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Pfeiffer, Thomas
Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit: die internationale Zuständigkeit im Zivilprozess zwischen effektivem Rechtsschutz und nationaler Zuständigkeitspolitik — Frankfurt am Main: Klostermann, 1995

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.49328#0070
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Zuständigkeitsgerechtigkeit im Spannungsfeld von subjektiver
Rechtsverwirklichung und staatlicher Zuständigkeitspolitik beschreiben
zu wollen, wie es diese Untersuchung unternimmt, ist nur möglich,
wenn ein solches Spannungsfeld existiert, wenn beide unterscheidbar
sind. In Deutschland ist Kritik an der These von der Unterscheidbarkeit
von Recht und Politik vor allem unter Berufung auf die grundlegenden
methodenkritischen Überlegungen J. Essers4 entwickelt worden, wobei
Esser selbst zwar die „Hinwendung zur politischen Aufgabe“ bei der
richterlichen Tätigkeit fordert5, dabei indes die (zumindest teilweise) Ei-
genständigkeit der juristischen Methode keineswegs preisgibt6. Die
größere Herausforderung für die hier vertretene Ansicht bilden dem-
nach die Überlegungen innerhalb der kritischen Jurisprudenz, die die
Unterscheidbarkeit von Recht und Politik noch weitergehend in Frage
stellen. Ist man zur inhaltlichen Komprimierung bereit, so zeigen sich
dort drei Kernargumente, die ihrerseits verwoben sind.
Das erste beruht auf Widersprüchlichkeiten im Rechtssystem. Gängi-
gen juristischen Argumenten lägen unterschiedliche Wertungsprinzipien
zugrunde, die unvereinbar seien. Juristische Argumentation, die solche
widersprüchlichen Prinzipien verwende, sei notwendig inkonsistent.
Deswegen sei es eine verbreitete Erscheinung, daß Rechtsfragen mit der
gleichen argumentativen Überzeugungskraft in dem einen oder dem an-
deren Sinne beantwortet werden könnten. Juristische Argumentation sei
gegenüber anderen Argumentationsformen nicht abgrenzbar, außerdem
in ihren Ergebnissen unbestimmmt und widersprüchlich7.
3 Dazu auch Mayer-Maly, ZRP 1970, 265 (266).
4 Rechtstheoretische Hauptwerke: Grundsatz und Norm (2. unv. Aufl., 1964); Vorver-
ständnis und Methodenwahl (1970).
5 Vorverständnis und Methodenwahl, S. 190.
6 So Esser, vor allem in AcP 172 (1972), 97 ff.; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung,
S. 9 ff., 474, ordnet Essers Grundsatz und Norm sogar einem unpolitischem Gemeinrecht
zu; dagegen Dubischar, AcP 171 (1971), 440 (456, 464 f.).
7 Huhn, in: Rasehorn/Ostermey er/Hasse/Huhn, Im Namen des Volkes?, S. 70 ff.; Ken-
nedy, 89 Harv.L.Rev. (1976), 1685 (1731 f.); Rasehorn alias Berra, Im Paragraphenturm,
S. 110 ff.; Rasehorn, in: Rasehorn/Ostermeyer/Hasse/Huhn, Im Namen des Volkes?, S. 133
ff. 'Wiethölter, Rechtswissenschaft, S. 73 ff., warf (freilich vor einem Vierteljahrhundert)
der auf Kant und Savigny und „christlich-abendländische“ Tradition gestützten Rechts-
wissenschaft vor, daß sie nicht nur „Marx, Darwin, Freud und Nietzsche nicht zur Kennt-
nis“ nehme und moderne Gesellschaftswissenschaften und Naturwissenschaften, insbe-
sondere die Verhaltensforschung ignoriere. Und fragt: „Was segnen die Juristen? Die
Autonomie der Persönlichkeit. Der Mensch ist autonom, eben jener Mensch, der nicht au-
tonom sein kann und nicht autonom sein will. Und wie müßte das Menschenbild im Recht
nun aussehen? Es ist keine Flucht, wenn ich antworte: Ein derartiges Menschenbild gibt es
nicht, so wenig wie es den Wettbewerb, die Sittlichkeit, die Gerechtigkeit, das Recht gibt“

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