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Pfälzer Bote für Stadt und Land (68) — 1933 (Juli bis September)

DOI Kapitel:
Nr. 174-199 (1. - 31. August)
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Selt-2

MmMg, Sen 2r7MgüffWM

Sie 21. Seiilsche Sstmrste
eröMet
Königsberg, 20. Aug. Die 21. DeutscheOst-
messe wurde Sonntag mittag feierlich eröffnet.
Unter den zahlreichen Ehrengästen sah man
Reichswirtschaftsminister Dr. Schmitt, Staats-
sekretär Feder, den deutschen Botschafter in Mos-
kau, zahlreiche diplomatische Vertreter des östlichen
Auslandes, Vertreter Danzigs, des Memelgebie-
tes, der Grenzmark Posen-Westpreußen, der öst-
lichen Nachbarstaaten und der Sowjetunion.
Reichswirtschaftsminister Dr. Schmitt
richtete Grüße des Ministerpräsidenten Göring als
Schirmherr der Ostmesse aus. Der Minister er-
klärte, nachdem er erst vor kurzem in aller Öffent-
lichkeit seiner Meinung Ausdruck gegeben habe, aus
Ausführungen über die Wirtschaft zu verzichten,
weil es für den Reichswirtschaftsminister wichtiger
sei, zu handeln, als zu reden. Er danke Oberprä-
sident Koch nochmals dafür, daß es ihm gelungen
sei, die Arbeitslosigkeit in Ostpreußen zu beseiti-
gen, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß die wei-
tere Arbeit diesen Erfolg zu einem dauernden ge-
palten möge.
Der Minister betonte, daß die Reichsregierung
davon durchdrungen sei, wie ungeheuer wichtig die
Entwicklung unseres Außenhandels und besonders
der wirtschaftliche Wiederaufstieg des deutschen
und des ganzen euopäischen Ostens sei. Er glaube,
daß hier gerade durch die Ostmesse als Mittlerin zu
den Nachbarländern Wertvolles geleistet werde
und hoffe zuversichtlich, daß der allgemeine
Aufschwung sich in Handel und Wirtschaft im
Osten fortsetze und eine allgemeine Befriedigung
'der Wirtschaft und der Völker des Ostens eintrete.
Der Minister gab den Gefühlen Ausdruck, die ihn
auf dem Wege nach Königsberg beim Passieren der
alten treuen Stadt Danzig und angesichts der stol-
zen und auch tragischen Geschichte des Ostens be-
wegt hätten. Wie er selbst, so sei hier alles von
einem tiefen Zukunftsgedanken durchdrungen, der
auch wirtschaftlich die Voraussetzung für unseren
Wiederaufstieg sei. Denn ein Volk, das nicht an
sich selber glaube, das nicht einig sei und durch-
drungen von dem Selbstbehauptungswillen, könne
nicht bestehen, auch wenn es tüchtige Kaufleute
habe. Aber unwiderstehlich seien der Glaube und
die Hoffnung, daß Land und Volk wieder ihr frü-
heres Ansehen, ihr großes Können in politischer
und wirtschaftlicher Hinsicht wieder erlangen müß-
ten. Dieser Glaube, den uns das Dritte Reich, die
Erhebung dieses Jahres und vor allem unser Füh-
rer Adolf Hitler gebracht habe, sei das Fundament,
auf dem sich alles aufbaut und auf dem sich auch
die wirtschaftliche Auferstehung ganz Deutschlands
durchführen lassen werde.
Oberpräsident Koch
führte u. a. aus, wir wollen nichts anderes, als
dem schaffenden deutschen Arbeitsmenschen inner-
halb der Grenzen seiner Nation Arbeit und Brot
garantieren, wir wollen n i ch t i m p e r i a l ist i -
sche Wirtschaft treiben, sondern wir verlan-
gen das, was ein Volk als selbstverständlich für sich
in Anspruch nehmen darf. Laßt diesem deutschen
Volke seine Ehre und seine Freiheit und ihr werdet
sehen, daß das deutsche Volk der Friedensförderer
Europas ist zum Segen der ganzen Wirtschaft. Ich
hoffe, daß die Ostmesse auch im osteuropäischen
Raum zum Segen der osteuropäischen Staaten und
zur Beruhigung der politischen Si-
tuation dienen möge.
Bei einer Zusammenkunft der Ehrengäste zur
Eröffnung der Ostmesse nahm auch
der russische Generalkonsul Smetanitsch
namens der Sowjetunion das Wort. Er wies
darauf hin, daß von sowjetistischer Seite die Ost-

