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Pfeiffer, Thomas
Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit: die internationale Zuständigkeit im Zivilprozess zwischen effektivem Rechtsschutz und nationaler Zuständigkeitspolitik — Frankfurt am Main: Klostermann, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.49328#0296
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scheiden und kann das Bestehen dieses Unterschieds, der im übrigen die
empirische Unterscheidbarkeit des „Lebensbereichs Prozeß“ vom
außerprozessualen Lebensbereich dogmatisch abbildet233, besser zu er-
klären. Demgegenüber nimmt, wie J. Rödig™ gezeigt hat, die von der
konkreten Prozeßrechtslehre postulierte Einheit von Prozeß und Recht
jede Möglichkeit, die Verbindlichkeit des materiellen Rechts als Ent-
scheidungsmaßstab zu erklären. Der zutreffende Umstand der Konkre-
tisierungsbedürftigkeit rechtlicher Vorschriften235 wird verabsolutiert.
Und letztlich idealisiert die konkrete Prozeßrechtslehre die Verfahrens-
wirklichkeit, indem sie die mündliche Verhandlung unzutreffend zur
friedlichen Einigungsrunde hochstilisiert236, wodurch sie sich selbst zur
Erklärung des Verfahrensablaufs (vom Fall des konsensual geführten
Vergleichsgesprächs oder dem Ausnahmefall eines konsensualen Rechts-
gesprächs einmal abgesehen) außerstande setzt. Dies gilt umso mehr für
diejenigen häufigen Fälle, in denen die unterlegene Partei das Recht der
Gegenseite nicht ernsthaft bestreitet, sondern schlicht die Erfüllung ver-
weigert237. Wenn man also danach strebt, durch eine „verfahrensrealisti-
sche“ Perspektive den Blick auf die institutionellen (beispielsweise dis-
kursiven) Gegebenheiten des Prozesses zu öffnen238, wird man sich des
ment im Rahmen einer praktischen Vernunft, garantiert durch den Diskurs der Parteien,
ebenda, S. 132 ff. Dem entspricht der rechtshistorische Befund, daß erst durch die Abkehr
vom Aktionendenken im 19. Jahrhundert eine selbständige Analyse prozessualer Probleme
möglich wurde, dazu Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (473 f.).
233 Schaper, Studien, S. 81 f.
234 Gerichtliches Erkenntnisverfahren, S. 38 ff.; ebenso Hoffmann, Verfahrensgerech-
tigkeit, S. 205. Zur Unterscheidung der Funktion des materiellen Rechts als Imperativ
gegenüber den Parteien und Maßstab des Gerichts, den jede ausschließlich prozessuale Be-
trachtungsweise verkennen muß auch Schaper, Studien, S. 81 f.; ferner Gilles, FS Schieder-
mair, S. 183 (195 f.).
235 Ml. Rehbinder, JuS 1991, 542, spricht daher davon, es gehöre „heute zu den Selbst-
verständlichkeiten jeder soziologischen Rechtstheorie, daß die Rechtsanwendung, indem
sie den abstrakten Rechtssatz konkretisiert, neue Normen schafft.“ Vgl. noch R. Walter, in:
Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, S. 491 ff.
236 Laumen, Rechtsgespräch im Zivilprozeß, S. 76; Rödig, Gerichtliches Erkenntnisver-
fahren, S. 40. Richtigerweise wird man annehmen müssen, daß eine Partei oft gar kein
Interesse an einem rationalen Diskurs haben wird, sondern versuchen wird, durch „strate-
gische“ Nichtkommunikation (z.B. Verschweigen ihr ungünstiger Tatsachen) das Pro-
zeßergebnis für sie günstig zu beeinflussen, Schaper, Studien, S. 176 f.; außerdem wird die
unterlegene Partei das Prozeßergebnis oftmals kaum aus besserer Einsicht, sondern als
Ausdruck legitimierter staatlicher Macht hinnehmen, vgl. Grunsky, Grundlagen, § 1 II,
S. 4; ferner Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage, S. 63.
237 Grunsky, Grundlagen, § 1 II, S. 4.
238 Dazu MA-ZPO/Schmidt, Einl. Rz. 8.

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