Sette 2
Mittwoch, den 6. September 1S88
Nr. 204
nunterung; das eine Wort der Liebe aus
einem Munde zu hören hatte sie kommen las-
en! — Wenn er gesprochen, dann umbrauste
in Meer von Stimmen das weite Rund! —
kr war Vater von Allen; Hirt der ganzen
perde; Christian Schreiber war der Bischof
,er Berliner; „ihr" Bischof!
*
Ein letztes Bild erstand in diesen Tagen
wu in der Erinnerung. Vielleicht das schönste!
— Als Berlin zum Bistum erhoben war,
prach man viel von einem „politischen" Vis-
um. Aehnliche Eedankengänge sind beim Ab-
schuß des Reichskonkordates erneut aufgekom-
nen. Zweifellos kann die Stellung eines Bi-
chofs in der Reichshauptstadt eine ganz andere
ein oder werden. Er repräsentiert wie alle
mderen den Katholizismus. Am Sitze der
lleichsregierung immerhin eine ehrenvolle,
tber auch schwerere Aufgabe. Dieser Stellung
var er sich bewußt. Man sah ihn viel im
Kreise hoher führender deutscher und aus-
ändischer Politiker, bei diplomatischen Ver-
cnstaltungen und allen sonstigen Anlässen
k)ie allerletzte und auch die größte und kirch-
'ichste „Repräsentation" war zweifellos die
Fronleichnamsprozesston. Die erste „Bischofs"-
prozession war im Sommer 1930. Wie alljähr-
'ich so fand auch sie im Herzen von „Alt-
Serlin" an der Hedwigskirche zwischen den
Lankpalästen, dem Kronprinzenpalais, dem
Opernhaus, gegenüber der Universität statt.
Durch die Straßen der Hauptstadt trägt der
Bischof den Welterlöser in Vrotsgestalt. Unge-
lählte Menschen füllen den weiten Platz. Das
tzvangelium des letzten Altares ist verklungen;
las „Ts Osurn" ist angestimmt. Andächtig
.'niet die Menge nieder, um den bischöflichen
Segen zu empfangen. Der Bischof steigt, im
zollen Ornat mit Mitra und Hirtenstab, die
Stufen zur Hedwigskirche empor und segnet
sie Menge und die Millionenstadt. — Und
dann. Dann kommt jener Augenblick, den ich
nie vergessen werde. Im Ornat steigt er einige
Stufen herab und nun beginnt die Begrüßung.
Zunächst der Kanzler des Reiches und seine
Minister, dann die Minister der Länder, die
Geschäftsträger der deutschen Staaten in Ber-
lin, es folgen die Vertreter der Behörden,
Männer aus Wissenschaft und Wirtschaft und
zuletzt begrüßt er in dem Leiter der Berliner
Katholischen Aktion das gesamte katholische
Volk seines Bistums! — Ein Symbol! Ein
herrliches Symbol! Mögen die Personen wech-
seln! Sie stehen in diesem Augenblick nicht im
Vordergrund. Doch die schönste symbolische
Vereinigung der Kräfte von Volk und Staat
mit der Kirche! —
*
Wen man den toten Bischof zu Grabe trägt,
dann gehen im Geiste viele aus den weiten
Gauen des Reiches mit und geben ihm das
Geleit zur ewigen Ruhe!
E. Traumann.
München. Reichspräsident von Hindenburg
hat auf die Einladung des bayerischen Minister-
präsidenten, in diesem Jahre wieder einen Teil
keines Erholungsurlaubes in Bayern zu ver-
bringen, mitgeteilt, daß es ihm zu seinem leb-
haffsn Bedauern in diesem Jahve aus dienst-
lichen Gründen nicht möglich ist, Bayern wie-
der zu besuchen und von denn ihm eingeräumten
Jago recht gebrauch zu machen.
Das Nschossgesetz in der Generalsynode angenommen
Neue Bistümer in AltvreuHen / Die Gruppe „Evangelium und Kirche" verlaßt die Synode
Berlin, 5. Sept. Die erste Tagung der neuen
Eeneralsynode der Altpreußischen Union, der ein
Festgottesdienst in der Dreifaltigkeitskirche w r-
ausging, wurde am Dienstag nachmittag i n Sitz-
ungssaal des Herrenhauses eröffnet. Die Ta-
gung stand zunächst noch unter der Leitung Kes
'-räses der alten Eeneralsynode, D. Winalsr,
der die Verhandlung mit einer längeren Ansprache
einleitete. D. Winckler sprach den Wumch aus,
daß man bei jeder Aenderung der Verfassung mit
zarter Hand an die Gemeinden gehen möge,
die an ihrer Selbstverwaltung hingen uno ein
Recht dazu hätten. Der Pfarrerstand müsse wirt-
schaftlich und seelisch gesichert dastehen. Ein wei-
terer Wunsch, mit dem er von seinem Amt als
Präses scheide, sei, daß die Altpreußische Unron in
ihrem ganzen Bestand erhalten werde, denn üe sei
die Grundlage für die Union in ganz Deutschland.
Auf das Eigenleben der Kirchenprovinzen müsse
entsprechend Rücksicht genommen werden. Die Ee-
neralsynode wählte dann Rechtsanwalt Dr. Frdr.
Werner zu ihrem Präsidenten.
Gegen Schluß der heutigen Eröffnungssitzung der
Eeneralsynode gab Präses D. Ko ch im Namen der
Gruppe „Evangelium und Kirche" die Erklärung
ab, seine Gruppe sei zu der Generalsynode gekom-
men in der Hoffnung, daß ein endgültiger Schluß-
strich unter die Ereignisse der letzten Monate ge-
zogen und eine brüderliche Zusammenarbeit ge-
währleistet werde. In dieser Hoffnung sei man
Personen nichtarischer Abstammung oder mit einer
Person nichtarischer Abstammung Verheiratete we-
der als Geistliche noch als Beamte der allgemeinen
kirchlichen Verwaltung berufen werden dürfen.
