«uch Harry, der in einer Hängematte lag. Er war eben im Begriff,
dem neben ihm sitzenden Forster eine Auseinandersetzung zu machen.
Während ich keinen Blick von der Gesellschaft verwendete befestigte
ich den mitgebrachten Sack hinter dem Sattel Hatatitlas. Das brave
Tier hatte sich das Lederzeug nicht abnehmen lassen; hätte ich, als
Forster mit ihm davonritt, einen Pfiff ausgestotzen, so hätte es ihn
sicher abgeworfen und wäre zu mir zurückgekommen.
„Es ist ein unnützes und lästerliches Unternehmen, dear uncle, und
du hast dir die Sache wohl nicht richtig berechnet," hörte ich den Kna-
ben sagen.
„Willst du mich etwa das Plänemachen lehren? Die Oelpreise find
nur deshalb so gedrückt, weil die Quellen zu viel liefern. Wenn wir
also, eine wie der andre, das Oel so einen Monat lang ablaufen
lasten, so muß es wieder teuer werden, und wir machen Geschäfte,
gute Geschäfte, sage ich dir. Und diesen Kniff werden wir ausführen;
es ist so beschlossen, und ein jeder wird sein Versprechen halten. Ich
; laste aus dem untern Loch jetzt alles in unfern Venango-River fließen;
bis die Preise steigen, werden wir mit dem Bohrer weiter oben auch
auf Oel getroffen sein, und da ich einen hinreichenden Vorrat von
; Fässern habe, so schicke ich dann im Verlauf von wenigen Tagen eine
Menge Oel nach dem Osten, die mir Hunderttausende einbringt."
,^vas ist kein ehrliches Unternehmen, und mir scheint auch, ihr habt
; die Quellen drüben im alten Land und sonst noch wo dabei außer
! acht gelassen. Euer Verhalten wird den Wettbewerb dort sofort zur
äußersten Anstrengung spornen; ihr selber gebt also dem noch schla-
° senden Gegner die Waffen in die Hand. Uebrigens find ja die hier
' in den Staaten aufgestapelten Vorräte so groß, daß sie für geraume
: Zeit zureichen."
„Du kennst den ungeheuren Bedarf nicht und hast also gar kein
Urteil, bist dafür überhaupt noch zu jung."
„Das müßte denn doch erst bewiesen werden!"
„Der Beweis liegt nahe. Hast du mir nicht vorhin erst gestanden,
' daß du dich in dem Woodsmann, oder was der Mensch eigentlich war,
getäuscht hast? Ich hätte mir niemals träumen lasten, daß es dir in
solcher Gesellschaft gefallen könnte!"
Ich sah Harry erröten, aber er antwortete schnell:
„Ich bin in solcher Gesellschaft ausgewachsen, das weißt du ja, habe
mein Leben bisher in den „dunklen Gründen" verbracht und müßte
den Vater nicht im geringsten lieb haben, wenn ich diese „Gesellschaft"
bloß um ihrer äußern Erscheinung willen verachten könnte. Es gibt
Männer darunter, denen gar mancher Eurer vornehmen Eentlemen
und stolzen Geldbarone an innerm Wert nicht gewachsen ist. Und übri-
gens ist ja heut von einer Täuschung keine Rede, denn ich sagte nur,
daß er mir erst anders geschienen haue, und zwischen Vermutung
und Behauptung pflege ich einen Unterschied zu machen."
Forster wollte eine Entgegnung aussprechen, kam aber nicht dazu,
denn in diesem Augenblick geschah ein Donnerschlag, als sei die Erde
mitten unter uns auseinandergeborsten. Der Boden erzitterte, und
als ich das Auge erschrocken seitwärts wandte, sah ich im obern Teil
^des Tals, da, wo der Erdbohrer tätig gewesen war, einen glühenden
, Feuerstrom fast fünfzig Fuß senkrecht in die Höhe steigen; oben floß er
flackernd breit auseinander, sank wieder zur Erde nieder und über-
schwemmte mit reißender Schnelligkeit das abfallende Gelände. Zu-
gleich drang ein scharfer, stechender Gasgeruch in die Atmungswerk-
zeuge, und die Luft schien von flüssigem Feuer erfüllt zu sein.
Ich kannte diese furchtbare Erscheinung, denn ich hatte sie im Kä-
snawhatale in ihrer ganzen Schrecklichkeit gesehn, und stand mit einem
einzigen Sprung mitten unter der vor Schrick todesstarren Gesellschaft.
„Löscht die Lichter aus, schnell, die Lichter aus! Der Bohrer ist auf
Oel getroffen, und ihr habt versäumt, alles Feuer in der Nähe zu
! verbieten. Nun breiten sich die Gase aus und haben sich entzündet.
!Lichter aus, sonst brennt in zwei Minuten das ganze Tal!" rief ich.
Ich sprang von einem der brennenden Armleuchter zum andern,
aber im oberen Zimmer brannten die Lampen auch, und drüben vom
s Store her sah ich ebenfalls Lichtschimmer. Dazu hatte die Flut des
hochaufsprühenden Oels, das sich mit unglaublicher Raschheit über das
s ganze obere Tal ausbreitete, jetzt den Fluß erreicht, und nun galt es,
alles einzusetzen für das nackte bloße Leben.
„Rettet euch, ihr Leute! Lauft, lauft um Gottes willen! Sucht die
Höhen zu gewinnen!" schrie ich fort.
Mich um weiter niemand kümernd, riß ich Harry in meine Arme
und sah im nächsten Augenblick mit ihm im Sattel. Harry, der mein
Verhalten mißverstand, und die Größe der Gefahr nicht erkannte,
sträubte sich mit Aufbietung aller Kräfte gegen die Umschlingung;
aber da man in solchen Augenblicken stets eine aufs äußerste gestei-
gerte Körperstärke besitzt, so verschwand auch diese Anstrengung ganz
unter der Gewalt, mit der ich ihn festhielt, und in rasendem Lauf trug
Hatatitla, dessen Selbsterhaltungstrieb die Führung des Zügels und
den Gebrauch der Sporen überflüssig machte, uns stromabwärts.
