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Verein Historisches Museum der Pfalz [Editor]; Historischer Verein der Pfalz [Editor]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 5.1888

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Nr. 3 (1. März 1888)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29790#0018
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- 18 -

Aer Zugelaufene.
Eine Erzählung aus Kansas' alten Tagen, von I. W. Steele.
(Fortsetzung).
Drittes Kapitel.
ie kuriose Handschrift mit dem Datum vom „Neunten
September 1865," stand noch ungestört und unverändert
an der schäbigen Wand in Shultz's Wohnung, aber sie
hatte plötzlich ein besonderes Interesse sür die ganze Um-
gegend erlangt. Die Leute kamen und betrachteten sie, buch-
stabierten die Worte, lasen das Datum und schüttelten weise die
Köpft. Eine Leichenbeschauers-Jury — vielleicht das erstemal,
daß eine derartige Körperschaft in dieser Gegend zusammenbe-
rusen worden — kam in eorxoro, las die Inschrift und vernahm
die Aussagen der Frau Shultz: daß sie mit ihren eigenen Augen
gesehen habe, wie ein gewisser James Estis am Abend des ge-
nannten Tages, nngesähr um 7 Uhr, diese Worte an die Wand
geschrieben: daß sie den Schreiber derselben seitdem nicht wieder
gesehen und nicht wisse, wohin er gegangen und letzteres ihr
auch höchst gleichgültig sei. Die Bemerkung, „daß sie ihn seit-
dem nicht wieder gesehen" war sür alle überzeugend.
Aber wie viel sich diese hoch intelligenten Geschworenen
auch mit der Inschrift an der Wand beschäftigten, so vergaßen
sie doch ihre anderen Pflichten nicht und begaben sich demgemäß
nach Simpsons Haus, um auch dort Erkundigungen einzuziehen,
über eine Sache, die eine Leichenbeschauers-Jurh interessieren
mußte. Sie veranlaßten Simpson zur positiven Identifizierung
der Leiche eines Mannes, die man drei Meilen von seinem Hause
neben der Landstraße gefunden, als die des Fremden, der an
jenem verhängnisvollen Abend bei ihm gegessen und getrunken
hatte und dann weiter geritten war. Ephraim Perkins, der
Schulmeister, war einer der Geschworenen und bemühte sich eifrig
den Schleier des Geheimnisses zu lüften, der diesen Fall umgab.
Er erzählte, der Fremde hätte ihm mitgeteilt, daß er einen
jungen Burschen auf der Prairie angetroffen, und er, Perkins,
habe guten Grund zur Annahme, jener junge Bursche sei kein
anderer wie James Estis gewesen. Hier waren nun zwei Per-
sonen zu gleicher Zeit verschwunden. — Ein höchst verdächtiger
Umstand! Die Jury war davon überzeugt, jeder Bewohner von
Sharpsburg und die ganze Umgegend glaubte es, kurz: der
Wahrspruch der Geschworenen, seines Wortschwalls entledigt,
lautete dahin, daß James Estis ein Mörder sei und das Ver-
brechen aus Habsucht begangen habe.
Denn am Morgen des lO. September 1865 war ein Mann,
mit dem Gesicht der Erde zugekehrt, neben der Landstraße liegend
gefunden worden. Die Kinder, welche ihn fanden, waren nicht
aus der Suche nach einem Trauerspiel gewesen, sondern aus dem
Weg zur Schule. In einiger Entfernung warteten sie, in dem
Glauöen, der Mann werde sich, wie das schon mehr geschehen,
plötzlich mit rotgeschwollenen Angcn erheben, sie anstarren und
vielleicht mit einigen Verwünschungen sortjagen. Die Kinder
wußten aus Erfahrung, daß cs zuweilen schwerbetrunkene Menschen
gibt. So standen sie eine Weile, um jener Erregung des
Schreckens zu harren, die sich Kinder, ob nun angenehm oder
richt, selten versagen. Aber der Schläfer rührte sich nicht, auch
dann noch nicht, als ein mutiger Junge einen Stein nach ihm
warf, der den rechten Arm traf und einen Ton verursachte, als
fei er mit einem Stück Holz in Berührung gekommen. Nun
bemächtigte sich der Kinder ein großer Schrecken. Sie wisperten


