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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1870

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Nr.26-39 (1.März - 31.März)
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für Stadt

Donnerstag

Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag,
. îDonnerſtag und Samſtag.

Jô. 36.







und Land.

Preis : vierteljährl. 40 kr. ohne
Trägerlohn und Poſtaufschlag.
Inſ.-Geb. 2 kr. die Petitzeile.

den 24, März 1870.





Herr Stadtpfarrer Hönig und dessen Concilspredigt
in der Harmoniekirche zu Heidelberg.
IH

Der Coneiliumsredner über die Unfehlbarkeit des Papſtes
kommt auf die Opposition des Concils zu sprechen. Er bezeichnete
diese Oppoſition als etwas „Intereſſantes." Wir begreifen nicht
was der Redner, der proteſtantiſche Stadtpaſtor, für ein Interesse
an der Oppoſition des Coneils haben könne. Wir würden eher
begreifen, wenn der geehrte Herr zuerſt mehr Interesſe am eigenen
Heth haben und alle Unebenheiten, deren es Legion gibt, ebnen
würde.

Der Redner versichert seine Zuhörer, daß er sich freue, und
alle Verſammelten ſollen sich mitfreuen, daß die gebildeten Biſchöfe
sich gegen die Unfehlbarkeit ertlärt hätten. Unter dieſe gebildeten
Biſchöfe rechnet er namentlich die deutschen.

Wiederum das Labyrinth von Widerſprüchen! Hürte man
seine Jeſuitenſchilderung, ſo kam es Einem vor , wie wenn die
Jeſuiten auf der ganzen Welt nur zu dictiren brauchten und blind-
lings deren Dictate ausgeführt würden. Und nun belehrt uns der
gleiche Redner, daß ihm das Herz vor Freude ſchmilzt ob einer
Oppasition, die sich gebildet habe gegen den von den Jeſuiten an-
geblich aufgestellten Lehrſat.

Die deutſchen Biſchöfe hätten sich auf dem Concil so henom-
men, wie es dem deutſchen Weſen entſprechend sei, indem ſie nichts
glaubten, von dem ſie nicht überzeugt seien. „Trotz der mangelhaf-
ten theologiſchen Bildungsanſtalten“ hätten sie doch wenigstens ge-
zeigt, daß sie etwas studirt hätten.

Der Sinn dieſer Stelle wird nach der Auffaſſung des Redners
der ſein, daß in allen Punkten, in welchen der menſchliche Ver-

ſtand nicht ausreicht, um eine gegebene Wahrheit zu fassen, die

dentſchen Biſchöfe ein Nein entgegenseßten. Für den Fall dieſe
pc Uth§g h Wrnetateng tt ift bil ſ
proteſtantiſchen Theologen vuder Gelehrten und deutschen kathol.
Biſchöſen. Bei erſtern gilt allerdings der Saß + wenigltens viel-
fach + über das Dellicht der Lampe gibt es keine Sonne des
Tages. Bei kathol. Biſchöfen, Prieſtern und Laien iſt das indeſſen
anders. Es iſt alſo geradezu unwahr, daß die Natur des Deut-
ſchen darin besteht, Nichts zu glauben, was man nicht mit den Sin-
nen greifen kann. Wir empfehlen dem ſehr gelehrten Hrn. Hönig
das Kapitel über Glauben und Wissen nochmals zu ſtudiren, wenn

Was der Redner mit den mangelhaften theologiſchen Bildungs-
anstalten, aus welchen die deutſchen Biſchöfe hervorgegangen ſind,

| sageu will, glauben wir ſo deuten zu müſſen, daß aus den kath. theologi-

ſchenBildungsanſtalten keine Chriſtus läugnende Schenkelianer hervor-
gehen, wiedies woht der Fall in der Bildungsanlſtalt des evangeliſch-
protestantischen Predigerſeminars iu Heidelberg iſt. Wenn das, wie wir
nicht zweifeln, die richtige Deutung der dunklen Worte iſt, dann
danken wir dem Redner für das gemachte Compliment.

