Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1867

DOI Kapitel:
No. 116-129 (1. Oktober - 31. Oktober)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43882#0497

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


Erſcheint wöchentlich 8 Mal : Dienstag,

ſùr Htadl

Donnerftag und Samftag.
F. 125.
| H Napoleon 111. und Italien.

Die Augen der ganzen Welt sind jetzt auf Rom gerichtet und
Jeder frug sich bis vor wenigen Augenblicken zweifelnd : was wird
Napoleon thun? wird er den Bruch der Septemberconvention,
der durch die ſchamloſe geheime Unterſtütung der Freiſchärler Sei-
tens des italieniſchen Cabinets vollzogen ist, ruhig hinnehmen ?

Napoleon hat sich aus seiner langen Unthätigkeit aufgeraffſt,
er will Ftalien beweiſen, daß es ohne seinen Willen nichts iſt, ~
er will ein Erpeditionscorps abſchicken, welches den hl. Vater
vor der äußerſten Bedrängniß ſchüten ſo l.

Dieſe That Napoleon's kam Allen sehr überraſchend, es
hatte Niemand geglaubt, daß es ihm Ernſt sei mit der Beſchützung
Pius’ IX., % um ſo freudiger begrüßen wir den Schritt des
französischen Kaiſers. Und in der That, ein solcher Schritt wollte
überlegt sein, denn er hatte gar manche Bedenken gegen ſich.
Frankreichs gefährlichſter Feind iſt jezt Preußen und früher oder
ſpäter (wir fürchten nur zu früh !) wird ein Zuſammenſtoß der
furchtbarſten Art zwiſchen dieſen beiden Reichen unausbleiblich wer-
den. JIntervenirt nun Napoleon zu Gunſten des Papſtes in Ita-
lien, so ſchwächt er seine Kräfte Preußen gegenüber , er verſcherzt
den letzten Reſt der Sympathien Italiens und treibt dieses faſt
gewaltſam in die Arme Preußens. Beide Verbündete + Jtalien
und Preußen — werden unfehlbar Frankreich gegenüber dieselbe
Rolle spielen, die sie im vorigen Jahre gegen Deſterreich gespielt
haben. Auch die französſiſchen Kräfte werden dann in demſelben
Maße getheilt sein, wie die öſterreichiſchen und es wird aller An-
ſtrengungen Napoleons bedürfen sich über Wasser zu halten.

Auf der anderen Seite aber iſt es ebenſo gewiß, daß Ludwig
Napoleon, wenn er den hl. Vater troß dem ſchüteenden September-
vertrag ſeinem Schickſal überlaſſen hätte, einen allgemeinen Abfall
von seiner und seines Hauſes Sache in Frankreich zu erwarten



î gehabt hätte. Denn es iſt eine äußerſt erfreuliche Thatſache, daß

die katholiſche Kirche nirgends mehr Boden in den Gemüthern
wonnen, nirgends eine größere innere Mission mit Glück durchge-
geführt hat, als gerade in Frankreich, deſſen Volk einſt die
katholiſche Religion, ja überhaupt jede Religion abgeschafft und
die menschliche Unvernurft auf die entweihten Altäre gesetzt hatte.
Jetzt sieht's dort ganz anders aus, + die Katholiken halten un-
wandelbar treu zu ihrer Kirche und Frankreich insbesondere stellt
dem hl. Vater die meiſten freiwilligen Vertheidiger seiner weltlichen
Unabhängigkeit. In dieser Klaſſe von Staatshürgern wurzelte
bisher Rapoleons Macht, die wahren Katholiken haben ihn, als



Dienstag den 22. October. .



ote

| : ard Preis viertetjährl. 40 tr. ohne

/ Trägerlohn u. Poſtaufschlag.
Inſ.-Geb. 2 kr. die Petitzeile.

1867
ss §

der Gesellſchaft der Einsturz drohte, auf den Schild erhoben, +
die 8 Millionen Stimmen sind es, die Napoleon zu verlieren
fürchtet, und die er sicher auch verlieren würde, wollte er Pius IX.
jener Meute von Genf und den perfiden Miniſtern eines Victor
Emanuel preisgeben. So wird die Expedition nach Rom den
millionenfachen Jubelruf der Katholiken Frankreichs wie der ganzen
Welt zur Folge haben, und Ludwig Napoleon kann wahrlich den
Beifall einmal wieder brauchen, nachdem er seit jenem unglücklichen
Neujahrsgruß an den Gesandten Desterreichs so furchtbare Fehler
in der Politik begangen hat und von dem obersten Schiedsrichter-
ſtuhle Europa’s längst herunterzuſteigen gezwungen worden iſt.
Aber hinter Ztalien und den dortigen Wirren stecken Ruß-
land und Preußen, die im Trüben zu fiſchen gedenken, so lange
Ludwig Napoleon alle Hände voll in Rom zu thun hat. Wir
zweifeln nicht, daß insbesondere in Baden in Kurzem sich allerlei
Dinge vollziehen werden. Rußland ſspeculirt auf die Zertrümme-
rung der Türkei und Deſterreichs, welch’ letzteres es mit Preußen
zu theilen bereit iſt, und ſslaviſche Agenten wie preußiſche Offi-
ciere bereiſen das geſchwächte, an so vielen Gebrechen leidende









Desterreich nach allen Richtungen, um die nöthigen Einleitungen

zum Ausgang zu treffen. In Frankreich ſelbſt thun. die dem
Kaiſerthum feindlichen Parteien das Ihrige, um Rapoleon zu un-
tergraben, der doch immer noch in Berlin und in Petersburg
eine unheimliche Erſcheinung ist, die man höchſtens noch ſo lange
dulden möchte, als er sich dazu hergibt, für die hochlegitimen nordi-
ſchen Herrſcher den Polizeidiener gegen die Revolution zu ſpielen.