Geistliche und Beamte arischer Abstammung, die
mit einer Person nichtarischer Abstammung die
Ehe eingehen, sind zu entlassen. Ferner bestimmt
das Beamtengesetz, daß als Geistlicher oder Beam-
ter nur der berufen werden kann, der die vorge-
schrllkiene Vorbildung besitzt und rückhaltlos für
den nationalen Staat und die deutsche e 'angelische
Kirche eintritt. Wer dafür nicht die Gewähr bie-
tet, * mn in den Ruhestand versetzt werden. Ebenso
sind Geistliche oder Beamte, die nichtarischer Ab-
sto—"ung oder mit einer Per' rischer Ab-
stammung verheiratet sind, in den Ruhestand zu
versetzen. A""^ohmen sind analog dem staatlichen
Beamtenges s nur bei Fronrmmpfern und wichen
Geistlichen und Beamten zulässig, die bereits seit
dem 1. August 1914 Geistliche oder Beamte der
Kirchs usw. waren.
AMlang der GeimMnM
Landesbischos Müller an die evangelischen
Brüder jenseits der Grenzen.
Berlin, 6. Sept. Die Eeneralsynode der alt-
preußischen Union trat heute zu einer kurzen Nacht-
sitzung zusammen, um die zweite Lesung der ver-
fassungsändernden Gesetze vorzunehmen. Die
Gruppe „Evangelium und Kirche" war zu der
Nachtsitzung nicht erschienen. Ohne Aussprache
wurde das Gesetz zur Schaffung des Bischofsamtes
und zur Errichtung der Bistümer einstimmig an-
genommen. Das Beamtengesetz, mit dem die Be-
stimmungen des Reichsgesetzes zur Wiederherstel-
lung des Verufsbeamtentums auf die Kirche über-
tragen werden, wurde gegen die Stimmen der Ee-
neralsuperintendenten mit Zweidrittelmehrheit
angenommen. Einstimmige Annahme sand das Ge-
setz, durch das die Generalsynode dem Kirchensenat
weitgehende Vollmachten erteilt. Ferner wurde
ein Gesetz über die Neubildung der kirchlichen Kör-
perschaften im Saargebiet verabschiedet.
Am Schluß der Synode gedachte Lanoesüischof
Müller der deutschen evangelischen Brüder jen-
seits der Grenzen. Er berührte das Schicks rl des
Memellandes, das in einem schweren Kampf stehe.
Ferner lenkte er die Gedanken hin zu den Glau-
bensbrüdern in Schlesien und Danzig und ver-
sicherte, daß die Heimatkirche sie in ihrem Kampf
um Glauben und Volkstum unterstütze. Ein be-
sonderes Wort widmete der Landesbischof den
Brüdern in Rußland. Er erklärte auch unter stür-
mischem Beifall der Synode, in dieser Stunde
feierlichen Protest vor der ganzen evangelischen
Welt gegen all das, was unseren evangelischen
Glaubensgenossen dort angetan wird, und ich rufe
das evangelische Deutschland zur Hilfe auf.
unbedingte Stärkung der japanischen
Wehrmacht
kämpfen.
Am Montag war auch das japanische Kabk»
nett unter Vorsitz des Ministerpräsidenten zu-
sammengetreten, um die allgemeine politische
Lage zu beraten. An der Sitzung haben Ver-
treter der japanischen Admiralität und de«
Generalstabes teilgenommen. Unter anderem
wurde die
Errichtung einer nationalen Diktatur
in Japan verlangt, wogegen sich Finanzmini-
ster Takahaschi aussprach und die Notwendig-
keit der Beibehaltung des parlamentarischen
Systems unterstrich. Wie es scheint, hat der
Standpunkt des Finanzministers keinen An-
klang im Kabinett gefunden.
Man rechnet damit, daß bei der Umbildung
des Kabinetts auf nationaler Grundlage Fi-
nanzminister Takahaschi sowie der japanische
Außenminister Utschida und zwei andere Re-
gierungsmitglieder ausscheiden.
London. Der amerikanische Delegierte „ zur
Abrüstungskonferenz Norman Davis erklärte,
die Bereinigten Staaten seien für eine Kontrolle
der Rüstungen, die nach amerikanischer Ansickst
notwendig sei und durch sine ständige KommE
sion durchgeführt werden müsse.
enttäuscht worden. Bei wichtigen Wahlen habe
man die Erundzüge der Verhältniswahl nicht an-
gewandt. Erst am Vorabend der Synode sei seiner
Gruppe der Gesetzentwurf über das Bischofs-
amt mitgeteilt worden, der in den Aufbau der
altpreußischen Landeskirche entscheidend eingreife.
Auch bei der Beschlußfassung über das Beam-
tengesetz, das die Grundsätze des staatlichen
Beamtenrechtes auf die Kirche übertrage, entstehe
die Frage, ob hier nicht der dritte Artikel des
Glaubensbekenntnisses verlegt wurde. Nach dreser
Erklärung verließ die Gruppe „Evangelium und
Kirche" geschlossen den Saal.
Das neue Bischofsgesetz und das Veamrengesetz
wurden dann mit der erforderlichen Zweidrittel-
mehrheit angenommen. Nach dem Bischofsgesetz
wird für das Gebiet der altpreußischen Landes-
kirche das Bischofsamt geschaffen und folgende
Bistümer errichtet:
Brandenburg, Kammin, Berlin, Danzig, Kö-
nigsberg, Breslau, Köln-Aachen, Magdeburg-
Halberstadt, Merseburg-Naumburg.