messe immer als bemerkenswerte Förderung der
deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen betrach-
tet worden sei, die sich auf. ein System früher ab-
geschlossener Verträge zwischen dem Deutschen
Reich und der Union der sozialistischen Sowjet-
republiken stützten.
Die von der Sowjetunion mit einer Reihe von
Staaten neu abgeschlossenen Nichtangriffspakte
brächten den konsequenten Friedenswillen der
Sowj-tunion noch deutlicher zum Ausdruck. Der

Redner verwies auf die Erklärungen Litwinows
auf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz, daß
die Sowjetregierung bei Vorhandensein besonderer
langfristiger Kreditbedingungen in der nächsten
Zeit für etwa eine MilliardeDollarAuf-
träge an das Ausland verteilen könne. Die
Entwicklung der deutsch-sowjetistischen Wirtschafts-
beziehungen hinge von den Voraussetzungen ab, die
von deutscher Seite im normalen Verlauf aller Be-
ziehungen geschaffen würden.

Namens der D an z i-g-e r Regierung dankte
Senator Huth
für das durch die Einladung nach Königsberg ver-
mittelte Erlebnis. Wir in Danzig sind uns be-
wußt, daß das Schicksal der Freien Stadt innig
mit Ostpreußen verbunden ist und wir geloben in
aller Öffentlichkeit, daß wir als unsere höchste
Aufgabe betrachten werden, Danzig wieder zu dem
zu machen, was es war: Eine deutsche Stadt
innerhalb des Mutterlandes.

tts

Ausbau der deutschen Wasserstraßen
AsMettMr Mer Mer den VirWaWichen Ausbau

Patronen sowie Handfeuerwaffen leichteren Ka-
libers und Fahnen des Reichsbanners gefunden.
Insgesamt erfolgten 20 Festnahmen.
Große Hetzschriftenzentrale der Münchener
Kommunisten ausgchoben.

Danzig, 20. Aug. Die Kundgebung der
Deutschen Arbeitsfront in Danzig, die im
Rahmen der Tagung des Eesamtverbandes
der deutschen Angestellten gestern gegen Abend
unter freiem Himmel auf dem Wiebenwall
stattfand, wurde zum gewaltigsten Aufmarsch,
den Danzig je gesehen hat. Die Organisation
der NSDAP und NSVO meldeten allein
57 000 ausmarschierende Teilnehmer. Da min-
destens die gleiche Anzahl von Nichtorganisier-
ten Teilnehmern den Platz und die umliegen-
den Straßen umsäumten, hat nahezu jeder
zweite Bewohner der Stadt Danzig an dem
Aufmarsch teilgenommen.
Gauleiter Forster, der die Kundgebung
eröffnete, erklärte, dieser ungeheure Aufmarsch
sei ein Zeichen dafür, daß auch in Danzig die
Parteien engültig überwunden seien.
Es sprach dann der Führer der Arbeiter-
säule in der Deutschen Arbeitsfront, Staatsrat
Schuhmann. Es gibt, so stellte er unter
jubelnder Begeisterung fest, in Deutschland
keinen Klassenkampf mehr, und wer bei uns
nochmal Klassenkampf predigt, dem schlagen
wir den Schädel ein.
Zum Schluß legte der Führer der Deutschen
Arbeitsfront, Staatsrat Dr. Ley, ein leiden-
schaftliches Bekenntnis zur deutschen Arbeiter-
schaft ab, die durch die nationalsozialistische
Erziehung von dem marxistischen Minderwer-
tigkeitsgefühl befreit sei und wieder Stolz auf
ihre Leistung und ihr Deutschtum empfinde.
Bei Anbruch des Abends wurde die inzwi-
schen von Tausenden von Fackeln beleuchtete
Kundgebung von Gauleiter Forster mit einem
Treueschwur der Hunderttansende zur Einig-
keit und zum unzerstörbaren Deutschtum Dan-
zigs geschlossen.
*
Auf der OstdeutschenTagung des
Kampfbundes für deutsche Kultur hielt