Der Bergpfad, den wir von der Savannenhöhe nach New-Venango
herabgestiegen waren, war jetzt nicht mehr zu erreichen, denn der Glut-
strom war schon an ihm »orübergeflutet. Nur abwärts konnten wir
Rettung finden; aber ich hatte dort am Tag nichts einer Straße Ähn-
liches bemerkt nud im Gegenteil gesehn, daß die Felswände da so eng
zusammentraten, daß sich der Fluß nur schäumend de» Ausweg erzwin-
gen konnte.
„Sagt", rief ich in ängstlicher Hast, gibt es einen Weg, der hier
unten aus dem Tal führt?"
„Nein, nein!" stöhnte Harry unter der krampfhaften Anstrengung,
von mir loszukommen. „Laßt mich fahren, sage ich Euch. Ich brauche
Euch nicht, ich bin mir selber Schutz genug!"
Natürlich konnte ich auf dieses Verlangen nicht achten und musterte
mit Aufmerksamkeit den nahe zusammentretenden Gesichtskreis, den
die beiden schroff aufsteigenden Talwände bildeten. Da fühlte ich
einen Druck in der Eürtelgegend, und zugleich keuchte der Knabe:
„Was wollt Ihr mit mir? Laßt mich los oder ich stoße Euch Euer
eignes Mester in den Leib!"
Ich sah eine Klinge in seiner Hand funkeln; er hatte mein Bowie-
messer an sich gerissen. Ich hatte keine Zeit zu einer langen Auseinan-
dersetzung, sondern vereinte nur mit einem raschen Griff seine beiden
Handgelenke in meiner Rechten, während ich ihn mit dem linken
Arm immer fester umschloß.
Mit jeder Sekunde wuchs die Gefahr. Der glühende Strom hatte
die Lagerräume erreicht, und nun sprangen die Fässer mit kanonen-
schußähnlichem Knall und ergossen ihren hell auflodernden Inhalt in
das ständig anwachsende und immer rascher vorwärts schreitende
Feuermeer. Die Luft war zum Ersticken heiß; ich hatte das Gefühl,
als kochte ich in einem Topf siedenden Masters, und dabei wuchsen
Hitze und Trockenheit mit solcher Geschwindigkeit, daß ich innerlich zu
brennen vereinte. Fast wollten mir die Sinne schwinden; aber ich
durfte diesem -efühl nicht nachgeben; es galt nicht bloß mein Leben,
sondern noch viel mehr das des Knaben.
„Lome on, Hatatitla, voran, voran, Hat —!"
Die fürchterliche Hitze versengte mir das Wort im Mund; ich konnte
nicht weiter sprechen. Aber ein solcher Zuruf war auch gar nicht not-
wendig, denn das brave, herrliche Tier raste mit einer schier un-
möglichen Geschwindigkeit dahin. So viel sah ich, diesseits des Flusses
war kein Ausweg. Die Flammen beleuchteten die Felswände hell
genug, um erkennen zu lassen, daß die Schroffen nicht zu erklimmen
waren. Deshalb ins Master, ins Master — hinüber auf die andre
Seite!
Ein leiser Schenkeldruck — ein Sprung des gehorsamen Mustangs,
und hochauf schlugen die Wellen über uns zusammen. Ich fühlte neue
Kraft,, neues Leben durch meine Adern strömen. Freilich war das
Pferd unter mir verschwunden. Doch das war jetzt gleich; nur hin-
über — immer hinüber! Hatatitla war schneller gewesen als die feu-
rige Lohe; jetzt aber kam sie flammend und himmelhoch züngelnd Len
Fluß herbgewälzt und fand in dem aus der Quelle abgeleiteten Pe-
troleum immer neue Nahrung. In einer Minute, vielleicht schon in
einer Sekunde mußte sie mich erreichen. Der Knabe hing jetzt bew^.e-
los mit todesstarren Armen an mir; ich schwamm wie noch nie, nie
in meinem Leben, oder nein, ich schwamm nicht, sondern schnellte mich
in wahnsinnigen Sätzen über die von- zuckenden Lichtern bis auf den
Grund hinab durchblitzte Flut. Ich fühlte eine Angst, so furchtbar —>
so furchtbar! — Da schnaubte es an meiner Seite. „Hatatitla, du
treuer, wackrer — bist du's?" Hier ist das Ufer — wieder in den
Sattel — ich komme nicht hinauf — es ist, als wäre mir das innerste
Mark verdorrt — Herr Gott, hilf, ich kann nicht liegen bleiben —>
noch einmal, es gelingt-„Hatatitla, fort — fort-wohin du
willst, nur hinaus, hinaus aus diesem Höllenbrand!"
Es ging weiter, nur das wußte ich; wohin, danach fragte ich nicht,
die Augen lagen mir wie geschmolzenes Metall in ihren Höhlen, und
das von ihnen aufgefangene Licht wollte mir das Hirn verbrennen;
die Zunge strebte zwischen den trocknen Lippen hervor; ich hatte durch
den ganzen Körper ein Gefühl, als bestände er aus glimmendem
Schwamm, dessen lockere Asche jeden Augenblick auseinanderfallen
könnte. Das Pferd unter mir schnaubte und stöhnte mit fast mensch-
lichem Wehlaut; es lief, es sprang, es kletterte, es schoß über Felsen,
Vorsprünge, Riste, Kanten und Spitzen mit tigergleichen, mit schlan-
genartigen Bewegungen. Ich hatte mit der Rechten seinen Hals um-
klammert und hielt mit der Linken noch immer den Knaben fest. Noch
einen Satz, einen weiten, fürchterlichen Satz — endlich, endlich ist die
Felswand überwunden — noch einige hundert Schritte vom Feuer
hinweg und in die Prärie hinein, und Hatatitla blieb stehn; ich sank
vom Sattel zur Erde nieder.
Die Aufregung, die lleberanstrengung der Sinne war so groß, daß
sie die Ohnmacht besiegte, die sich meiner bemächtigen wollte. Ich
raffte mich langsam wieder auf, schlang die Arme um den Hals des
treuen, unvergleichlichen Tieres, das an allen Gliedern zitterte, und
küßte es unter krampfhaftem Weinen mit einer Inbrunst, wie wohl
selten ein Liebender die Auserwählte seines Herzens geküßt hat.