Un der Spitze des Bistums steht der Bischof, an
der Spitze der Landeskirche der LandesLischof, der
zugleich die evangelische Kirche der Altpreutzischen
Union vertritt. Ständiger Vertreter des Landes-
bischofs ist der Bischof von Brandenburg, der
gleichzeitig das Amt des geistlichen Vizepräsidenten
des Evangelischen Oberkirchenrates übernimmt.
Die Stelle des Präsidenten des Oberkirchenrates
wird mit einer Persönlichkeit besetzt, welche die
Befähigung zum Richteramt oder höherem Ver-
waltungsdienst aufweist. Wit der Errichtung des
Bischofsamtes wird das bisherige Amt der Gene-
ralsuperintendenten aufgehoben.
Das Beamtengesetz enthält u. a. den sogenann-
ten „ArierParagraph", der bestimmt, daß den. Die Parteien würden für eine
Mbildms der javanischen Negierung
Verständigung der beiden großen japanischen Parteien
Tokio, 8. Sept. Am Dienstag morgen ist es
zwischen den Führern der beiden großen japa-
nischen Parteien Minseito und Seiyukai zu
einer Verständigung über die Umbildung der
Regierung gekommen. Die beiden Parteien
haben eine gemeinsame Verlautba-
rung herausgegeben, in der es heißt, daß
die allgemeine politische Lage Japans zwinge,
die Parteifragen vorläufig zurückzustellen.
Der Augenblick fordere von den nationalen
japanischen Parteien den
Wiederaufbau und die Stärkung der
Zentralmacht der Negierung.
An der Spitze Japans müsse eine Regierung
stehen, die mit großen Vollmachten aus-
gerüstet, in der Lage sei, das Land zu regie-
ren, ohne Rücksicht auf die parlamentarischen
Gruppen. Es sei im Augenblick nicht die Zeit
dafür, das parlamentarische System umzu-
bauen, denn die innen- und außenpolitische
Lage fordere die Konzentrierung der
ganzen Kraft des Volkes in dem Ausbau ihrer
Wehrmacht. Des weiteren haben sich die Par-
teien dahin verständigt, daß eine Verminde-
rung der japanischen Armee und Marine nicht
in Frage kommen könne. Besonders in der
Frage der Seerüstung sind sich die beiden
Parteien einig. Die japanische Flotte sowie
die japanische Luftflotte sollen verstärkt wer-
AoAo
Roman von August Frank.
Urheberrechtsschutz durch Verlagsanstalt Manz,
Regensburg.
25) (Nachdruck verboten.)
Charles zog seinen Militärpaß aus der Brief-
tasche.
,Hier steht es schwär auf weiß. Am zehnten
Mobilmachungstage in der Kaserne des zwei-
ten Pionierregiments in Paris."
Eugen nahm das kleine Buch und blätterte
darin. Plötzlich mußte er lachen.
„Hör mal, es gab ja auch bei dir eine Zeit,
wo du ein schlanker Jüngling warst und es ist
jetzt gar nicht so lange her. Hier lese ich, wie
man sich 1908, als du zum aktiven Dienst ein-
tratest, beschrieben hat:
Mer: Zwanzig Jahre.
Größe: 1,68 Meter.
Gewicht: Neunundsechzig Kilogramm.
Figur: schlank.
Augenfarbe: braun.
Laß dich einmal anschauen. Was für ein
Rindvieh von Feldwebel hat denn Dein Haar
braun und deine Augen mit blau bezeichnet?"
Ein kleiner Lichtschein huschte über Charles
Gesicht, aber augenblicklich wurde er wieder
ernst. Er zuckte mit der Achsel.
„Ich weiß auch nicht, was er sich gedacht hat.
Das eine.stimmt, mein Haar war früher Hel-
ler. Das mit den Augen, will mir allerdings
nicht einleuchten. Ist ja auch egal. Vielleicht war
der Mann farbenblind!"
Eugen hatte unterdessen in dem Paß weiter-
geblättert und war damit fertig geworden. Er
klappte ihn zu und sah nachdenklich auf den
Umschlag. Da durchzuckte ein Gedanke sein Ge-
hirn, so toll und kühn, daß er ihn im selben
Moment, in dem er kam, schon wieder verwor-
fen hatte. Aber der Gedanke blieb da, ließ ihn
nicht locker und bohrte in ihm, so sehr er da-
gegen ankämpfte. Sein Herz fing wild zu schla-
gen an, die Brust wurde ihm eng, daß er tief
Luft holen mutzte. Erregt sprang er auf und
lief im Zimmer hin und her. In der dunklen
Zimmerecke blieb Eugen endlich stehen.
„Sag' mal, Charles, kennst du jemand ir
dem Regiment, in das du jetzt kommst?"
„Nicht, daß. ich wüßte."
„Und kennt dich vielleicht jemand?"
„Wahrscheinlich noch weniger. Ich bin vor
drei Jahren nach Absolvierung der Uebungen
in meinem Liller Stammregiment, als ich Un-
terleutnant wurde, in das Regiment versetzt wor-
den. Geübt habe ich in demselben nicht."
„Also du bist sicher, daß dich niemand kennt?"
„So gut wie sicher. Von Roubaix dient sicher
niemand in ihm, die Nordfranzosen kommen im
allgemeinen selten in ein Pariser Regiment."
Wieder lief Eugen aufgeregt hin und her.
Endlich fuhr er fort: „Du kommst zu einem
Territorialregiment, das neu zusammengestellt
wird?"
„Ja."
Kommen die Territorialregimenter wohl bald
ins Feld?"
„Ich glaube, bei anderen Waffengattungen
schon. Wie es bei den Pionieren ist, weiß ich
nicht. An die Frorst werden sie wohl kaum so-
fort kommen."
Eugen nahm seinen Spaziergang wieder auf.
Schließlich setzte er sich und blätterte wieder in
dem Paß. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft, je-
doch völlig klar. Es ging, es mußte gehen!
