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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1870

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Nr.40-51 (2.April - 30.April)
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Erscheint wöchentlich 8 Mal: Dienſtag,
Donnerstag und Samſtag.

M. 43.

für Stadt

Samſtag









Preis : vierteljährl. 40 kr. ohne

und Cand. Trägerlohn und Poſtaufschlag.
Ins.-Geb. 2 kr. die Petitzeile.

ven 9. April 1870.











Die preußiſche Staatstheologie.
II

Die luther. „Kirchen-Zeitung“ lehrt uns die Staatstheologen
noch von einer andern Seite kennen, die uns vielleicht manches Un-
erklärliche an ihnen erklärlich macht. „Bei dem in Preußen herrſchen-
den Kirchensſyſteme, ſagt ſie, können aber auch keine Perſonen in der
Kirche gedeihen, welche die Kirche kirchlich zu regieren im Stande
ſind. Unter jenem Syſtem blüht auf allen Universitäten die alle
Gegensätze verſchweigende und beſeitigende Vermittlungstheologie.
Diese Theologie mag gelehrte Herren und freundliche Männer er-
ziehn, die zur Vermittlung aller Gegensätze die Hand bieten; aber
Märner, die unerſchütterlich am Rechte feſthalten und wie Felsen
für die Wahrheit einſtehn, erzieht sie nicht.“ Solche Männer ſsind
überhaupt selten. Wer das noch nicht wußte, konnte es ſeit 1866
hinlänglich erfahren.

Aber bei uns hat es doch nicht ganz an ſolchen Männern ge-
fehlt. Dahingegen bekennt der Berichterstatter der luther. „Kirchen-
Zeitung““, daß die vreußiſche Geiſtlichkeit „ſervil. sei, und ihre
Hoffnung durchgehends „auf den Staat“" ſete. „Wir haben einen
Gott, der da hilft und einen Herrn, deſſen Reich die Pforten der
Hölle nicht überwältigen sollen. In Preußen aber verläßt man ſich
auf das Herrenhaus und die conſervative Partei, auf die „Kreuz-
zeitung“ und andre „Stützen.“ Kann der Geiſtlichkeit eines großen
Staates, der sich rühmt, der Hort des Evangeliums zu ſein, ein
traurigeres gZeugniß ausgeſtellt werden, als dieſes ? Die preußiſchen
Geistlichen scheinen auch selbſt ein Gefühl davon zu haben, wie un-
ghreiz zur unchriſtlich die Feſſeln ſind, in die sie ſich haben ſchla-
gen laſſen.

In einem Berichte über die jüngſten Synodalverhandlungen
heißt es, daß in der Verſammlung selbſt eine gedrückte Stimmung
herrſchte. „Was hilft es, daß wir hier sißzen und reden, ſagten
Viele ; oben macht man doch, was man will. So viel iſt gewiß,
der Schwerpunkt der Kirche, der erzeugende Heerd kirczlicher Ge-
danken und Bildungen liegt nicht in der Kirche, in den verordneten
und verantwortlichen Instanzen, ſondern außerhalb der Kirche, nicht
bei den Theologen, sondern bei den Juriſten, nicht bei geſalbten u.
göttlich berufenen Kirchenmännern, sondern bei politiſch geſtimmten
Staatsmännern. In der Staatsverfaſſung iſt der Kirche eine freie
Entwicklung zugeſagt, aber in Preußen weiß man Theorie und
Praxis wohl zu unterſcheiden. “

_ Wen erinnerte dieſes Bekenntniß nicht an die mancherlei Er-
fahrungen, die wir Hannoveraner seit 1866 gemacht haben, und
beſonders an die Ernennung und Nichtbestätigung der Superinten-

denten Siev ers , die unſtreitig das flagranteſte Zeugniß dafür
iſt, wie weit in Preußen Theorie und Praxis auseinander liegen.
Man garantirt uns unsern lutheriſchen Bekenntnißſtand, und der,
welcher an oberſter Stelle darüber wachen soll, daß dem königlichen
Versprechen gemäß unserem Bekenntniſsſe sein Recht wird, weigert
ſich, die Ernennung eines durchaus tadelloſen Mannes zum General-
superintendenten zu bestätigen, weil er in Praxi das iſt, was man
in der Theorie zu pflegen und zu schützen verſprochen hat, nämlich
nicht unirt, sondern lutheriſch. tei