„Hatatitla, du köstlicher, ich danke dir, du hast mich, du hast uns
beide erhalten. Diese Stunde soll dir nie vergessen werden!"
Der Himmel glänzte blutigrot, und der Brodem der entfesselten
Naturkraft ruhte in dichten, schwarzen, von purpurnen Strahlen
durchbrochne« Ballen Sber dem Herd der Berwüstung. Aber ich hatte
bei»« Zeit zu diese» Betracht»»-«,, de»« »ar Mr lag, das Mester
«ach immer krampfhaft festhaltend, Harry, bleich, kalt »ud starr, so
daß ich ihn tot glaubte, ertrunken in den Fluten des Masters, wäh-
rend ich ihn den Flammen entreißen wollte.
Seine Kleidung «ar durchnäßt und legte sich eng an di« leblosen
Glieder; auf dem erbleichten Angesicht spielte der düstre Widerschein
der über den Rand der Ebene emporsprühenden Feuerstrahlen. Ich
»ahm ihn in die Arme, strich ihm das Haar aus der Stirn, rieb ihm
die Schläfen, legte, um seiner regungslosen Brust Atem zu geben,
meinen Mund auf seine Lippen, kurz, tat alles, was ich in meiner
eigenen Hilflosigkeit zu tun vermochte, um ihn ins Leben zurückzu-
rufen.
Da — endlich — ging ein Zittern über seinen Körper, erst leise,
dann immer bemerkbarer; ich fühlte das Klopfen seines Herzens und
den Hauch des wiederkehrenden Odems. Er erwachte, öffnete weit,
weit das Auge und starrte mir mit einem unbeschreiblichen Ausdruck
ins Gesicht. Dann belebte sich sein Blick, und mit einem lauten Schrei
sprang er empor.
„Wo bin ich — wer seid Ihr — was ist gescheh», ?" "
„Ihr seid gerettet aus der Glut da unten!"
Bei dem Klang meiner Stimme und dem Anblick des noch immer
hochlodernden Brandes kehrte ihm die Besinnung vollständig zurück.
„Glut —? Da unten —? Herrgott, es ist wahr, das Tal hat ge-
brannt, und Forsters --"
Als besinne er sich bei diesem Namen auf die Gefahr, in der er die
Verwandten zurückgelasten hatte, erhob er drohend den Arm.
„Herr, Ihr seid ein Feigling, ein elender Feigling, ein Coyote, wie
Ihr schon gehört habt! Ihr konntet sie retten, alle, alle, aber Ihr seid
geslohn, wie der Schakal flieht vor dem Gebell eines elenden Hundes.
Ich — verachte Euch! ich — muß fort, fort zu ihnen!"
Er wollte fort. Ich hielt ihn bei der Hand fest.
„Bleibt! Es ist nichts mehr zu tun; Ihr lauft nur in Euer eignes
Verderben!"
„Laßt mich. Ich habe mit Euch Memme nichts zu schaffen!"
Er ritz seine Hand los und stürzte fort. Ich fühlte einen kleinen
Gegenstand zwischen meinen Fingern. Es war ein Ring, den er sich
bei dem kräftigen Ruck abgestreift hatte.
Ich folgte ihm; aber schon war er im Schatten der steil abfallenden
Klippen verschwunden. Ich konnte dem Knaben nicht zürnen. Er war
noch jung, und das Unglück hatte ihm die Ruhe geraubt, die zu einein
richtigen Urteil stets unerläßlich ist. Ich steckte also den Ring zu mir
und setzte mich nieder, um von der fürchterlichen Anstrengung aus-
zuruhn, die Nacht hier zu bleiben und den Anbruch des Morgens zu
erwarten, denn früher war es unmöglich, hinab in den Bluff zu ge-
langen.
Noch zitterten alle meine Nerven, und das Tal, in dem noch immer
die Petroleumglut lohte, kam mir wie eine Hölle vor, der ich ent-
kommen war. Der alte Anzug, den ich getragen hatte, fiel mir wie
Zunder vom Leib; ich zog den neuen an, der in der Umhüllung glück-
licher Weise unversehrt geblieben war.
Hatatitla lag ganz in meiner Nähe; es gab da Gras, aber er fraß
nicht; das brave Tier war noch mehr angegriffen als ich selber. Und
was war aus den Bewohnern des Tales geworden? Diese Frage ließ
mich nicht schlafen, obgleich ich der Ruhe sehr bedurfte. Ich wachte
während der ganzen Nacht und trat wiederholt hart an den Rand des
Bluffs, um hinabzublicken. Das Feuer hatte nicht mehr die vor-
herige Ausdehnung, gewährte aber dennoch einen Anblick, den ich nie
vergessen werde. Das Petroleum stieg in einem starken und wohl
dreißig Ellen hohen Strahl aus dem Bohrloch in die Luft empor;
dieser Oelstrahl brannte, zerstob oben in einzelne Garben und tausend
sprühende Funken, fiel zur Erde nieder und rann dann als doppelt
mannshoch loderndes Feuerband dem Fluß zu, dessen ganze Breite
füllend.
So blieb es bis zum Morgen, und so mutzte es bleiben und brennen,
so lange noch Oel aus dem Bohrloch floß, wenn es nicht gelang, den
Brand zu löschen. Das Tageslicht milderte den blendenden Schein
der Flammen; als ich jetzt wieder hinunterblickte, sah ich, daß außer
einem kleinen Häuschen, das ganz oben an der höchsten Stelle des
Tales lag, wohin das Feuer nicht hatte kommen können, alles ver-
schwunden war. Das Wohnhaus, die Fabrikanlagen und alle sonstigen
Gebäude waren samt den Vorräten ein Raub der Flammen gewor-
den. Der ganze Bluff sah bis hinauf zur obersten Felskante schwarz
aus und bot den Anblick einer riesigen, rußüberzogenen Pfanne, deren
Inhalt ein unaufmerksamer Koch verkohlen ließ.