Wenn er an Charles. Stelle am zehnten in das
Regiment eintrat, merkte kein Mensch etwas.
So viel Kommandos wie ein französischer Som-
meroffizier kannte er auch; in den ersten Wo-
chen seines Hierseins hatte er sie unten an der
Seine oft genug gehört. Es konnte kaum etwas
passieren, Meuniers gab es ja genug. Warum
sollte es nicht zwei Charles Meunier aus Rou-
baix geben können! Selbst wenn zufällig jemand
aus Roubaix in der Kompagnie war, in die
er kam, war es nicht so schlimm. Wenn es nicht
zufällig ein Offizier wär, der Charles genau
kannte. Aber das war ja so gut wie ausgeschlos-
sen. Je mehr er darüber nachdachte, desto leich-
ter und einfacher kam ihm die Sache vor. Um
so größer wurde aber auch die Erregung bei
dem Gedanken an die Möglichkeiten, die sich ihm
als französischen Offizier für seine Spionage-
tätigkeit boten. Wenn er französischer Pionier-
offizier war, mußte er ja, so lange die Truppe
in Paris blieb, viel mehr über die Truppen-
bewegungen, den Aufmarsch und alle möglichen
wichtigen Dinge erfahren können! Er war dann
völlig unauffällig, konnte fragen, so viel er
wollte. Wenn es gelänge, in einen Stab her-
einzukommen! Es war nicht auszudenken, was
er da an Informationen erhalten konnte, die
für den deutschen Generalstab wichtig waren.
Auf einmal stand sein Entschluß fest. Ent-
schlossen zog er seine Brieftasche und nahm sei-
nen Paß heraus. Dafür steckte er Charles Mi-
litärpaß em. Charles, der voller Spannung
seine Bewegungen verfolgt hatte, zitterte vor
Erregung am ganzen Körper. In gieriger Hast
griff er über den Tisch und nahm Eugens Paß.
Aber ganz war er seiner Sache noch nicht sicher.
„Willst du?" fragte er heiser.
Eugen antwortete mit fester Stimme: „Ja."
In heißem Ueberschwang, aber wortlos sprang
Charles aus und umarmte den Freund. Die
Lösung der Spannung preßte ihm Tränen in
die Augen.
Dieser duldete es still, dann sagte er nur mit
einem Lächeln, hinter dem sich die Ironie ver-
steckte: „Wer weiß, vielleicht bin ich ein so wü-
tender Militarist, wie du Antimilitarist und du
hast mir einen größeren Gefallen erwiesen als
ich dir, indem du mir zum Militär verhalfst."
Dabei schaute er Charles so sonderbar an,
daß dieser verlegen wurde. Denn auch etwas
wie Verachtung glaubte er aus den Augen des
Freundes lesen zu können. Mit einem Schul-
iterzucken schüttelte er das kleine Unbehagen, das
er trotz aller Freude hatte, ab. Schließlich wars
ihm ja egal. Die Hauptsache war, er kam in
die Schweiz! Mochten andere sich tat oder zum
Krüppel schießen lassen. Auch Eugen!
Am nächsten Tag saß im D-Zug nach Genf
ein junger Mann, den niemand für Charles
Meunier gehalten hätte. An der Schweizer
Grenze übte Militär die Kontrolle aus. Der
kontrollierende Offizier verglich das Paßbild,
das den Studenten der Maschinenbautechnik
Meunier aus Toulouse vorstellte, lange mit dem
vor ihm Stehenden. Schließlich fand er doch,
daß alles stimmte. Wenn er allerdings in das
Innere des kontrollierten Reisenden hätte sehen
können, würde er gefunden haben, daß jeder
Nerv zum Zerreißen gespannt war. Mit einer
knappen Verbeugung gab er den Paß zurück.
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Im
Abteil erster Klasse warf sich Charles erschöpft,
aber strahlenden Gesichts ins Polster, als die
Grenze passiert war und der erste Schweizer
Poften sichtbar wurde. Daß er ^das Schmach-
vollste getan, was ein Mann tun kann, nämlich
das Vaterland in der Stunde der Not im Stiche
gelassen hatte, bedrückte ihn in diesem Augen-
blicke nicht.
7. K a p i t e l.
Am frühen Vormittag des 10. August 1914
ging ein Unterleutnant in Pionieruniform durch
das Kasernentor des zweiten französischen Pio-
nierregiments. In der Hand trug er einen klei-
nen Lederkoffer. Der Posten am Eingang salu-
tierte. Der Wachunteroffizier ließ ihn nach
Vorzeigen der Gestellungsordre glatt passieren.
Durch das gewölbartige Tor kam Eugen —
denn er war es — auf den großen Kasernen-
hof, auf dem reges Leben herrschte. Aus allen
Ecken und Enden schallten die Kommandos, der
ganze Kasernenhof wimmelte von kleinen Grup-
pen von Soldaten, die von Unteroffizieren un-
ter Aufsicht von da und dort stehenden Offizie-
ren einexerzivt wurden. Es waren meist Kriegs-
freiwillige, die erst einige Tage den Rock der
Republik trugen. Man sah es ihnen auch noch
deutlich an. Trotz der einheitlichen Uniformie-
rung trugen sie noch vielfach deutlich den Stem-
pel Ihres bürgerlichen Berufes, die Verschmel-
zung zu einer einheitlichen Masse war noch
nicht erfolgt. Man konnte noch den dürren
Schneider neben dem dicken Metzgergesellen und
den derben Bauernburschen neben dem gepfleg-
ten Pariser Studenten erkennen, Etwas im
Hintergründe wurde eben eine größere Abtei-
lung — es schien sich um ein Bataillon zu han-
deln — zum Abtransport ins Feld fertig ge-
macht.
(Fortsetzung folgt.)