So viel ſteht feſt: Napoleon iſt mit seiner bisherigen Weis-
heit zu Ende; es iſt noch Zeit, den zu lange eingeſchlagenen fal-
ſchen Weg zu verlassen und eine völlige Umkehr ſeiner Politik zu
bewerkstelligen; + es iſt noch Zeit, aber die eilfte Stunde und
noch drei weitere Viertel haben bereits geschlagen. Das Nationali-
tätsprinzip hat sich am bitterſten an seinem Urheber, an Napoleon
gerächt, — er laſſe es offen fallen; das Buhlen und Liebäugeln
mit der Freimaurerei und der wilden Demagogie im Auslande,
während Frankreich von der Knechtſchaft faſt erdrückt wurde, war
unnatürlich, ~ es höre auf, die Zweideutigkeiten dem Oberhaupte
der Kirche gegenüber haben Napoleon unendlich geschadet, ~+ er
trete offen und ehrlich als der mächtigste Fürſt der katholiſchen
Kirche für Pius IX. und den Katholicismus in die Schranken,
und er wird bald die edelſten Früchte zum Danke ernten. Auch
die großen diplomatischen Fehler des vorigen Jahres wird Frank-
reich ſeinem Kaiser verzeihen, wenn er in Italien die Interessen
der Civilisation und den Glauben unsrer Väter gegen eine halb-



+ I o h a n n i s n a sh t.
î Dorfnovelle von H. Wurſt.



(Fortsetzung.)

Eben alſo bog die kleine Lene, die, welche dem Stelzensäppele immer am

Nikolzkreuz draußen bei dem freien Platz unter den neuen Linden den Stand
hütet, an der Ecke der Mühle herum. Das Mühlrad geht noch und sie ſteht
hier still und starrt fast befriedigt hinunter in das Getriebe. Nun aber geht's
die Anhöhe an der Schenk'ſchen Brauerei hinauf nach der Wendenhalde. Hier
rechts ſteht das Gnadenkappellchen und da kommt des Rößlewirths Acker mit
dem Zuckerbirnbaum , der hat immer die besten Frühbirnen. .

. Dann kommt ein uralter Kreuzsſtock. Nach einer alten Inschrift liegen
hier viele Soldaten begraben, die im Kriege umgekommen. Hier ſteht die
kleine Lene stil und betet wohl auch ein Vaterunser für die , die da unten in
dem kühlen Grunde ſchlafen. Dieſen Gebrauch hat sie vom Stelzenſäppele ge-
lernt. Dieſer pflegt nie an einem heiligen Erinnerungszeichen vorüberzugehen,
ohne daß er einige Augenblicke in srommer Betrachtung dabei verweilt.

Wer zh errathen, was alles ein unsſchuldiges Kinderherz zu fühlen im
Stande iſt ? Die kleine Lene hatte eine unbestimmte Ahnung davon, daß hier
etwas nicht äichtig sein müsse, daß man io spät noch, zu so ungewohnter
Stunde den Förſter hole. Aber es fiel ihr dann ein, daß ja ihr Pflegevater,
der Stelzenſäppele, davon wiſſe und somit müſſe und könne es ja nichts
E ytiun:/s ſein. Und gleichwohl wollte ihr der Gedanke nicht aus dem Sinn,
daß eben der Förster doch ein unheimlicher Mann sei, der da überdies so tief
u Wald drin wohne. Von dem unglücklichen Schuß , der seinen Oheim ge-
roſſen und dem , was man ſJonſt Geheimnißvolles von ihm sich zu ſagen pflegte
wußte sie glücklicherweiſe nichts. t f

Während das Mädchen ſo mutterſeelenallein in ſeinen Kindesgedanken
durch die ſtille duftige Nacht in den dichten grünen Waldbäumen dahinwandelte,
k es ve ſſr;(. Dinge in die Seele. Und da fällt ihr auch auf einmal ein

„Schweſterlein, Schweſterlein,
Wann gehn wir nach Haus ?-

„„Morgen, wenn die Hahnen trähn,
Werden wir nach Haufe gehn !

Ö Hrüderlein, Brüderlein, .
Dann gehn wir nach Haus !‘

n„Schweſterlein, Schweſterlein,
Was biſt du ſo blaß?“

Dieſes macht der Morgenſchein
Mir auf den Wängelein ~
Brüderlein , Brüderlein ,

Die vom Thaue naß.“

„Schwestierlein, Schweſterlein ,
„Zz. MVie mwantſt du ſg matt.! f

„ Such nur die Kammerthür,
Such’ wohl mein Betitlein mir
Brüderlein , es wird fein
Unter dem Raſen jein !“

Es iſt wunderbar, wie eigenthümlich das Erfaſſen einer Kinderseele ist,
sobald es irgendwo etwas mit der geheimnißvollen Thätigkeit in seinem In-
nern Zuſammentktlingendes entdeckt, sobald sich ihm etwas darbietet, was nur
das Herz verſteht, was mehr gefühlt als verſtanden werden will. Welch einen
innigen Zuſammenhang mit den tiefen Tönen und Gedanken, in denen dies
Kinderherz eben jetzt in dieſer wohligen, geheimnißvollen Waldesnacht , Jo-
hannisnacht schweben mochte, verräth jenes gleichfalls ſo eigenthümliche und
geheimnißvolle Lied !

(Fortſetzung folgt.)


 
Annotationen