Staatssekretär Feder eine Rede über „die
Würde der Technik". Er entwickelte aus dem
inneren Zusammenhang zwischen Technik,
Volkstum und Wirtschaft die Erundzllge der
gigantischen Pläne zur völligen Um- und Neu-
gestaltung der deutschen Nationalwirtschaft.
Im Gegensatz zur marxistischen Auffassung
wolle der nationalsozialistische Staat freie
Entfaltung der schöpferischen Unternehmerper-
sönlichkeiten sichern. Aufgabe des Staates sei
die Führung und die zielbewusste Initiative
in den großen Eesamtproblemen. Staatssekre-
tär Feder gliederte das Problem der Arbeits-
beschaffung in drei große innerlich zusammen-
hängende Kreise: den psychologisch-politischen
und handelspolitischen, den technisch-wirtschaft-
lichen sowie den finanzpolitischen.
Der Technik, die, gleich dem Bauern, das
Gesicht der Erde furche, falle die Führerrolle
zu, denn es widerstrebe der künstlerisch ichaf-
fenden Technik, daß der Bankier ihr die
Ziele stecke.
Der Staatssekretär entwickelte dann die
praktischen Pläne zum wirtschaftlichen Aufbau
des nationalsozialistischen Deutschland, dessen
Ziel es sei, das Gesicht vom Westen nach Osten
zu drehen. Die psychologisch-handelspolitische
Aufgabe sei die Erziehung zum Kaufdeut-
sch e r E r z e u g n i s s e und Fertigwaren. Be-
züglich der technisch-wirtschaftlichen Aufgaben
ging der Redner von der Erkenntnis aus, daß
erst nach der Machtergreifung durch den Na-
tionalsozialismus die großen Eeneralaufgaben
der Technik für die Wirtschaft einheitlich er-
kannt und durchgeführt werden könnten. So
werde jetzt nach einheitlichem Willen der
Autostraßenbau durchgefiihrt. Die zweite
Maßnahme werde in einem großzügigen Aus-
bau der Wasserstraßen bestehen, wobei man
als Rückgrat der Ostraumpolitik den Hansa-
kanal bauen werde.

Rem MMvrgamsatiM -er WS Mgetzoben
Umfangreiche Wasfensultde. — 81 Kommunisten festgenommen.

Oppeln, 19. Aug. Mit Unterstützung von Ange-
hörigen der SA. und SS. gelang es, die Haupt-
drahtzieher einer neuen Eeheimorganisation der
KPD. festzunehmen und in Polizeigewahrsam zu
bringen. Insgesamt würden 61 Personen in
Schutzhaft genommen. Bei der Durchsuchung wur-
den Waffen, Munition und Material vorgefun-
den und beschlagnahmt. Hierunter befinden sich
12 Büchsen mit je einem Kilogramm hochbrisan-
ten Sprengstoff, 20 Eierhandgranaten, 17 Militär-
gewehre und Karabiner, über 2000 Gewehrpatro-
nen, mehrere Selbstladepistolen, 20 Generalstabs-

karten, ein Filmvorführungs-Apparat und 12
Filme des verbotenen Rotfrontkämpferbundes,
einige Vervielfältigungsapparate und größere
Mengen kommunistischer Schriften und Hetzmate-
rial.
EchMM WaAlckmde in Lübeck -
W Festnahmen
Lübeck, 19. Aug. Bei ehemaligen Reichsbanner-
angehörigen wurden zehn Gewehre, Modest 98, acht
Armeepistolen, über 1000 Gewehr- und Pistolen-