Mittwoch, den 6. September 1S88
Nr. 204
nunterung; das eine Wort der Liebe aus
einem Munde zu hören hatte sie kommen las-
en! — Wenn er gesprochen, dann umbrauste
in Meer von Stimmen das weite Rund! —
kr war Vater von Allen; Hirt der ganzen
perde; Christian Schreiber war der Bischof
,er Berliner; „ihr" Bischof!
*
Ein letztes Bild erstand in diesen Tagen
wu in der Erinnerung. Vielleicht das schönste!
— Als Berlin zum Bistum erhoben war,
prach man viel von einem „politischen" Vis-
um. Aehnliche Eedankengänge sind beim Ab-
schuß des Reichskonkordates erneut aufgekom-
nen. Zweifellos kann die Stellung eines Bi-
chofs in der Reichshauptstadt eine ganz andere
ein oder werden. Er repräsentiert wie alle
mderen den Katholizismus. Am Sitze der
lleichsregierung immerhin eine ehrenvolle,
tber auch schwerere Aufgabe. Dieser Stellung
var er sich bewußt. Man sah ihn viel im
Kreise hoher führender deutscher und aus-
ändischer Politiker, bei diplomatischen Ver-
cnstaltungen und allen sonstigen Anlässen
k)ie allerletzte und auch die größte und kirch-
'ichste „Repräsentation" war zweifellos die
Fronleichnamsprozesston. Die erste „Bischofs"-
prozession war im Sommer 1930. Wie alljähr-
'ich so fand auch sie im Herzen von „Alt-
Serlin" an der Hedwigskirche zwischen den
Lankpalästen, dem Kronprinzenpalais, dem
Opernhaus, gegenüber der Universität statt.
Durch die Straßen der Hauptstadt trägt der
Bischof den Welterlöser in Vrotsgestalt. Unge-
lählte Menschen füllen den weiten Platz. Das
tzvangelium des letzten Altares ist verklungen;
las „Ts Osurn" ist angestimmt. Andächtig
.'niet die Menge nieder, um den bischöflichen
Segen zu empfangen. Der Bischof steigt, im
zollen Ornat mit Mitra und Hirtenstab, die
Stufen zur Hedwigskirche empor und segnet
sie Menge und die Millionenstadt. — Und
dann. Dann kommt jener Augenblick, den ich
nie vergessen werde. Im Ornat steigt er einige
Stufen herab und nun beginnt die Begrüßung.
Zunächst der Kanzler des Reiches und seine
Minister, dann die Minister der Länder, die
Geschäftsträger der deutschen Staaten in Ber-
lin, es folgen die Vertreter der Behörden,
Männer aus Wissenschaft und Wirtschaft und
zuletzt begrüßt er in dem Leiter der Berliner
Katholischen Aktion das gesamte katholische
Volk seines Bistums! — Ein Symbol! Ein
herrliches Symbol! Mögen die Personen wech-
seln! Sie stehen in diesem Augenblick nicht im
Vordergrund. Doch die schönste symbolische
Vereinigung der Kräfte von Volk und Staat
mit der Kirche! —
*
Wen man den toten Bischof zu Grabe trägt,
dann gehen im Geiste viele aus den weiten
Gauen des Reiches mit und geben ihm das
Geleit zur ewigen Ruhe!
E. Traumann.
München. Reichspräsident von Hindenburg
hat auf die Einladung des bayerischen Minister-
präsidenten, in diesem Jahre wieder einen Teil
keines Erholungsurlaubes in Bayern zu ver-
bringen, mitgeteilt, daß es ihm zu seinem leb-
haffsn Bedauern in diesem Jahve aus dienst-
lichen Gründen nicht möglich ist, Bayern wie-
der zu besuchen und von denn ihm eingeräumten
Jago recht gebrauch zu machen.
Das Nschossgesetz in der Generalsynode angenommen
Neue Bistümer in AltvreuHen / Die Gruppe „Evangelium und Kirche" verlaßt die Synode
Berlin, 5. Sept. Die erste Tagung der neuen
Eeneralsynode der Altpreußischen Union, der ein
Festgottesdienst in der Dreifaltigkeitskirche w r-
ausging, wurde am Dienstag nachmittag i n Sitz-
ungssaal des Herrenhauses eröffnet. Die Ta-
gung stand zunächst noch unter der Leitung Kes
'-räses der alten Eeneralsynode, D. Winalsr,
der die Verhandlung mit einer längeren Ansprache
einleitete. D. Winckler sprach den Wumch aus,
daß man bei jeder Aenderung der Verfassung mit
zarter Hand an die Gemeinden gehen möge,
die an ihrer Selbstverwaltung hingen uno ein
Recht dazu hätten. Der Pfarrerstand müsse wirt-
schaftlich und seelisch gesichert dastehen. Ein wei-
terer Wunsch, mit dem er von seinem Amt als
Präses scheide, sei, daß die Altpreußische Unron in
ihrem ganzen Bestand erhalten werde, denn üe sei
die Grundlage für die Union in ganz Deutschland.
Auf das Eigenleben der Kirchenprovinzen müsse
entsprechend Rücksicht genommen werden. Die Ee-
neralsynode wählte dann Rechtsanwalt Dr. Frdr.
Werner zu ihrem Präsidenten.
Gegen Schluß der heutigen Eröffnungssitzung der
Eeneralsynode gab Präses D. Ko ch im Namen der
Gruppe „Evangelium und Kirche" die Erklärung
ab, seine Gruppe sei zu der Generalsynode gekom-
men in der Hoffnung, daß ein endgültiger Schluß-
strich unter die Ereignisse der letzten Monate ge-
zogen und eine brüderliche Zusammenarbeit ge-
währleistet werde. In dieser Hoffnung sei man
Personen nichtarischer Abstammung oder mit einer
Person nichtarischer Abstammung Verheiratete we-
der als Geistliche noch als Beamte der allgemeinen
kirchlichen Verwaltung berufen werden dürfen.