Noch eurioſer iſt der Grund, der zur Rechtfertigung der fran
züſiſchen Biſchöfe wegen Betheiligung an der Opposition geltend
gemacht wird. Der Grund der Oppoſition iſt hier: wisſenſchaft-
liche Bildung und nationaler Stolz. Beide Eigenschaften machen
es den franzöſiſchen Biſchöfen unmöglich, ſich von der rümiſchen
Curie als Sclaven behandeln zu lassen.

Bisher waren wir immer der Meinung, wir Deutſche hötten
an Bildung alle Nationen weit überflügelt und namentlich ſei das
deutsche Volk bei ſeiner großen Kaltblütigteit und Ruhe in den
einzelnen wiſſeuſchaftlichen Fächern viel weiter gekommen, als das
franzöflſche, und namentlich war der Clerus der Franzoſen als ſehr
unt{wissend verſchrieen. U eu

Hr. Hönig indeſſen belehrt uns eines Beſſern und hat dafür
die logiſchſten Grunde. Oberſatß : Wer gegen die Erklärung der-
Infallibilität ist, iſt ein wiſſenſchaftlich gebildeter Biſchof. Unter-
ſatz : Die franzöſiſchen Biſchöfe ſind gegen die Unfehlbarkeit. Schluß :
Also sind die französiſchen Biſchöfe wiſſenſchafilich gebildet. Ein wei-
terer Beweis iſt ja nicht nöthig; ein jeder Zuhörer iſt verpflichtet,
Hrn. Hönig auf's Wort zu glauben. j

Trotzdem taxirt der Hr. Stadtpfarrer die Jnfallibiliſten auf
500. Er iſt alſo in der Zahl von der Heidelberger Zeitung ab-
weichender Meinung. Jene gibt keine 500 mehr zu. Daran ſchließt
der Redner einen Stoßſeufzer : Wie iſt es möglich, daß 500 ver-
nünftige Menſchen für die Unfehlbarkeit eines Einzigen sind ? Nach
einigem Nachdenken wird die Löſung der tiefgehenden Frage gefun--
den. Südromaniſche Begriſfe und deutſche ~ die gehen nicht zu:
sammen! Bei den deutſchen iſt Glaube eine Ueberzeugung, bei den-
ſüdromaniſchen ein logales Verhalten. Andere wieder müßten um's
tägliche Brod bitten und wenn ſie solches erhielten, sagten ſie mit
Bereitwilligkeit : „Herr, dein Wille geſchehe." ~ Wir haben keine n
Ausdruck, mit welchem wir eine ſolche mißmuthige Darstellung be-
zeichnen können. Der Herr mit weißer Binde ſcheint gar nicht zu
wissen, daß jeder Bischof einen Eid leiſte, nur nach seiner inner-
ſten Ueberzeugung zu sprechen. Der Herr ſtellt ſich den katholiſchen
Bischof wahrscheinlich als einen protesſtantiſchen Paſtor vor , der



er überhaupt dasſelbe je studirt hat.
_ Ein edles Mädchenherz.



Der. Leser hat nun Uh E Hotels „Zum goldenen Stern!"
kennen gelernt, die in unserer Erzählung handelnd und leitend hervortreten
wezher: d gsf Kekitr werden wir ihn mit dem Virthe, desſen Fami-
l rUUo if er Perſon bekannt machen, welche die H el din der

n ' 2. Kapitel.

Die Familie des VWirthes und die Hau 3smamſell.

Wer Gelegenheit hat, viele Gaſthöfe in allen Zonen der Erde zu besuchen,
tutor hee haben, daß die Mehrzahl der Wirthe einen tüchtigen Leibes -

fang. n.

_ Die Natur trägt daran wohl keine Schuld, denn nur selten wird ein
Menſch als ein Wunderkind geboren, das im ersten Monate ſchon ein Gewicht
von fünfzig Pfund erreicht, sondern das leckere, bequeme Leben, das die Her-
ren führen, und die wenige Bewegung, die sie sich als Fußgänger machen.