Wie weit sich ein solches Verfahren mit der chriſtlichen Wahr-
haftigkeit verträgt, das zu beurtheilen wollen wir andern überlassen.
Es iſt überhaupt in unsern Tagen in der Welt ein eignes Ding
mit der Wahrhaftigkeit, nicht blos in der politiſchen, sondern auch
in der kirchlichen Welt, nicht nur unter den Zeitungsſchreibern ge-
wöhnlichen Schlages, ſondern auch unter den Geiſtlichen und Theo-
logen. Unser erſter Gewährsmann erzählt uns in der lutherischen
„Kirchen-Zeitung“ ein merkwürdiges Beiſpiel von preußiſcher Wahr-
heitsliebe, mit dem wir die Charakteriſtik der preußiſchen Staats-
theologen schließen wollen.

„Daß die Synode, ſagt er, durch eine Deputation auch den
König mit einer Adresse beglückwünſchte, iſt betannt. Es geſchah
durch den Vorſtand, welcher nachher berichtete, wie ſchön der König
geſprochen, daß er den Proteſtantenverein verworfen und ſo trefflich
bekannt haber, die Gottheit des Herrn müſſe festſtehen bleiben im
Bekenntniſſe. Lange Zeit hinterher erfuhr man jedoch, daß von
der Königsrede die eine Hälfte verſchwiegen worden war, nämlich,
daß er eben ſo scharf gegen die „Orthodoxen“
wie gegen die Proteſtantenvereinler, und daß er sich dahin geäußert,
dieſe beiden Parteien ſeien das Unglück der Kirche und der Hemm-
schuh der Verfaſſung. Und das wurde verſchwiegen! Vielleicht weil
das, was geſagt wurde, dem Buchſtaben nach richtig und dem Zwecke
nach vortheilhaft ſchien für den Glauben –ô aber auch für den
König, warum ſollte es also auch nicht recht sein, es ſo darzuſtellen ?“

Ein hübſches Beiſpiel von preußiſcher Wahrhaftigkeit! Herr

v. Hodenberg mag ſich tröſten, wenn er von solchen politiſch - theo-
logiſchen Jeſuiten des „Verdrehens“ und des „,falſchen Zeugnisses“
beſchuldigt wird.





Süddentſchland.
V’ Heidelberg, ?. April. Jett kommt die Zeit der Trink-
g eld er. Der Weg von Offenburg nach Karlsruhe kann doch un-
möglich umsonst zurückgelegt werden. Hr. Kiefer iſt General- oder
auch nur Oberstaatsanwalt geworden. Welche Gedanken reihen sich
diesem neueſten Akte des Hrn. Obtircher an! Wir haben uns ver-





Ein edles Mädchenherz.



(Fortsetzung.)

Von der Zeit an, da die Lähmung meiner armen Schwester nicht weichen
wollte und die Mutter wegen anhaltender Augenschwäche nicht mit erwerben
konnte, wuchs unſer Elend mit jedem Tage. Auf einmal aber ſchien uns ein
Hoffnungsſtern aufzugehen. Cin Freund aus früheren Zeiten, der oft in Ham-
burg zu uns in's Haus gekommen und das traurige Schickſal meiner Mutter
kannte, war schon vor langer Zeit als Kaufmann nach Paris gereiſt und hatte
ſich dort etablirt. Von dieſem Freunde erhielten wir unvermuthet einen Brief.
Derselbe theilte meiner Mutter mit, daß er mit meinem Vater in Paris zu-
ſammengetroffen sei, daß dieſer dort unter fremdem Namen in glänzenden Ver-
hältnissen geleht habe; aber kurz vorher ehe der Freund uns Nachricht geſendet,
von Paris abgereist und, dem Vernehmen nach, nach Hamburg, ſeiner Vater-
ſtadt, zurückgereisſt sei. Als ich den Brief geleſen, war mein Entſchluß gefaßt.
Wenn ich auch nicht die geringſte Liebe für den Mann fühlte, der meine theure
Mutter so elend gemacht, ſo wollte ich ihn doch aufsuchen und ihn zwingen,
ſeine Pflicht gegen ſein verlassenes Weib und seine Töchter zu thun. Ich ſelbſt
wollte nichts von ihm begehren. Ich hatte genug gelernt, mich durch's Leben
durchzuſchlagen. Ich theilte diesen Vorſchlag meiner Mutter mit. Der tiefe
Widerwille, den sie jeßt gegen den Mann ihrer einstigen Liebe in sich trug,
bestimmte sie, sich meinem Vorschlage lange Zeit zu widerſegen. Endlich aber,
als die Noth bei uns den höchſten Grad erreicht hatte, willigte sie doch ein.
Sie begehrte ja nichts von dem ſchlechten Gatten, nur für ihre arme Kinder
ſollte er ſorgen. Ich rüſtete mich alſo zur Abreiſe. Um das Reiſegeld zu
erſchwingen, verkaufte ich mein Ciavier, das mein ſeliger Onkel uns hinter-
laſſen hatte. Ich bekam hundert Thaler dafür. Die Hälfte dieser Summe
ließ ich meiner Mutter zurück, mit der andern Hälfte machte ich mich auf den
Weg, nachdem ich von meinen Lieben thränenvollen Abſchied genommen.
Ich dachte ſo : Findeſt du den Geſuchten nicht, ſo bleibſt du doch vorläufig in
Hamburg. In dieser reichen Stadt werden Muſikſtunden besser bezahlt, als
in Dresden. Es wird dir gelingen, Schüler zu bekommen und dann kannſt
du deine Familie besser als früher unterſtüßen. So ſette ich als Jüngling
meinen Fuß wieder auf den vaterländiſchen Boden, den ich als Knabe ver-