München, 19. Aug. Die Politische Polizei hat
gestern abend wiederum eine Eeheimdruckerei der
KPD . in München ausgehoben, und zwar in einer
Villa in der Nähe des Waldfriedhofes. Verhaftet
wurden außer dem Villenbesitzer ein Schreinermei-
ster und vier bekannte Kommunisten, die beschäf-
tigt waren, mehrere tausend Stück einer illegalen
Druckschrift zu heften und zu verpacken. In einem
Kellerraum der Hetzschriftenzentrale war eine
regelrechte Druckerei eingerichtet und durch eine
falsche Wand maskiert. Eine Telephonleitung mit
Lautsprecherverstärkung von einem Wohnraum der
Villa in den Keller diente als Warnungsanlage.

DanziM KitlerjWMd in Wen
zu GM
Warschau, 19. Ang. Eine Gvuppeder Danzig«
H. I., die im Lager von M«zwna geweilt hatte,
und «ine Abheilung Danziger Pfadfinder, die
aus Gödöllö in Ungarn zuvückkshrte, kämm vor-
gostern nach Krükan und verlebten dort ziväi
Tage als Gäste d« Krakauer Pfadfinder. Bet
dem Empfang «durch die polnischen Pfadfinder
erschienen diese mit der polnischen Fahne, die
jungen Danziger mit der Danziger Fahne und
mit nationalsoziievlistiischön Wimpeln. Jede
Gruppe erwies der Fahne der anderen Gruppe
ihrs Ehrenbezeugung. Beide Gruppen veran-
stalteten KuNdgeibungsn zu Ehren der beiden
Völker und sangen polnische und deutsche Lie-
der. Es folgen in herzlichem Ton gshaltene
Reden. Sodann wurden Telegramme an den
Generalkonsul in Danzig, Papee und an den
Danziger Senatspräfident Rausch ning ge-
sandt. Die Danziger Jugend besuchte Krakauer
Denkmäler und die Salzbergwerke.
Der Budapester Besuch der Hitlerjugend.
Budapest, 19. August. Nach einem Gottes-
dienst in der Evangelischen Kirche legten die
Berliner Hitler jung en am tzeldsnge-
denkstein einen Kranz nieder. Um 11 Uhr fand
im Hofe des Ministerprnfidiums in Gegenwart
des deutschen Geschäftsträgers, Legationsrat
Dr. Schlimpert, der Empfang durch Mi-
nisterpräsident Gömbös statt. Daher
hielt der Führer der Abordnung, von Naders,
berg, eine Ansprache.
In seiner Antwort betonte Ministerpräsident.
Gömbös, daß er sehe daß im selben Maß
wie Ungarn hohen ethischen Zielen zustrebe,
auch in andern Ländern und so in Deutschland
die Jugendziele hohe ethische Ziele seien.

Newyork. Nachdem eine Einigung im Tex-
tilarbeiterstreik erzielt werden konnte, haben
60 000 Angestellte der Bekleidungsindustrie
beschlossen, ihre Arbeit wieder aufzunehmen.