Vor dem erwähnten, allein geretteten Häuschen standen einige
Menschen, bei denen ich Harry sah. Der verwegene Knabe hatte es
also gewagt, während der Nacht da hinunterzusteigen. Jetzt, am Tag,
war das kinderleicht. Ich hatte den Pfad vor mir, der uns gestern
bei unserm Kommen hinabgeführt hatte, und folgte ihm auch heut.
Dabei sah ich, daß Harry nach mir heraufzeigte und die andern auf
mich aufmerksam machte. Ein Mann ging in das Häuschen und kam
nach wenigen Augenblicken mit einem Gewehr wieder heraus. Er
ging mir bis an den jenseitigen Rand des Flusses entgegen. Dort
MeL er steh», warirre da, dis ich an de« diesseitig«« Ufer <m-eSE-
«en war und rief dann zu mir hernber:
„Halloo, Mann, was treibt Ihr noch hier i« unser« Ort? Macht
Such fort, wenn Ihr nicht eine Kugel zwischen di« Rippen habe«
wollt!"
„Ich Lin dageblieben, um Euch zu helfen, soviel es möglich ist",
antwortete ich hinüber.
„Weitz schon!" lachte er höhnisch. „Solche Hilfe kennt man!"
„Auch mutz ich mit Master Harry reden."
„Das dürfte Euch schwer fallen."
„Ich habe ihm etwas zu geben."
„Macht mir nichts weis! Möchte wissen, was so ein Kerl zu gebe«
hätte! Erst feig und ehrlos zum Erbarmen, und dann steckt er aus
Rache das Petroleum in Brand!"
Ich war für den Augenblick keines Wortes fähig; ich ein Mord-
brenner ! Er mochte mein Schweigen für eine Folge des bösen Gewis-
ftns halten, denn er fuhr fort:
„Seht, wie Ihr erschreckt! Ja, wir wissen gar wohl, woran wir
find. Wenn Ihr nicht augenblicklich geht, bekommt Ihr eine Kugel!"
Er legte das Gwehr auf mich an. Da rief ich zornig hinüber:
„Was fällt Euch ein, Mann! Von einer Brandstiftung kann keine
Rede sein; die Oelgase haben sich an Euer» Lampen entzündet: das
furchtbare Unglück ist eine Folge Eurer eigenen Nachlässigkeit."
„Weiß schon, weiß! Fort mit Euch! Oder soll ich schießen?"
„Hätte ich denn mit eigner Lebensgefahr den Knaben gerettet, wen»
ich der Täter wäre?"
„Ausrede! Wenn Ihr gewollt hättet und nicht geflohen wärt, wäre»
sie alle grettet worden; nun aber sind sie alle elendiglich verbrannt!
Hier habt Ihr Euern Lohn!"
Er schoß nach mir. Die Entrüstung hielt mich an der Stelle fest, wo
ich stand; ich machte keine Bewegung, der Kugel zu entgehn, und das
war gut, denn er hatte schlecht gezielt; ich wurde nicht getroffen. Meine
Finger zuckten, ihm eine sichere Kugel als Antwort zu geben; ich tat
es aber natur'"» nicht, sondern drehte mich um und stieg langsam
wieder empor, oyve mich ein einzigesmal nach dem Mann umzusehn.
Oben setzte ich mich auf das Pferd und ritt fort. Wenn man, anstatt
als Lebensretter Dank zu ernten, eines Verbrechens beschuldigt wird,
so schüttelt man den Staub von den Füßen.
24. Old Fire Hand.
Einige Tage später erreichte ich die Eravel-Prärie, wo ich eine
ganze Woche auf Winnetou warten mutzte. Not zu leiden hatte ich
während dieser Zeit nicht, denn es gab Wild in Menge. Und einsam
und langweilig konnte mir die Gegend auch nicht werden, denn es
tummelten sich mehrere Trupps von Sioux da herum, so daß ich mich
fortwährend in Bewegung befand, um nicht von ihnen entdeckt zu
werden. Als dann Winnetou kam und ich ihm die Anwesenheit der
Roten meldete, war er mit mir einverstanden, sogleich weiterzureiten.;
Ich freute mich sehr darauf, Old Firehand, diesen berühmten West-
mann, kennenzulernen. Der Weg zu ihm war nicht ungefährlich; das:
merkten wir schon am übernächsten Tag, als wir auf die Fährte eines
Indianers trafen, der wohl kaum etwas andres als ein Kundschafter
sein konnte.
Ich untersuchte den Boden sorgfältig .Das Pferd des Roten war
angepflockt gewesen und hatte die halbdürren Büschel des Prärie-
grases abgefressen; der Reiter hatte am Boden gelegen und mit dem
Köcher gespielt. Dabei war ihm der Schaft eines Pfeils zerbrochen,
und er hatte die beiden Bruchstücke ganz gegen die gewöhnliche Vor-
sicht der Indianer liegenlassen. Ich hob sie auf, um sie zu betrachten.
Es war kein Jagd-, sondern ein Kriegspfeil.
„Er befindet sich auf dem Kriegspfad", sagte ich; „aber er ist noch
jung und unerfahren, sonst hätte er die verräterischen Stücke versteckt,
und die Spuren seines Fußes sind nicht die eines erwachsenen Man-
nes."
Ein Blick aus die weiterlaufenden Eindrücke genügte, uns zu zei-
gen, daß der Mann erst vor kurzem den Platz wieder verlassen hatte;
denn die Kanten der Spur waren noch scharf, und die gestreiften oder
zerdrückten Halme hatten sich noch nicht vollständig wieder erhoben.
Wir folgten der Spur weiter, bis die Schatten länger und länger
wurden; der Abend begann zu dunkeln, und wir waren nun gezwun-
gen, abzusteigen, wenn wir die Fährte nicht verlieren wollten.
Die Anwesenheit eines Indianers auf dem Kriegspfad in dieser
Gegend kam mir bedenklich vor. Nach meiner Berechnung befände«
wir uns ungefähr einen Tagesritt südöstlich vom Fort Niobrara,
das vor einigen Jahren an dem gleichnamigen Fluß angelegt worden
war. Ich war bereits einmal und zwar einen ganzen Winter dort ge-
wesen^ und kannte daher die Gegend leidlich.
(Fortsetzung folgt.)
