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Pinder, Wilhelm
Die deutsche Plastik: vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (1. Teil) — Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion m.b.H., 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.55159#0129
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WEINSTRAUCHMARIA UND SCHUTZMANTELMADONNA

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Ganz am Anfänge des Jahrhunderts steht die Rosenstrauch-Madonna von Straubing, jetzt München, Nat.-
Museum. Ein dicker Rosenstamm windet sich vor ihren Füßen aus dem Sockel, vor und an ihr aufwärts bis an die
Halshöhe, das Kind mit einem Rosenhage umgebend. Es ist im Figürlichen ein Stil, der soeben erst aus dem
des 13. Jhhs. herausgefroren ist; das Baumgerank darf an den wenig früheren Naumburger Diakon als Lesepult erin-
nern. Hier ist die Gesinnung wichtig. Was die Malerei im 15. Jahrhundert so gerne gab, der „Hag“, ein Raum-
element, ist hier noch als Körper da; noch Körper und doch in einem Geiste, den man im reinen 13. Jhh. nicht
erwarten dürfte. Das Blättergehege beginnt die Figur mit einem Gespinst von Beziehungen zu umwickeln: aus
dem Statuarisch-Unbedingten wird ein Malerisch-Beziehungsreiches werden können. Auch diese Madonna war
kein Gnadenbild der alten Art, gewiß nicht für den gleichzeitigen Eindruck Vieler, sondern für den einsamen
Weniger: Andachtsbild, sicher im abgelegenen Raume wirkend. Halm, dessen Ansicht über die Datierung ich
nicht teile, hat diese Bestimmung und das Symbolische darin sicher richtig dargelegt: virgo und virga, die Jung-
frau und das Reis — bis zu den „vier Rosen an Händen und Füßen“, von denen Suso spricht, können die Deutungs-
träume sich verlieren. Nicht ausgeschlossen, daß wirklich die Regensburger Predigten des Thomas von Aquino
und des Bonaventura im 13. Jahrhundert hier eine erste Übersetzung fanden. Das Motiv scheint dann längere
Zeit zu ruhen, kehrt aber in veränderter Form nach dem Ablauf des 14. Jahrhunderts wieder, in Madonnen zu
Mainz, Amberg und Breslau; nicht mehr im großen Maßstabe, sondern in unterlebensgroßen Figuren. Der Rosen-
strauch aber hat sich dann in einen Strauß und Kranz verwandelt, in dessen Hegung der Crucifixus erscheint
— Maria trägt ihn, während das Kind auf ihrem anderen Arme idyllisch spielt oder schreibt: Symbolismus,
der überlogisch komponiert. — In manchen Fällen ist die Deutung auf den Weinstrauch sicherer.
Wichtiger und häufiger als die Rosen- oder Weinstrauchmaria ist die Regina misericordiae,
die Schutzmantelmadonna.
Wieder ist eine alte Schriftstelle der Keim einer Schöpfung, die zunächst in Worten verläuft. „Sub tuum
praesidium confugimus, sancta Dei genetrix, nostras deprecationes.“ „Unter Deinen Schutz, heilige Gottes-
gebärerin, flüchten wir unsere Gebete.“ Karl der Große ließ das Gebet aus dem Griechischen übernehmen. Wieder
steht, wie bei der Pietä, ein seelischer Wunsch zuerst da, der ein Bild in Worten erzeugt. Caesarius v. Heister-
bach (1. Hälfte des 13. Jahrhunderts) hat im Dialogus miraculorum die Schilderung einer Vision hinterlassen:
ein frommer Cisterzienser schaut die Himmelkönigin in allem Glanz, von Heiligen und den Orden umgeben; der
seinige fehlt, er fragt bestürzt, „und sie öffnete ihren Mantel, den man um sie wallen sah und der eine wundersame
Weite hatte, und zeigte ihm eine unzählige Menge von Mönchen, Konversen und Nonnen.“ Es ist ein Bild in
Worten entstanden. Und wieder ist es unser 14. Jahrhundert, das es in das Sichtbare hebt. Hier muß doch einer
seiner Grundzüge leben: Sichtbarmachung isolierter und kombinierter Gefühlsgehalte, aus der Dichtung in die
Plastik hinein. Auch die dichterischen Visionen, in denen das literarisch Bekannte als Erscheinung neu empfan-
gen wird, mehren sich gegen unsere Epoche hin, besonders in den Kreisen der Dominikaner beider Geschlechter.
(Vision der Anna von Münsingen im Freiburger Adelhausenkloster, dessen Chronik 1318 verfaßt wurde!) Mariaist
die gütige Vermittlerin Gott, dem Strafenden, gegenüber, die zarte Fürbitterin beim Weltgerichte—wohl mög-
lich, daß in der furchtbaren Zeit, als um 1348 Pest, Geißlerzüge, Pogroms die Menschheit entsetzten, als jener
Gott der Pestkranken am Würzburger Spital entstand, der wie der Höhepunkt eines älteren Stils uns erschien,
daß damals der Kultus einen neuen Antrieb erhielt. Die Malerei kennt die Darstellung vorher (Cimabue). In
Ungarn soll es im frühesten 14. Jhh. Schutzmantelmadonnen auf Glasgemälden geben; in Siegeln kommen sie
wohl auch schon vor. Die Eroberung der Groß- und Vollform scheint in die Zeit der Mitte zu fallen. In Frei-
burg erscheint die Königin am linken westlichen Strebepfeiler des Hochturmes, das Haupt leicht geneigt, das Ge-
wand in sehr strengen, feinen Parallelen rhythmisiert, vielleicht stilistisch vom Hl. Grabe herzuleiten, aber ent-
schieden schon gefestigter. Die Schutzbefohlenen, im ganz kleinen Maßstab, sind übereinander „geklettert“,
dem geöffneten Mantel eingeschmiegt. Innerlich energischer neu, schon in leichter Entfernung vom Rhythmischen,
aber noch voller Majestät, tritt die Mantelmaria dann in Gmünd auf (Südportal des Chores — immer wieder
Gmünd!) und weicher und breiter noch, unmittelbar abhängig, im Südportal des Augsburger Chors, dessen
Beziehung zu Gmünd wir überall sahen. Hier in jener Polykletischen Festigkeit der Gesichtsbildung, die den
Meister der Madonna am Türpfeiler kennzeichnet (Abb. 7). Das löte hat hierzu nur noch das Kind gefügt,
ja selbst dieses kommt schon in einer Steinmadonna des Freiburger Städt. Museums noch vor 1400 vor. — Dies
ist nur ein weiterer Sieg der Vergegenwärtigung. Der zusammenziehende Formenstil von Gmünd-Augsburg
scheint besonders gut dem zusammenziehenden der Gedanken zu entsprechen.
Literatur: Weitere Beispiele bei Jul. Baum, Gotische Bildwerke Schwabens, S. 49ff. Die dichterische
Vorgeschichte bei Krebs, Freiburger Münsterblätter, I, S. 27ff. und bei Perdrizet, La Vierge de Misericorde, 1908.
W. Pinder, Die deutsche Plastik. 8
 
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