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Wochenbeilage zum "Pfälzer Boten" — 1890

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Nr. 9 - Nr. 13 (2. März - 30. März)
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M



Gretchen auf dem gönigserbe.

Eine hollaͤndiſche Dorfgeſchichte von J. K, Crenter,
Deutſch von . v, Heemfiede,
Nachdruck verboten,

„ (Fortfegung.)

Gretchen ſitzt im Lehnſtuhl des alten Müllenk,
und Peter hat ihr ein Kiffen in den Riücken gelegt,
denn, bevor er ſie zum Huͤnigserbe bringen koͤnnke,
mußte ſie ſich erſt ein wenig erholen denn ſie
war matt und ganz ab. Sie ſchlummert.

Arnies Kind! Hätte ſie nur ſchon früher ge—
ſprochen. Dann hätte ihr Peter gewiß die Lugen
aus dem Kopfe geredet. Aber, waͤs fie ſieben Monate
lang mit ſich herumtrug, das hat ſchwindſüchtig ge-
madt — und der helle SLichtfirahl in Müllenk’8
Hauſe konnte den dunklen Gedanken ſobald nicht ver⸗
treiben. . Ia, ſie hat wohl begriffen, was Peter und
der alte Müllenk ihr ſagten, daß es nur einen Einen,
nur einen Einzigen gebe, der des Menſchen Leben
und die Stunde ſeines Todes beſtimme —. aber,
daß e& Seher gebe, dieſe Angſt konnte Nie⸗
mand ihr nehmen, und auch . . . Aber ſtill! Inuner
ſind ihr die Augen zugefallen, bis ſie langſam einge⸗
ſchlafen iſt, und Muͤllenk und Peter ſplechen mun
nicht mehr, ſondern ſchütteln den Kopf und murmeln ;
Armies Kind, armes Gretchen!“

VIII.

Ich habe ein Nachtſtückchen. Nicht wahr, die
Geſchichte ſpielt ſehr im Düſteren?

’5 ijt in der Nacht des vorher beſchriebenen
Sonntags zwiſchen elf und halb zwölf, und es würde
nicht ſo ſeh dunkel ſein, — denn der Mond ſteht
im eyſten Biertel — wenn es nicht ein wenig reguete,
jeboch ohne Wind. Wenn man in die Runde fieht,
10 gewahrt man nichts als ſchwarzgraue Bäume 1und
Bauernhöfe, die ſich kaum von dem dunklen Horizonte
unterfcheiden laſſen; hier und da erblickt man Dden
ſanften Lichtſchiumer eines noch erleuchteten Feuſters,
und zu ſeinen Füßen ſieht men auch Etwas glänzen,
da3 Lichtfünlchen des SohanniswürmehenS im fenchten
Graſe, das leiſe ſpricht: Es iſt gut, wenn man An-
deren leuchtet, befonders im Dunkeln.

Wir ſtehen auf dem Kieswege! der am Hoͤnigs—
erbe entlang zum Dorfe und zu dem Teihe führt,
Sints hei den Weiden ift ſchmaler Steg, der auf
einen eben]o ſchualen Pfad führt, welcher ſich zwifchen
chem Tabalsfelde und einem mit Erlengebüfch um-
fänmten Grahen hinzieht und der Kirzefte Weg zum
Mittelpunkte des Dorfes iſt.

Erſt vor wenigen Augenblicken ſind vier Männer
Vne Laterne oder ſonſtige Leuchte leiſe über den
Steg gegangen. Es ſcheint faſt, als ob der Erfte
einen Springftock und die Folgenden Jeder ſo Etwaͤs
wie ’ne Miſtgabel mit ſich führten. Aber genau kannn
man es nicht unterſcheiden. Dort am Ende des Pfades
bleiben fie flehen: wir wollen ſie belauſchen.