Geistliche und Beamte arischer Abstammung, die
mit einer Person nichtarischer Abstammung die
Ehe eingehen, sind zu entlassen. Ferner bestimmt
das Beamtengesetz, daß als Geistlicher oder Beam-
ter nur der berufen werden kann, der die vorge-
schrllkiene Vorbildung besitzt und rückhaltlos für
den nationalen Staat und die deutsche e 'angelische
Kirche eintritt. Wer dafür nicht die Gewähr bie-
tet, * mn in den Ruhestand versetzt werden. Ebenso
sind Geistliche oder Beamte, die nichtarischer Ab-
sto—"ung oder mit einer Per' rischer Ab-
stammung verheiratet sind, in den Ruhestand zu
versetzen. A""^ohmen sind analog dem staatlichen
Beamtenges s nur bei Fronrmmpfern und wichen
Geistlichen und Beamten zulässig, die bereits seit
dem 1. August 1914 Geistliche oder Beamte der
Kirchs usw. waren.
AMlang der GeimMnM
Landesbischos Müller an die evangelischen
Brüder jenseits der Grenzen.
Berlin, 6. Sept. Die Eeneralsynode der alt-
preußischen Union trat heute zu einer kurzen Nacht-
sitzung zusammen, um die zweite Lesung der ver-
fassungsändernden Gesetze vorzunehmen. Die
Gruppe „Evangelium und Kirche" war zu der
Nachtsitzung nicht erschienen. Ohne Aussprache
wurde das Gesetz zur Schaffung des Bischofsamtes
und zur Errichtung der Bistümer einstimmig an-
genommen. Das Beamtengesetz, mit dem die Be-
stimmungen des Reichsgesetzes zur Wiederherstel-
lung des Verufsbeamtentums auf die Kirche über-
tragen werden, wurde gegen die Stimmen der Ee-
neralsuperintendenten mit Zweidrittelmehrheit
angenommen. Einstimmige Annahme sand das Ge-
setz, durch das die Generalsynode dem Kirchensenat
weitgehende Vollmachten erteilt. Ferner wurde
ein Gesetz über die Neubildung der kirchlichen Kör-
perschaften im Saargebiet verabschiedet.
Am Schluß der Synode gedachte Lanoesüischof
Müller der deutschen evangelischen Brüder jen-
seits der Grenzen. Er berührte das Schicks rl des
Memellandes, das in einem schweren Kampf stehe.
Ferner lenkte er die Gedanken hin zu den Glau-
bensbrüdern in Schlesien und Danzig und ver-
sicherte, daß die Heimatkirche sie in ihrem Kampf
um Glauben und Volkstum unterstütze. Ein be-
sonderes Wort widmete der Landesbischof den
Brüdern in Rußland. Er erklärte auch unter stür-
mischem Beifall der Synode, in dieser Stunde
feierlichen Protest vor der ganzen evangelischen
Welt gegen all das, was unseren evangelischen
Glaubensgenossen dort angetan wird, und ich rufe
das evangelische Deutschland zur Hilfe auf.
unbedingte Stärkung der japanischen
Wehrmacht
kämpfen.
Am Montag war auch das japanische Kabk»
nett unter Vorsitz des Ministerpräsidenten zu-
sammengetreten, um die allgemeine politische
Lage zu beraten. An der Sitzung haben Ver-
treter der japanischen Admiralität und de«
Generalstabes teilgenommen. Unter anderem
wurde die
Errichtung einer nationalen Diktatur
in Japan verlangt, wogegen sich Finanzmini-
ster Takahaschi aussprach und die Notwendig-
keit der Beibehaltung des parlamentarischen
Systems unterstrich. Wie es scheint, hat der
Standpunkt des Finanzministers keinen An-
klang im Kabinett gefunden.
Man rechnet damit, daß bei der Umbildung
des Kabinetts auf nationaler Grundlage Fi-
nanzminister Takahaschi sowie der japanische
Außenminister Utschida und zwei andere Re-
gierungsmitglieder ausscheiden.
London. Der amerikanische Delegierte „ zur
Abrüstungskonferenz Norman Davis erklärte,
die Bereinigten Staaten seien für eine Kontrolle
der Rüstungen, die nach amerikanischer Ansickst
notwendig sei und durch sine ständige KommE
sion durchgeführt werden müsse.
enttäuscht worden. Bei wichtigen Wahlen habe
man die Erundzüge der Verhältniswahl nicht an-
gewandt. Erst am Vorabend der Synode sei seiner
Gruppe der Gesetzentwurf über das Bischofs-
amt mitgeteilt worden, der in den Aufbau der
altpreußischen Landeskirche entscheidend eingreife.
Auch bei der Beschlußfassung über das Beam-
tengesetz, das die Grundsätze des staatlichen
Beamtenrechtes auf die Kirche übertrage, entstehe
die Frage, ob hier nicht der dritte Artikel des
Glaubensbekenntnisses verlegt wurde. Nach dreser
Erklärung verließ die Gruppe „Evangelium und
Kirche" geschlossen den Saal.
Das neue Bischofsgesetz und das Veamrengesetz
wurden dann mit der erforderlichen Zweidrittel-
mehrheit angenommen. Nach dem Bischofsgesetz
wird für das Gebiet der altpreußischen Landes-
kirche das Bischofsamt geschaffen und folgende
Bistümer errichtet:
Brandenburg, Kammin, Berlin, Danzig, Kö-
nigsberg, Breslau, Köln-Aachen, Magdeburg-
Halberstadt, Merseburg-Naumburg.