» Siehe di« Erzählung „Ein Blizzard" ix Bd. 2L „Auf ft«Nd«r
Pfaden".
dem neben ihm sitzenden Forster eine Auseinandersetzung zu machen.
Während ich keinen Blick von der Gesellschaft verwendete befestigte
ich den mitgebrachten Sack hinter dem Sattel Hatatitlas. Das brave
Tier hatte sich das Lederzeug nicht abnehmen lassen; hätte ich, als
Forster mit ihm davonritt, einen Pfiff ausgestotzen, so hätte es ihn
sicher abgeworfen und wäre zu mir zurückgekommen.
„Es ist ein unnützes und lästerliches Unternehmen, dear uncle, und
du hast dir die Sache wohl nicht richtig berechnet," hörte ich den Kna-
ben sagen.
„Willst du mich etwa das Plänemachen lehren? Die Oelpreise find
nur deshalb so gedrückt, weil die Quellen zu viel liefern. Wenn wir
also, eine wie der andre, das Oel so einen Monat lang ablaufen
lasten, so muß es wieder teuer werden, und wir machen Geschäfte,
gute Geschäfte, sage ich dir. Und diesen Kniff werden wir ausführen;
es ist so beschlossen, und ein jeder wird sein Versprechen halten. Ich
; laste aus dem untern Loch jetzt alles in unfern Venango-River fließen;
bis die Preise steigen, werden wir mit dem Bohrer weiter oben auch
auf Oel getroffen sein, und da ich einen hinreichenden Vorrat von
; Fässern habe, so schicke ich dann im Verlauf von wenigen Tagen eine
Menge Oel nach dem Osten, die mir Hunderttausende einbringt."
,^vas ist kein ehrliches Unternehmen, und mir scheint auch, ihr habt
; die Quellen drüben im alten Land und sonst noch wo dabei außer
! acht gelassen. Euer Verhalten wird den Wettbewerb dort sofort zur
äußersten Anstrengung spornen; ihr selber gebt also dem noch schla-
° senden Gegner die Waffen in die Hand. Uebrigens find ja die hier
' in den Staaten aufgestapelten Vorräte so groß, daß sie für geraume
: Zeit zureichen."
„Du kennst den ungeheuren Bedarf nicht und hast also gar kein
Urteil, bist dafür überhaupt noch zu jung."
„Das müßte denn doch erst bewiesen werden!"
„Der Beweis liegt nahe. Hast du mir nicht vorhin erst gestanden,
' daß du dich in dem Woodsmann, oder was der Mensch eigentlich war,
getäuscht hast? Ich hätte mir niemals träumen lasten, daß es dir in
solcher Gesellschaft gefallen könnte!"
Ich sah Harry erröten, aber er antwortete schnell:
„Ich bin in solcher Gesellschaft ausgewachsen, das weißt du ja, habe
mein Leben bisher in den „dunklen Gründen" verbracht und müßte
den Vater nicht im geringsten lieb haben, wenn ich diese „Gesellschaft"
bloß um ihrer äußern Erscheinung willen verachten könnte. Es gibt
Männer darunter, denen gar mancher Eurer vornehmen Eentlemen
und stolzen Geldbarone an innerm Wert nicht gewachsen ist. Und übri-
gens ist ja heut von einer Täuschung keine Rede, denn ich sagte nur,
daß er mir erst anders geschienen haue, und zwischen Vermutung
und Behauptung pflege ich einen Unterschied zu machen."
Forster wollte eine Entgegnung aussprechen, kam aber nicht dazu,
denn in diesem Augenblick geschah ein Donnerschlag, als sei die Erde
mitten unter uns auseinandergeborsten. Der Boden erzitterte, und
als ich das Auge erschrocken seitwärts wandte, sah ich im obern Teil
^des Tals, da, wo der Erdbohrer tätig gewesen war, einen glühenden
, Feuerstrom fast fünfzig Fuß senkrecht in die Höhe steigen; oben floß er
flackernd breit auseinander, sank wieder zur Erde nieder und über-
schwemmte mit reißender Schnelligkeit das abfallende Gelände. Zu-
gleich drang ein scharfer, stechender Gasgeruch in die Atmungswerk-
zeuge, und die Luft schien von flüssigem Feuer erfüllt zu sein.
Ich kannte diese furchtbare Erscheinung, denn ich hatte sie im Kä-
snawhatale in ihrer ganzen Schrecklichkeit gesehn, und stand mit einem
einzigen Sprung mitten unter der vor Schrick todesstarren Gesellschaft.
„Löscht die Lichter aus, schnell, die Lichter aus! Der Bohrer ist auf
Oel getroffen, und ihr habt versäumt, alles Feuer in der Nähe zu
! verbieten. Nun breiten sich die Gase aus und haben sich entzündet.
!Lichter aus, sonst brennt in zwei Minuten das ganze Tal!" rief ich.
Ich sprang von einem der brennenden Armleuchter zum andern,
aber im oberen Zimmer brannten die Lampen auch, und drüben vom
s Store her sah ich ebenfalls Lichtschimmer. Dazu hatte die Flut des
hochaufsprühenden Oels, das sich mit unglaublicher Raschheit über das
s ganze obere Tal ausbreitete, jetzt den Fluß erreicht, und nun galt es,
alles einzusetzen für das nackte bloße Leben.
„Rettet euch, ihr Leute! Lauft, lauft um Gottes willen! Sucht die
Höhen zu gewinnen!" schrie ich fort.
Mich um weiter niemand kümernd, riß ich Harry in meine Arme
und sah im nächsten Augenblick mit ihm im Sattel. Harry, der mein
Verhalten mißverstand, und die Größe der Gefahr nicht erkannte,
sträubte sich mit Aufbietung aller Kräfte gegen die Umschlingung;
aber da man in solchen Augenblicken stets eine aufs äußerste gestei-
gerte Körperstärke besitzt, so verschwand auch diese Anstrengung ganz
unter der Gewalt, mit der ich ihn festhielt, und in rasendem Lauf trug
Hatatitla, dessen Selbsterhaltungstrieb die Führung des Zügels und
den Gebrauch der Sporen überflüssig machte, uns stromabwärts.
