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Platte, Erika; Friedrich, Caspar David [Ill.]
Caspar David Friedrich - Die Jahreszeiten — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 65: Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.61224#0043
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Endlich siehe, die Sonne der hohen Mannskraft ist
hinunter. Des Weges letzter Theil war öde und einsam.
Alle Blüthen waren vorüber, und selbst die Früchte die
sie uns getragen! Denn was wir für unser ewiges Eigen-
thum gehalten, hat das Schicksal, dessen freie Gabe es
gewesen, zurückgenommen. Noda vor unsren Augen ist
in Trümmer gesunken ein Theil unsres Tagewerks, das
für die Ewigkeit gebaut schien, und von der jungen Welt
vergessen. Nur der Wille, das Streben in uns, das sich
bis ans Grab, nur immer reiner und besser geworden, er-
halten, war unser, und an diesem hält sich das innre
Vertrauen fest. Erreicht ist die stille Küste, wo sich der
einst so mächtige Strom ins Meer verlohren, und der
graue Wandrer siehet sich einsam unter Gräbern. Noch
ist das tiefe Sehnen, das uns bis hierher geführt, nicht
gesättigt, ach selbst die Hoffnung des Sommers, welcher
es reifen sollte, ist nun vorüber, und die Zeit des Schnees
bedeckt die Saat eines künftigen Frühlings. Da bildet
durch die Trümmer einer alten hohen Vergangenheit,
der Mond mit vollem Licht herein. Der Himmel öffnet
sich dort über dem Meer, und zeigt sich noch einmal in
seinem klaren Blau, wie in der frühen Kindheit. Da
wird in prophetischem Schimmer, jenseit des Meeres die
Küste eines fernen Landes geahndet. Von seinem ewigen
Frühling haben wir vernommen, und wie in ihm jenes
tief im Innern wohnende, das wir als Knospe hinüber-
bringen, reifen wird. Nimm dann hinweg Zeit, auch die
letzten Trümmer unseres irdischen Daseyns, nimm hin-
weg auf einige Zeit auch die Erinnrung des zurück-
gelegten Weges, und laß uns, wenn dein ewiges Gesetz
es so gebeut, schlummernd in dem lang ersehnten Vater-
land ankommen!
So wird, wenn wir die Bildungsgeschichte des mensch-
lichen Gemüths, wenn wir seine Entwicklung von der
Wiege bis zum Grabe betrachten, mitten in dem Gang
des irdischen Strebens, ein andres höheres erkannt, wel-
ches mit jenem fast in Widerspruch zu stehen scheint,
oder welches wenigstens in dem Gedräng des Lebens,
selten oder nie aufzublühen vermag. Die hohe Welt der
Poesie und des Künstlerideals, noch mehr die Welt der

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