mit einander und liefen dann so schnell ihre Beine sie tragen
mochten, zurück zu ihren Eltern, nur sie von dem Gesehenen in
Kenntnis zu sehen.
Eine kräftige Hand hatte die That verübt, aber die Füße,
welche den Mörder zu seinem Opfer getragen, hatten keine Spur
zurückgelassen. Eine zerfetzte Reitgerte in der rechten Hand des
Todten zeigte, daß der Unglückliche bis zu der Stelle geritten
war, wo sein Leben ein so jähes Ende genommen hatte. Und
so wurde denn eine Leichenbeschauers-Jurh zusammenberufen,
nicht um den Tod zu ergründen, der ja stets ein Geheimnis
ist, sondern um die Merkzeichen des Mörders zu enthüllen. Es
war ja auch Beweis genug vorhanden. Jim Estis hatte diesen
Mann gekannt und war an demselben Abend fortgegangen, ohne
seitdem etwas von sich hören zu lassen; er brauchte Geld und
hatte es erlangt, wenn welches vorhanden war. Dazu hatte er
noch etwas gethan, was jedem Dieb im Westen scheinbar ganz
natürlich zufällt, nämlich auch das Pferd gestohlen.
Gegen diese Schlußfolgerungen erhob niemand Einsprache.
Einige der alten Ansiedler rückten nun mit der Bemerkung her-
aus, daß sie gegen den jungen Menschen immer einen gewissen
Verdacht gehegt hatten, und es nun gerade so gekommen wäre,
wie sie erwarteten. Frau Shultz wurde nicht müde, den ihr
besuchenden Weibern alle seine Schlechtigkeiten zu erzählen, und
die Nachbarinnen hoben dabei entsetzt die Hände gen Himmel
verdrehten die Augen und wunderten sich, daß so böse Menschen
auf der Welt seien. Es gab anscheinend nur eine Person in
der Nachbarschaft, die nichts zu sagen hatte, und dies war Maudy.
Sechs Monate verstrichen, in der monotonen Ruhe, die
gewöhnlich auf ein besonderes Ereignis zu folgen pflegt. Das
Bezirksgericht sollte bald wieder in Sitzung treten, und der ein-
zige Fall, mit dem der Staatsanwalt jenes Bezirks sich zu be-
fassen hatte, betraf einen unbedeutenden Diebstahl. Der Anwalt
hörte auch, was über den anderen Fall gesprochen wurde. Hun-
dertmal schon hatte man ihn um seine Ansicht darüber befragt
und als echter Advokat war er die Antwort nicht schuldig ge-
blieben, obgleich sie stets so unklar wie nur möglich aussiel. An
den Samstagen trafen sich die Farmer der Ilmgegend in der
einzigen Straße des Ortes, und man sprach dann von den Ernte-
aussichten, aber auch von jenem Ereignis. Man hatte keinen
rechten Glauben an die Zulänglichkeit der Justiz: das war da-
mals fast überall so im Westen. Die Männer, die sich da ver-
sammelten, wußten, daß Jim Estis gehangen werden sollte, und
aus den Äußerungen des einen oder anderen konnte man schließen,
daß sie ihn selbst gehängt hätten wenn er gerade zur Stelle
gewesen wäre. Die Leute meinten es Ernst hiermit, das war
eben so die Sitte in jener Gegend.
Inzwischen hatte sich bei Shultz's Mühle nicht viel geän-
dert, obschon es schien, als ob Maudy's Zukunft auch ohne ihr
Zuthun, in eine bestimmte Bahn gedrängt werden sollte. Der
Schulmeister hatte, bei seiner Tour durch die Nachbarschaft, auch
seinen Aufenthalt in diesem Hause genommen und sich täglich
bei der Frau Shultz in Lobeserhebungen ergangen, daß er durch
ihre Freundlichkeit nun endlich einen Platz gesunden, der ihm
heimisch und nach seinem Geschmacke sei. Er trug bessere Kleider
und zwang sein häßliches Gesicht zu einem fortwährenden Lächeln.
Einmal ging er fort und als er wiederkam, wollte er die ganze
Familie Shultz veranlassen wieder nach Missouri zu ziehen, und
erklärte sich sogar bereit den größten Teil der Umsiedlnngskosten
 
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