AoHs HpieL
Roman von August Frank.
Urheberrechtsschutz durch Verlagsanstalt Manz,
Regensburg.
11) (Nachdruck verboten.)
Es dauerte lange, bis die zornige Erregung
.in ihm übebbte. Endlich war er das Auf- und
Abgehen müde und setzte sich. Finster brütete
ex noch vor sich hin, nur langsam glätteten sich
die scharfen Zornesfalten zwischen den Augen-
brauen. Schließlich stand er mit einem tiefen
Seufzer wieder auf und begann seine Zim-
merwanderung von neuem. Die beiden Brief-
stücke, die ihm im Wege lagen, stieß er zuerst
mit dem Fuß beiseite, aber dann hob er sie wie-
der auf. Er hielt sie aneinander und las noch-
mals.
Hm, eigentlich schreibt Vater Meunier sehr
ernst. Es muß doch eine Kriegsgefahr in der
Luft Kegen. Na, und entschuldigen tut er sich
auch, weil er ihm das weitere Bleiben aufhalst.
Wenn man müßte, daß es absolut notwendig
wäre?-Vielleicht ist es doch besser, noch
etwas übzuwarten, dann wird man ja weiter
sehen. Nachdenklich, die Hände auf dem Rücken,
blieb Eugen im Zimmer stehen. Zuletzt zuckte er
mit den Achseln, nahm Hut und Mantel und
verließ seine Wohnung. Er sehnte sich nach der
Gegenwart von Menschen, um seine quälenden
Gedanken los zu werden.
Charles? Der wäre jetzt gerade recht. In sol-
chen Stunden tat sein Lebenszynismus sicher
gut. Aber >wo ihn ireffen? Er hatte ihn noch
nicht gesehen, seit er vom Creuzot zurück war.
Eigentlich war es merkwürdig, daß er noch
nicht auf seiner Wohnung gewesen war, Eugen
hatte Hm doch geschrieben,' daß er Anfang Ok-
tober wieder in Paris sein werde. Wie von un-
gefähr fiel ihm ein, daß Charles ihn bei einem
Nachtbummel einmal ins Cafs „Roland" mit-

genommen hatte. Eugen war es ausgefallen,
daß Charles dort gut bekannt war. Die Bedie-
nung und eine Anzahl Gäste hatten ihn freund-
lich begrüßt, vielleicht war er hier zu treffen.
Das Cafe lag am. Fuß des Montparnasse;
kurz entschlossen stieg Eugen an der nächsten
Straßenhaltestelle ein und fuhr hin.
Es war später Nachmittag geworden, und es
dunkelte bereits, als er in Has Lokal trat. Der,
Raum machte auf den ersten Blick einen güten
Eindruck. Wenn man aber genauer zusah, merkte
man in der Ausstattung und im Geschirr eine
gewisse Vernachlässigung und Berschlissenheit
und genau so war es bei der Mehrzahl der
Gäste. Sie schienen ganz gut gekleidet, aber die
Kragen waren meist nicht mehr ganz einwand-
frei und die Ellenbogen zeigten ein freundlich
glänzendes Gesicht. Künstlerschlipse und breit-
randige .Hüte, die einzelne Gäste' sogar aufbe-
hielten, gaben dem Ganzen ein bohsmeartiges
Gepräge. Es war ohne Zweifel eine Stamm-
kneipe von Künstlern und Literaten. Genau
wie das erstemal, als er in dem Caf« war,
müßte Eugen an das Künstlerviertel Schwa-
bing in München denken.
An einem freien kleinen Tisch nahm er Platz
und bestellte Kaffee und Zigaretten. Bis jetzt
hatte er Charles nicht entdecken können, auf
einmal erkannte er ihn inmitten einer großen
Gruppe im Hintergrund des Lokales. Charles
hatte ihm den Rücken zugekehrt und konnte
ihn deshalb nicht sehen. Das Gespräch ging an
dem Tisch sehr lebhaft zu, es redeten fast immer
alle aufeinander ein, manchmal wurde die Un-
terhaltung unangenehm laut. Nur wenn ein
etwas älterer großer Mann mit breitem Gesicht
und schwarzem Vollbart sprach, hörten, die an-
deren aufmerksam zu. Eben hielt er eine län-
gere Rede, der alle Tischgenossen mit vorgebeug-
ten Köpfen andächtig lauschten. Das Milde
verschwand allmählich aus seinen Augen und
ungebgudigtes Feuer sprang heraus. Eugen
konnte nicht verstehen, er -sprach nicht laut.