Un der Spitze des Bistums steht der Bischof, an
der Spitze der Landeskirche der LandesLischof, der
zugleich die evangelische Kirche der Altpreutzischen
Union vertritt. Ständiger Vertreter des Landes-
bischofs ist der Bischof von Brandenburg, der
gleichzeitig das Amt des geistlichen Vizepräsidenten
des Evangelischen Oberkirchenrates übernimmt.
Die Stelle des Präsidenten des Oberkirchenrates
wird mit einer Persönlichkeit besetzt, welche die
Befähigung zum Richteramt oder höherem Ver-
waltungsdienst aufweist. Wit der Errichtung des
Bischofsamtes wird das bisherige Amt der Gene-
ralsuperintendenten aufgehoben.
Das Beamtengesetz enthält u. a. den sogenann-
ten „ArierParagraph", der bestimmt, daß den. Die Parteien würden für eine
Mbildms der javanischen Negierung
Verständigung der beiden großen japanischen Parteien
Tokio, 8. Sept. Am Dienstag morgen ist es
zwischen den Führern der beiden großen japa-
nischen Parteien Minseito und Seiyukai zu
einer Verständigung über die Umbildung der
Regierung gekommen. Die beiden Parteien
haben eine gemeinsame Verlautba-
rung herausgegeben, in der es heißt, daß
die allgemeine politische Lage Japans zwinge,
die Parteifragen vorläufig zurückzustellen.
Der Augenblick fordere von den nationalen
japanischen Parteien den
Wiederaufbau und die Stärkung der
Zentralmacht der Negierung.
An der Spitze Japans müsse eine Regierung
stehen, die mit großen Vollmachten aus-
gerüstet, in der Lage sei, das Land zu regie-
ren, ohne Rücksicht auf die parlamentarischen
Gruppen. Es sei im Augenblick nicht die Zeit
dafür, das parlamentarische System umzu-
bauen, denn die innen- und außenpolitische
Lage fordere die Konzentrierung der
ganzen Kraft des Volkes in dem Ausbau ihrer
Wehrmacht. Des weiteren haben sich die Par-
teien dahin verständigt, daß eine Verminde-
rung der japanischen Armee und Marine nicht
in Frage kommen könne. Besonders in der
Frage der Seerüstung sind sich die beiden
Parteien einig. Die japanische Flotte sowie
die japanische Luftflotte sollen verstärkt wer-
AoAo
Roman von August Frank.
Urheberrechtsschutz durch Verlagsanstalt Manz,
Regensburg.
25) (Nachdruck verboten.)
Charles zog seinen Militärpaß aus der Brief-
tasche.
,Hier steht es schwär auf weiß. Am zehnten
Mobilmachungstage in der Kaserne des zwei-
ten Pionierregiments in Paris."
Eugen nahm das kleine Buch und blätterte
darin. Plötzlich mußte er lachen.
„Hör mal, es gab ja auch bei dir eine Zeit,
wo du ein schlanker Jüngling warst und es ist
jetzt gar nicht so lange her. Hier lese ich, wie
man sich 1908, als du zum aktiven Dienst ein-
tratest, beschrieben hat:
Mer: Zwanzig Jahre.
Größe: 1,68 Meter.
Gewicht: Neunundsechzig Kilogramm.
Figur: schlank.
Augenfarbe: braun.
Laß dich einmal anschauen. Was für ein
Rindvieh von Feldwebel hat denn Dein Haar
braun und deine Augen mit blau bezeichnet?"
Ein kleiner Lichtschein huschte über Charles
Gesicht, aber augenblicklich wurde er wieder
ernst. Er zuckte mit der Achsel.
„Ich weiß auch nicht, was er sich gedacht hat.
Das eine.stimmt, mein Haar war früher Hel-
ler. Das mit den Augen, will mir allerdings
nicht einleuchten. Ist ja auch egal. Vielleicht war
der Mann farbenblind!"
Eugen hatte unterdessen in dem Paß weiter-
geblättert und war damit fertig geworden. Er
klappte ihn zu und sah nachdenklich auf den
Umschlag. Da durchzuckte ein Gedanke sein Ge-
hirn, so toll und kühn, daß er ihn im selben
Moment, in dem er kam, schon wieder verwor-
fen hatte. Aber der Gedanke blieb da, ließ ihn
nicht locker und bohrte in ihm, so sehr er da-
gegen ankämpfte. Sein Herz fing wild zu schla-
gen an, die Brust wurde ihm eng, daß er tief
Luft holen mutzte. Erregt sprang er auf und
lief im Zimmer hin und her. In der dunklen
Zimmerecke blieb Eugen endlich stehen.
„Sag' mal, Charles, kennst du jemand ir
dem Regiment, in das du jetzt kommst?"
„Nicht, daß. ich wüßte."
„Und kennt dich vielleicht jemand?"
„Wahrscheinlich noch weniger. Ich bin vor
drei Jahren nach Absolvierung der Uebungen
in meinem Liller Stammregiment, als ich Un-
terleutnant wurde, in das Regiment versetzt wor-
den. Geübt habe ich in demselben nicht."
„Also du bist sicher, daß dich niemand kennt?"
„So gut wie sicher. Von Roubaix dient sicher
niemand in ihm, die Nordfranzosen kommen im
allgemeinen selten in ein Pariser Regiment."
Wieder lief Eugen aufgeregt hin und her.
Endlich fuhr er fort: „Du kommst zu einem
Territorialregiment, das neu zusammengestellt
wird?"
„Ja."
Kommen die Territorialregimenter wohl bald
ins Feld?"
„Ich glaube, bei anderen Waffengattungen
schon. Wie es bei den Pionieren ist, weiß ich
nicht. An die Frorst werden sie wohl kaum so-
fort kommen."
Eugen nahm seinen Spaziergang wieder auf.
Schließlich setzte er sich und blätterte wieder in
dem Paß. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft, je-
doch völlig klar. Es ging, es mußte gehen!