Der Bergpfad, den wir von der Savannenhöhe nach New-Venango
herabgestiegen waren, war jetzt nicht mehr zu erreichen, denn der Glut-
strom war schon an ihm »orübergeflutet. Nur abwärts konnten wir
Rettung finden; aber ich hatte dort am Tag nichts einer Straße Ähn-
liches bemerkt nud im Gegenteil gesehn, daß die Felswände da so eng
zusammentraten, daß sich der Fluß nur schäumend de» Ausweg erzwin-
gen konnte.
„Sagt", rief ich in ängstlicher Hast, gibt es einen Weg, der hier
unten aus dem Tal führt?"
„Nein, nein!" stöhnte Harry unter der krampfhaften Anstrengung,
von mir loszukommen. „Laßt mich fahren, sage ich Euch. Ich brauche
Euch nicht, ich bin mir selber Schutz genug!"
Natürlich konnte ich auf dieses Verlangen nicht achten und musterte
mit Aufmerksamkeit den nahe zusammentretenden Gesichtskreis, den
die beiden schroff aufsteigenden Talwände bildeten. Da fühlte ich
einen Druck in der Eürtelgegend, und zugleich keuchte der Knabe:
„Was wollt Ihr mit mir? Laßt mich los oder ich stoße Euch Euer
eignes Mester in den Leib!"
Ich sah eine Klinge in seiner Hand funkeln; er hatte mein Bowie-
messer an sich gerissen. Ich hatte keine Zeit zu einer langen Auseinan-
dersetzung, sondern vereinte nur mit einem raschen Griff seine beiden
Handgelenke in meiner Rechten, während ich ihn mit dem linken
Arm immer fester umschloß.
Mit jeder Sekunde wuchs die Gefahr. Der glühende Strom hatte
die Lagerräume erreicht, und nun sprangen die Fässer mit kanonen-
schußähnlichem Knall und ergossen ihren hell auflodernden Inhalt in
das ständig anwachsende und immer rascher vorwärts schreitende
Feuermeer. Die Luft war zum Ersticken heiß; ich hatte das Gefühl,
als kochte ich in einem Topf siedenden Masters, und dabei wuchsen
Hitze und Trockenheit mit solcher Geschwindigkeit, daß ich innerlich zu
brennen vereinte. Fast wollten mir die Sinne schwinden; aber ich
durfte diesem -efühl nicht nachgeben; es galt nicht bloß mein Leben,
sondern noch viel mehr das des Knaben.
„Lome on, Hatatitla, voran, voran, Hat —!"
Die fürchterliche Hitze versengte mir das Wort im Mund; ich konnte
nicht weiter sprechen. Aber ein solcher Zuruf war auch gar nicht not-
wendig, denn das brave, herrliche Tier raste mit einer schier un-
möglichen Geschwindigkeit dahin. So viel sah ich, diesseits des Flusses
war kein Ausweg. Die Flammen beleuchteten die Felswände hell
genug, um erkennen zu lassen, daß die Schroffen nicht zu erklimmen
waren. Deshalb ins Master, ins Master — hinüber auf die andre
Seite!
Ein leiser Schenkeldruck — ein Sprung des gehorsamen Mustangs,
und hochauf schlugen die Wellen über uns zusammen. Ich fühlte neue
Kraft,, neues Leben durch meine Adern strömen. Freilich war das
Pferd unter mir verschwunden. Doch das war jetzt gleich; nur hin-
über — immer hinüber! Hatatitla war schneller gewesen als die feu-
rige Lohe; jetzt aber kam sie flammend und himmelhoch züngelnd Len
Fluß herbgewälzt und fand in dem aus der Quelle abgeleiteten Pe-
troleum immer neue Nahrung. In einer Minute, vielleicht schon in
einer Sekunde mußte sie mich erreichen. Der Knabe hing jetzt bew^.e-
los mit todesstarren Armen an mir; ich schwamm wie noch nie, nie
in meinem Leben, oder nein, ich schwamm nicht, sondern schnellte mich
in wahnsinnigen Sätzen über die von- zuckenden Lichtern bis auf den
Grund hinab durchblitzte Flut. Ich fühlte eine Angst, so furchtbar —>
so furchtbar! — Da schnaubte es an meiner Seite. „Hatatitla, du
treuer, wackrer — bist du's?" Hier ist das Ufer — wieder in den
Sattel — ich komme nicht hinauf — es ist, als wäre mir das innerste
Mark verdorrt — Herr Gott, hilf, ich kann nicht liegen bleiben —>
noch einmal, es gelingt-„Hatatitla, fort — fort-wohin du
willst, nur hinaus, hinaus aus diesem Höllenbrand!"
Es ging weiter, nur das wußte ich; wohin, danach fragte ich nicht,
die Augen lagen mir wie geschmolzenes Metall in ihren Höhlen, und
das von ihnen aufgefangene Licht wollte mir das Hirn verbrennen;
die Zunge strebte zwischen den trocknen Lippen hervor; ich hatte durch
den ganzen Körper ein Gefühl, als bestände er aus glimmendem
Schwamm, dessen lockere Asche jeden Augenblick auseinanderfallen
könnte. Das Pferd unter mir schnaubte und stöhnte mit fast mensch-
lichem Wehlaut; es lief, es sprang, es kletterte, es schoß über Felsen,
Vorsprünge, Riste, Kanten und Spitzen mit tigergleichen, mit schlan-
genartigen Bewegungen. Ich hatte mit der Rechten seinen Hals um-
klammert und hielt mit der Linken noch immer den Knaben fest. Noch
einen Satz, einen weiten, fürchterlichen Satz — endlich, endlich ist die
Felswand überwunden — noch einige hundert Schritte vom Feuer
hinweg und in die Prärie hinein, und Hatatitla blieb stehn; ich sank
vom Sattel zur Erde nieder.
Die Aufregung, die lleberanstrengung der Sinne war so groß, daß
sie die Ohnmacht besiegte, die sich meiner bemächtigen wollte. Ich
raffte mich langsam wieder auf, schlang die Arme um den Hals des
treuen, unvergleichlichen Tieres, das an allen Gliedern zitterte, und
küßte es unter krampfhaftem Weinen mit einer Inbrunst, wie wohl
selten ein Liebender die Auserwählte seines Herzens geküßt hat.
