offenbar; Klytämestras Schuld
 
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