Wenn er an Charles. Stelle am zehnten in das
Regiment eintrat, merkte kein Mensch etwas.
So viel Kommandos wie ein französischer Som-
meroffizier kannte er auch; in den ersten Wo-
chen seines Hierseins hatte er sie unten an der
Seine oft genug gehört. Es konnte kaum etwas
passieren, Meuniers gab es ja genug. Warum
sollte es nicht zwei Charles Meunier aus Rou-
baix geben können! Selbst wenn zufällig jemand
aus Roubaix in der Kompagnie war, in die
er kam, war es nicht so schlimm. Wenn es nicht
zufällig ein Offizier wär, der Charles genau
kannte. Aber das war ja so gut wie ausgeschlos-
sen. Je mehr er darüber nachdachte, desto leich-
ter und einfacher kam ihm die Sache vor. Um
so größer wurde aber auch die Erregung bei
dem Gedanken an die Möglichkeiten, die sich ihm
als französischen Offizier für seine Spionage-
tätigkeit boten. Wenn er französischer Pionier-
offizier war, mußte er ja, so lange die Truppe
in Paris blieb, viel mehr über die Truppen-
bewegungen, den Aufmarsch und alle möglichen
wichtigen Dinge erfahren können! Er war dann
völlig unauffällig, konnte fragen, so viel er
wollte. Wenn es gelänge, in einen Stab her-
einzukommen! Es war nicht auszudenken, was
er da an Informationen erhalten konnte, die
für den deutschen Generalstab wichtig waren.
Auf einmal stand sein Entschluß fest. Ent-
schlossen zog er seine Brieftasche und nahm sei-
nen Paß heraus. Dafür steckte er Charles Mi-
litärpaß em. Charles, der voller Spannung
seine Bewegungen verfolgt hatte, zitterte vor
Erregung am ganzen Körper. In gieriger Hast
griff er über den Tisch und nahm Eugens Paß.
Aber ganz war er seiner Sache noch nicht sicher.
„Willst du?" fragte er heiser.
Eugen antwortete mit fester Stimme: „Ja."
In heißem Ueberschwang, aber wortlos sprang
Charles aus und umarmte den Freund. Die
Lösung der Spannung preßte ihm Tränen in
die Augen.
Dieser duldete es still, dann sagte er nur mit
einem Lächeln, hinter dem sich die Ironie ver-
steckte: „Wer weiß, vielleicht bin ich ein so wü-
tender Militarist, wie du Antimilitarist und du
hast mir einen größeren Gefallen erwiesen als
ich dir, indem du mir zum Militär verhalfst."
Dabei schaute er Charles so sonderbar an,
daß dieser verlegen wurde. Denn auch etwas
wie Verachtung glaubte er aus den Augen des
Freundes lesen zu können. Mit einem Schul-
iterzucken schüttelte er das kleine Unbehagen, das
er trotz aller Freude hatte, ab. Schließlich wars
ihm ja egal. Die Hauptsache war, er kam in
die Schweiz! Mochten andere sich tat oder zum
Krüppel schießen lassen. Auch Eugen!
Am nächsten Tag saß im D-Zug nach Genf
ein junger Mann, den niemand für Charles
Meunier gehalten hätte. An der Schweizer
Grenze übte Militär die Kontrolle aus. Der
kontrollierende Offizier verglich das Paßbild,
das den Studenten der Maschinenbautechnik
Meunier aus Toulouse vorstellte, lange mit dem
vor ihm Stehenden. Schließlich fand er doch,
daß alles stimmte. Wenn er allerdings in das
Innere des kontrollierten Reisenden hätte sehen
können, würde er gefunden haben, daß jeder
Nerv zum Zerreißen gespannt war. Mit einer
knappen Verbeugung gab er den Paß zurück.
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Im
Abteil erster Klasse warf sich Charles erschöpft,
aber strahlenden Gesichts ins Polster, als die
Grenze passiert war und der erste Schweizer
Poften sichtbar wurde. Daß er ^das Schmach-
vollste getan, was ein Mann tun kann, nämlich
das Vaterland in der Stunde der Not im Stiche
gelassen hatte, bedrückte ihn in diesem Augen-
blicke nicht.
7. K a p i t e l.
Am frühen Vormittag des 10. August 1914
ging ein Unterleutnant in Pionieruniform durch
das Kasernentor des zweiten französischen Pio-
nierregiments. In der Hand trug er einen klei-
nen Lederkoffer. Der Posten am Eingang salu-
tierte. Der Wachunteroffizier ließ ihn nach
Vorzeigen der Gestellungsordre glatt passieren.
Durch das gewölbartige Tor kam Eugen —
denn er war es — auf den großen Kasernen-
hof, auf dem reges Leben herrschte. Aus allen
Ecken und Enden schallten die Kommandos, der
ganze Kasernenhof wimmelte von kleinen Grup-
pen von Soldaten, die von Unteroffizieren un-
ter Aufsicht von da und dort stehenden Offizie-
ren einexerzivt wurden. Es waren meist Kriegs-
freiwillige, die erst einige Tage den Rock der
Republik trugen. Man sah es ihnen auch noch
deutlich an. Trotz der einheitlichen Uniformie-
rung trugen sie noch vielfach deutlich den Stem-
pel Ihres bürgerlichen Berufes, die Verschmel-
zung zu einer einheitlichen Masse war noch
nicht erfolgt. Man konnte noch den dürren
Schneider neben dem dicken Metzgergesellen und
den derben Bauernburschen neben dem gepfleg-
ten Pariser Studenten erkennen, Etwas im
Hintergründe wurde eben eine größere Abtei-
lung — es schien sich um ein Bataillon zu han-
deln — zum Abtransport ins Feld fertig ge-
macht.
(Fortsetzung folgt.)