„Hatatitla, du köstlicher, ich danke dir, du hast mich, du hast uns
beide erhalten. Diese Stunde soll dir nie vergessen werden!"
Der Himmel glänzte blutigrot, und der Brodem der entfesselten
Naturkraft ruhte in dichten, schwarzen, von purpurnen Strahlen
durchbrochne« Ballen Sber dem Herd der Berwüstung. Aber ich hatte
bei»« Zeit zu diese» Betracht»»-«,, de»« »ar Mr lag, das Mester
«ach immer krampfhaft festhaltend, Harry, bleich, kalt »ud starr, so
daß ich ihn tot glaubte, ertrunken in den Fluten des Masters, wäh-
rend ich ihn den Flammen entreißen wollte.
Seine Kleidung «ar durchnäßt und legte sich eng an di« leblosen
Glieder; auf dem erbleichten Angesicht spielte der düstre Widerschein
der über den Rand der Ebene emporsprühenden Feuerstrahlen. Ich
»ahm ihn in die Arme, strich ihm das Haar aus der Stirn, rieb ihm
die Schläfen, legte, um seiner regungslosen Brust Atem zu geben,
meinen Mund auf seine Lippen, kurz, tat alles, was ich in meiner
eigenen Hilflosigkeit zu tun vermochte, um ihn ins Leben zurückzu-
rufen.
Da — endlich — ging ein Zittern über seinen Körper, erst leise,
dann immer bemerkbarer; ich fühlte das Klopfen seines Herzens und
den Hauch des wiederkehrenden Odems. Er erwachte, öffnete weit,
weit das Auge und starrte mir mit einem unbeschreiblichen Ausdruck
ins Gesicht. Dann belebte sich sein Blick, und mit einem lauten Schrei
sprang er empor.
„Wo bin ich — wer seid Ihr — was ist gescheh», ?" "
„Ihr seid gerettet aus der Glut da unten!"
Bei dem Klang meiner Stimme und dem Anblick des noch immer
hochlodernden Brandes kehrte ihm die Besinnung vollständig zurück.
„Glut —? Da unten —? Herrgott, es ist wahr, das Tal hat ge-
brannt, und Forsters --"
Als besinne er sich bei diesem Namen auf die Gefahr, in der er die
Verwandten zurückgelasten hatte, erhob er drohend den Arm.
„Herr, Ihr seid ein Feigling, ein elender Feigling, ein Coyote, wie
Ihr schon gehört habt! Ihr konntet sie retten, alle, alle, aber Ihr seid
geslohn, wie der Schakal flieht vor dem Gebell eines elenden Hundes.
Ich — verachte Euch! ich — muß fort, fort zu ihnen!"
Er wollte fort. Ich hielt ihn bei der Hand fest.
„Bleibt! Es ist nichts mehr zu tun; Ihr lauft nur in Euer eignes
Verderben!"
„Laßt mich. Ich habe mit Euch Memme nichts zu schaffen!"
Er ritz seine Hand los und stürzte fort. Ich fühlte einen kleinen
Gegenstand zwischen meinen Fingern. Es war ein Ring, den er sich
bei dem kräftigen Ruck abgestreift hatte.
Ich folgte ihm; aber schon war er im Schatten der steil abfallenden
Klippen verschwunden. Ich konnte dem Knaben nicht zürnen. Er war
noch jung, und das Unglück hatte ihm die Ruhe geraubt, die zu einein
richtigen Urteil stets unerläßlich ist. Ich steckte also den Ring zu mir
und setzte mich nieder, um von der fürchterlichen Anstrengung aus-
zuruhn, die Nacht hier zu bleiben und den Anbruch des Morgens zu
erwarten, denn früher war es unmöglich, hinab in den Bluff zu ge-
langen.
Noch zitterten alle meine Nerven, und das Tal, in dem noch immer
die Petroleumglut lohte, kam mir wie eine Hölle vor, der ich ent-
kommen war. Der alte Anzug, den ich getragen hatte, fiel mir wie
Zunder vom Leib; ich zog den neuen an, der in der Umhüllung glück-
licher Weise unversehrt geblieben war.
Hatatitla lag ganz in meiner Nähe; es gab da Gras, aber er fraß
nicht; das brave Tier war noch mehr angegriffen als ich selber. Und
was war aus den Bewohnern des Tales geworden? Diese Frage ließ
mich nicht schlafen, obgleich ich der Ruhe sehr bedurfte. Ich wachte
während der ganzen Nacht und trat wiederholt hart an den Rand des
Bluffs, um hinabzublicken. Das Feuer hatte nicht mehr die vor-
herige Ausdehnung, gewährte aber dennoch einen Anblick, den ich nie
vergessen werde. Das Petroleum stieg in einem starken und wohl
dreißig Ellen hohen Strahl aus dem Bohrloch in die Luft empor;
dieser Oelstrahl brannte, zerstob oben in einzelne Garben und tausend
sprühende Funken, fiel zur Erde nieder und rann dann als doppelt
mannshoch loderndes Feuerband dem Fluß zu, dessen ganze Breite
füllend.
So blieb es bis zum Morgen, und so mutzte es bleiben und brennen,
so lange noch Oel aus dem Bohrloch floß, wenn es nicht gelang, den
Brand zu löschen. Das Tageslicht milderte den blendenden Schein
der Flammen; als ich jetzt wieder hinunterblickte, sah ich, daß außer
einem kleinen Häuschen, das ganz oben an der höchsten Stelle des
Tales lag, wohin das Feuer nicht hatte kommen können, alles ver-
schwunden war. Das Wohnhaus, die Fabrikanlagen und alle sonstigen
Gebäude waren samt den Vorräten ein Raub der Flammen gewor-
den. Der ganze Bluff sah bis hinauf zur obersten Felskante schwarz
aus und bot den Anblick einer riesigen, rußüberzogenen Pfanne, deren
Inhalt ein unaufmerksamer Koch verkohlen ließ.
Vor dem erwähnten, allein geretteten Häuschen standen einige
Menschen, bei denen ich Harry sah. Der verwegene Knabe hatte es
also gewagt, während der Nacht da hinunterzusteigen. Jetzt, am Tag,
war das kinderleicht. Ich hatte den Pfad vor mir, der uns gestern
bei unserm Kommen hinabgeführt hatte, und folgte ihm auch heut.