.. Der Virth „Zum goldenen Stern“", Herr August Stiller, der zu den
reichſten Hotelbesißern in Hamburg zählte, war im Aeußern dem luſtigen Rit-
ter John Fallſtafs ähnlich, wie Shakeſpeare ihn uns so humoristisch geſchil-
dert hat. Herr Stiller trug einen Bauch zur Schau, der seinen kleinen Augen
nur mit Mühe gestattete, einen Blick auf die Träger des colossalen Leibes zu
werfen. Im Uebrigen war der fünfzigjährige Mann, was seinen Character
tetrijth.. 4uberſt. gütprüthig r. gegen ſeine Gäste zuvorkommend. Jedes

] ' an der Wir i ie di
hetzen ut: hstafel eintreten konnte, haßte er wie die
zu verſöhnen. ' é; :

_ Herr Stiller war ſeit fünfundzwanzig Jahren verheirathet und hatte mit
ſeiner Ehehälfte, die den romantiſchen Namen Sidonie in der Taufe erhalten,
bereits die ſilberne Hochzeit gefeiert. Der Name paßt aber nicht immer zu
der Perſon, die ihn beſißt. Madame Stiller hatte keine Spur von roman-
tiſchem We sen an ſich. Jm Gegentheil : Sie war bezüglich der körperlichen
Verhältnisse faſt ebenſo korpulent, wie ihr Mann, aber bei Weitem rühriger ;

ſtreitenden Perſonen ſtets mit bittenden Worten





denn sie überwachte ihr zahlreiches Hausgesinde, wie es einer wackeren Haus
frau und besonders der Gattin eines Hotelbeſiters gezient. Die Tochter
bürgerlicher, einfacher aber wohlhabender Eltern, verstand sie sich vortrefflich
auf das Küchenwesen, hatte sich aber in ihrer Jugend nie recht mit der Gram-
matik befreunden können und so vermochte ſie im ſchlechten Deutſch wohl eine
fließende, aber keineswegs gebildete Unterhaltung zu führen. :

Aber Niemand von den Gäſten nahm es ihr übel, wenn sie, häufig an
der Table d’hote sitend, mit dem Dativ und Accusativ in den Haaren lag
und oft den aufwartenden Kellnern zurief :

„Carl, August, Friederich, daß ihr mich ſchnell den Braten bringt !“

Man lächelte im Stillen über die unrichtige Sprache der guten Frau und

ließ ihr zugleich die Gerechtigkeit widerfahren, daß ihre Tafel eine der besten in

ganz Hamburg ſei.
f Aus der glücklichen Ehe, welche Herr und Madame Stiller führten, wa-
ren zwei Söhne, Adolph und Konrad, hervorgegangen. Der ältere, Adolph,
war bereits vierundzwanzig Jahre alt. Er bekleidete eine Stelle als Commis
in einem hieſigen großen Handlungshauſe. Hoch und ſchlank gewachſen, wohl-
proportionirt in den Gesichtszügen, von der Natur mit feurigen Augen und
dunkelm Haar beſchenkt, war er, was man einen interessanten Mann zu nennen
pflegt. Letzteres konnte sich auch auf seine Unterhaltung beziehen. Adolph
ſprach die neueren Sprachen fertig, hatte viel geleſen, ſchon große Reiſen im
Juiteat seines Prinzipals gemacht und wußte von Alem lebhaft und mit
eiſt zu erzählen. ß

"sts hl.. noch nicht zwanzig Jahre. Er erſchien im Aeußeren als
vollkommenes Gegentheil seines Bruders. Er war klein und ſchmächtig gebaut,
hatte blondes, ins Röthliche spielendes Haar und viele Sommersprossen in
dem blassen Teint seines keineswegs hübſchen Gesichts. Auf den Wunſch des
Vaters hatte er kein Geſchäft gelernt, sondern war in dem Hotel als eine Art
Oberkellner verblieben, der in der Wirtſchaft thätig ſein und die Bücher führen
mußte Er ſollte einst der Nachfolger seines Vaters werden und in den Besitz
des Hotels gelangen. Sehr geeignet ſchien er indeſſen nicht zu ſein; denn
er war über alle Maßen wortfaul und im Wesen träumeriſch und träge, ohne
deßhalb seine im Hauſe übernommenen Pflichten zu vernachlässigen. Nur daß
§ ts ihm ansah, daß er alles, was er that, mit einer Art von Widerwillen
vollbrachte.
 
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