Allo, vorwaͤrts, Sander! wir kommen nicht







ätz. 1890.









weiter!, fagte leiſe der Zweite, deſſen Stimme uns
bekannt ſcheint und mit der von Gretchens Bruder
Arie eine große Aehnlichkeit hat.

„Ich mag, auch nicht länger vorgehen !“ flüſterte
Sander, der Knecht auf dem Hoͤnigserbe, und die
Angit laßt ihn ſeine Stimme, noch mehr dämpfen:
„Dort hinten hHab’ ich was geſehen.“

Wo?“

Dort — drüben gaͤnz im Dunkeln.“

„Hein, das kann nicht ſein“, tönt es heiſer aus
dem Munde des letzten Maunes wir müffen noch
viel weiter gehen, bis zum reformirten Kirchhofe
Nur immer weiter/ Sander, vorwarts!!

Nein, ich mag nicht mehr,“ ſagte Sander, denn
der Schweiß perlte ihnı, auf der Stirne, obſchon es
gar nicht warm iſt. „Komm, Arie, gch' Duͤ jetzt
vor.“

Aber/ Sander, wie einfältig! Arie kennt ja
keinen Weg und Steg hier.“

Wir wollen nur lieber umkehren,“ fluͤſtert fried⸗
lich der Längſte, der im Gänſeniarſch Nummer drei
hat. Sander ſcheint ein wenig bang zu ſein, und
„ ... iſt ſo düſter, daß man faſt gar nichts ſehen


Nein, vorwärts! brummt Arie, „wollt Ihr
Denn meine arme Schweſter noch laͤnger in den
Teufelskrallen Lajffen!“ „Dann zu Sander: „Du
dunimier Haſenfuß, geh’ nur nach hinten. Gert, fomm’
Du her!

„Nein, nimm’8 mir nicht übel,“ iſt Gerts Ant—
wort für den Thaler will ich gern alles Mögliche
thun, aber vorausgehen , . . . nein! . . . wenn der
Bürgermeifter c& gewahr würde, dann fönut’ ich als
Feldwächter wohl. meinen Laufpaß bekommen; der
Bürgernieiſter glaubt nicht mal, daß es Wehrwölfe
gibt als wenn ich nicht ſchon ſelber feurige Geſpenſter
im Felde heſehen hätte, Aber nein . .. . vorgeheN:
daz kann ich nicht, demm . . . . mıt* meinem Säbel,
und dem Vürgermeiſter! Ich will wohl von
hinten kommandiren.“

Nun übernimmt Arie den Vortritt. Ihr weiteres
Heſpräch geht uns verloren, deun, nadjdem Gert, der
Feldwächter/ im Korporalsthne fommandirt hat: Jetzt
links um die Ecke, dann ſchräg über das Wilhelm8--
feld und über die Hede, vor wärts, marſch!“
biegen ſie auch bald links um die Ecke. Der Läugſte,
der mun der zweite iſt, hält immer ſein Auge auf
Arie's breiten Rücken, den er noch eben in der Dunkel-
heit unterſcheidet, gerichtet; der Feldwächter haͤlt ſich
udhe an den Langen, ſo nahe, daß diefer ihır ganz
gehorſamſt bitten muß, ihm doch gefaͤlligſt die Haͤcken
nicht abzutreten — wozu große Gefahr vorhaͤnden.

Sander, der Knecht, iſt nun der Letzte und iſt
gerade am Meberlegen, was wohl das Gefährlichſte
ſein dirfte, bei den Andern zu bleiben oder gaͤnz ſtill
und allein nach Hauſe zu ſchleichen — als er plötzlich
einen derben Fluch ausSftößt, denn ein naffer Grlen-
zweig, den Gert zurücgebogen, ſchlägt ihin gerade
m1’5 Geſicht. Ach Herr, war das ein Schrecken !

Zehn Minuten ſpäter ſtanden die drei Vorderſten
neben einem Kartoffelfelde, zwiſchen dem Schulhauſe


 
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