Dabei sah ich, daß Harry nach mir heraufzeigte und die andern auf
mich aufmerksam machte. Ein Mann ging in das Häuschen und kam
nach wenigen Augenblicken mit einem Gewehr wieder heraus. Er
ging mir bis an den jenseitigen Rand des Flusses entgegen. Dort
MeL er steh», warirre da, dis ich an de« diesseitig«« Ufer <m-eSE-
«en war und rief dann zu mir hernber:
„Halloo, Mann, was treibt Ihr noch hier i« unser« Ort? Macht
Such fort, wenn Ihr nicht eine Kugel zwischen di« Rippen habe«
wollt!"
„Ich Lin dageblieben, um Euch zu helfen, soviel es möglich ist",
antwortete ich hinüber.
„Weitz schon!" lachte er höhnisch. „Solche Hilfe kennt man!"
„Auch mutz ich mit Master Harry reden."
„Das dürfte Euch schwer fallen."
„Ich habe ihm etwas zu geben."
„Macht mir nichts weis! Möchte wissen, was so ein Kerl zu gebe«
hätte! Erst feig und ehrlos zum Erbarmen, und dann steckt er aus
Rache das Petroleum in Brand!"
Ich war für den Augenblick keines Wortes fähig; ich ein Mord-
brenner ! Er mochte mein Schweigen für eine Folge des bösen Gewis-
ftns halten, denn er fuhr fort:
„Seht, wie Ihr erschreckt! Ja, wir wissen gar wohl, woran wir
find. Wenn Ihr nicht augenblicklich geht, bekommt Ihr eine Kugel!"
Er legte das Gwehr auf mich an. Da rief ich zornig hinüber:
„Was fällt Euch ein, Mann! Von einer Brandstiftung kann keine
Rede sein; die Oelgase haben sich an Euer» Lampen entzündet: das
furchtbare Unglück ist eine Folge Eurer eigenen Nachlässigkeit."
„Weiß schon, weiß! Fort mit Euch! Oder soll ich schießen?"
„Hätte ich denn mit eigner Lebensgefahr den Knaben gerettet, wen»
ich der Täter wäre?"
„Ausrede! Wenn Ihr gewollt hättet und nicht geflohen wärt, wäre»
sie alle grettet worden; nun aber sind sie alle elendiglich verbrannt!
Hier habt Ihr Euern Lohn!"
Er schoß nach mir. Die Entrüstung hielt mich an der Stelle fest, wo
ich stand; ich machte keine Bewegung, der Kugel zu entgehn, und das
war gut, denn er hatte schlecht gezielt; ich wurde nicht getroffen. Meine
Finger zuckten, ihm eine sichere Kugel als Antwort zu geben; ich tat
es aber natur'"» nicht, sondern drehte mich um und stieg langsam
wieder empor, oyve mich ein einzigesmal nach dem Mann umzusehn.
Oben setzte ich mich auf das Pferd und ritt fort. Wenn man, anstatt
als Lebensretter Dank zu ernten, eines Verbrechens beschuldigt wird,
so schüttelt man den Staub von den Füßen.
24. Old Fire Hand.
Einige Tage später erreichte ich die Eravel-Prärie, wo ich eine
ganze Woche auf Winnetou warten mutzte. Not zu leiden hatte ich
während dieser Zeit nicht, denn es gab Wild in Menge. Und einsam
und langweilig konnte mir die Gegend auch nicht werden, denn es
tummelten sich mehrere Trupps von Sioux da herum, so daß ich mich
fortwährend in Bewegung befand, um nicht von ihnen entdeckt zu
werden. Als dann Winnetou kam und ich ihm die Anwesenheit der
Roten meldete, war er mit mir einverstanden, sogleich weiterzureiten.;
Ich freute mich sehr darauf, Old Firehand, diesen berühmten West-
mann, kennenzulernen. Der Weg zu ihm war nicht ungefährlich; das:
merkten wir schon am übernächsten Tag, als wir auf die Fährte eines
Indianers trafen, der wohl kaum etwas andres als ein Kundschafter
sein konnte.
Ich untersuchte den Boden sorgfältig .Das Pferd des Roten war
angepflockt gewesen und hatte die halbdürren Büschel des Prärie-
grases abgefressen; der Reiter hatte am Boden gelegen und mit dem
Köcher gespielt. Dabei war ihm der Schaft eines Pfeils zerbrochen,
und er hatte die beiden Bruchstücke ganz gegen die gewöhnliche Vor-
sicht der Indianer liegenlassen. Ich hob sie auf, um sie zu betrachten.
Es war kein Jagd-, sondern ein Kriegspfeil.
„Er befindet sich auf dem Kriegspfad", sagte ich; „aber er ist noch
jung und unerfahren, sonst hätte er die verräterischen Stücke versteckt,
und die Spuren seines Fußes sind nicht die eines erwachsenen Man-
nes."
Ein Blick aus die weiterlaufenden Eindrücke genügte, uns zu zei-
gen, daß der Mann erst vor kurzem den Platz wieder verlassen hatte;
denn die Kanten der Spur waren noch scharf, und die gestreiften oder
zerdrückten Halme hatten sich noch nicht vollständig wieder erhoben.
Wir folgten der Spur weiter, bis die Schatten länger und länger
wurden; der Abend begann zu dunkeln, und wir waren nun gezwun-
gen, abzusteigen, wenn wir die Fährte nicht verlieren wollten.
Die Anwesenheit eines Indianers auf dem Kriegspfad in dieser
Gegend kam mir bedenklich vor. Nach meiner Berechnung befände«
wir uns ungefähr einen Tagesritt südöstlich vom Fort Niobrara,
das vor einigen Jahren an dem gleichnamigen Fluß angelegt worden
war. Ich war bereits einmal und zwar einen ganzen Winter dort ge-
wesen^ und kannte daher die Gegend leidlich.
(Fortsetzung folgt.)
» Siehe di« Erzählung „Ein Blizzard" ix Bd. 2L „Auf ft«Nd«r
Pfaden".