außerdem saß er am anderen Ende des CafLs.
Aber er mußte den Menschen immer wieder an-
schauen, ex machte einen starken, imponieren-
den, saft hypnotisierenden Eindruck auf ihn.
Als er geendet hatte, war an dem Tisch zuerst
alles still, dann entstand ein wirres aufgeregtes
Stimmendurcheinander, einige klatschten sogar
in echt französischer Manier Beifall; am läng-
sten und lautesten Charles.
Eugen überlegte, ob er diesen durch den
Kellner rufen lassen sollte. Aber er hatte das
Gefühl, er würde gegenwärtig stören und stand
deshalb davon üb. Das Gespräch ging an dem
Tisch noch kurz hin und her, bis der' Sprecher
von vorhin aufstand und seinen Mantel anzog.
Charles und noch einige Gäste des großen Ti-
sches brachen mit ihm auf. Eugen folgte ihuen
mit den Augen, wie sie durch das Lokal dem
Ausgang zuschritten. Man merkte jetzt, daß die
Kleidung der meisten abgenutzt, zum Teil ärm-
lich war. Der gut angezogene Fabrikant stand
in krassem Gegensatz zu seinen Begleitern.
Eugen wollte ihn im Vorbeigehen anrufen,
aber er unterließ es, weil Charles es ebenso
wie seine Freunde sehr eilig zu haben schien.
Der Abend verlief noch besser, als Eugen ge-
dacht hatte. Er ging in ein Theater und hörte
sich ein Lustspiel an, bei dem man viel lachen
konnte. Im Foyer traf er einige Bekannte von
der Hochschule, mit denen er nach Schluß des
Theaters zu Abend aß und dann noch in einem
Boulevard-Restaurant Musik hörte. Beim Rot-
wein verschwanden Bedenken und Hemmungen,
die weiche Musik hüllte in wohliges Genießen
und sie wurden alle sehr vergnügt. Als Eugen
sich um zwei Uhr zu Bett legte, pfiff er gut ge-
läunt und leichtbeschwipst vor sich hin. So
schlimm war es ja gar nicht, was die in Berlin
von ihm verlangten. Man konnte es schon aus-
halten in Paris; besonders jetzt, wo es Winter
wurde. Jedenfalls war es besser, als Rekruten
drillen.
Thea allerdings, ja Thea, — hm, das war

schon unangenehm — ach was, die mußte halt
warten! Wer ein süßes Mädel war und blieb
sie doch! Froh lächelte er vor sich hin und so
schlief er ein und schlief traumlos bis zum
Morgen.
Am nächsten Tage fand Eugen beim Mittag-
essen im „Temps" ein Bild des Sozialistenfüh-
rers Jaurös, der gestern abend in der Kammer
eine Rede gegen den französischen Militaris-
mus gehalten hatte. Auf den ersten Blick er-
kannte er in ihm den Mann, der ihm im Cgf«
ausgefallen war. Nachdenklich besah er sich den
imponierenden Kopf mit den lebendigen Feuer-
augen. Plötzlich pfiff er durch die Zähne und
nickte mit dem Kopfe. Jetzt wußte er aus ein-
mal, woher Charles Pazifismus kam. Der reiche,
elegante Fabrikbesitzer aus Rubaix, dieser Ge-
nießer, war Sozialist! Das war wirklich zum
Lachen! Charles, der Nichtstuer und Schlem-
mer, der seine Direktoren schaffen ließ und sich
um gar nichts kümmerte, der manchmal in
einer Nacht mehr verbrauchte, als einer seist«
Arbeiter im Monat verdiente, „machte" in sol-
chen Ideen! Je mehr Eugen darüber nachdachte,
desto merkwürdiger kam ihm dieser Salonsozia-
lift vor. Na ja, Theorie und Praxis! Und es
gab HE allerlei in unseres Herrgotts Tiergar-
ten, woran man nie denken würde!
Als Eugen einige Tage später am Spätnach-
mittag von der Hochschule nach Hause kam, fand
er Charles auf seinem Sofa liegend vor. Faul
drehte er bei Eugens Eintritt den Kopf und
gähnte.
„Tag, Eugen! Entschuldige, bitte, daß ich so
ohne weiteres in Deine Bude eingebrochen bin,
aber «teils wollte ich Dich begrüßen, teils hatte
ich eine unbezähmbare Lust zu einem Mittags-
schläfchen. Und zu meiner Wohnung war es mir
zu weit. Also das Angenehme mit dem Nütz-
lichen verbinden! Ueberhaupt mein Prinzip."
(Fortsetzung folgt.)
 
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