lassen. Da ich anständig auftreten mußte um Schüler zu gewinnen, ſo logirte
ich mich im Gaſthofe „Zum goldenen Sterne“ ein. Nach u. nach glückte es mir auch
einige Familien kennen zu lernen, worin. ich gegen ein mäßiges Honorar
Unterricht ertheilte. Die kleine Einnahme hielt die Noth von mir fern. Ich
hatte zu essen und zu trinken, wenn auch nicht reichlich, und konnte immer
pünktlich meine Miethe bezahlen. Ueber meine Stunden aber verſäumte ich
nicht, nach meinem Vater zu forſchen. Damit er mir aber, wenn er mein
Hierſein erführe, ehe ich mit ihm zuſammenträfe, nicht entſchlüpfen könne, ſo
erzählte ich hier im Hotel, wie überall, daß meine Eltern geſtorben seien und
ich allein in der Welt ſtände.
Sander nicht ſein Sohn sei. Ich ſagte Ihnen, mein Fräulein, daß der Freund
in Paris geſchrieben, mein Vater weile wahrſcheinlich unter dem Namen
in Hamburg, den er in Frankreich geführt habe. Dieſer Name iſt Han-
telmann.“

Der junge Mann wollte fortfahren in ſeiner Erzählung, aber Clara unter-
brach ihn lebhaſt :

tz !et: !! rief sie, „lo heißt ja unſer Abendgast,
niedriger wohnt.“

Sander nickte.

„Ich erfuhr das ſchon am erſten Tage meines Hierſeins," ſagte er, „und
zögerte nicht, in den Stunden, wo er sein Zimmer verläßt und die Jonrnale
lieſt, ihn von Angesicht zu Angesicht zu ſehen. Schon beim erſten Blicke ſah
ich, daß dieser Mann nicht mein Vater ſein könne, denn er zählt dem Anſehen
u höchſtens dreißig und einige Jahre und mein Vater steht ſchon dem

reiſenalter nahe.“ ;

s Uh Mädchen legte die feinen Finger in der rechten Hand an die
Stirne, als dächte ſie über eine wichtige Sache nach.

Nach kurzer Pauſe sagte sie : : .

„Sie haben dem Anſcheine nach Recht. Wenn der reiche Partifulier wirk-
lich noch so jung iſt, wie er das Ausſehen hat, so könnte er höchſtens ern
älterer Bruder von Ihnen ſein, wenn Sie einen solchen beſüßen. Indeſsſen
hat man Beispiele, daß ~ hm ! hm! wenn es doch möglich wäre. ~,

Sander faßte raſch Clara's Land.

„Was meinen Sie mit dieſen Worten, liebes Fräulein ?"

(Fortſezung folgt.)

Dann mußte er denken, daß der hier logirende

der zwei Treppen

ſich ausgeſproche
 
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