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Prinzhorn, Hans
Bildnerei der Gefangenen: Studie zur bildnerischen Gestaltung Ungeübter — Berlin, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.11508#0052
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„Es handelt sich um einen vom psychiatrischen Standpunkt aus außerordentlich
interessanten Fall. S. ist im Jahre 1900 als Sohn eines Bauern in Polmsch-Ober-
schlesien geboren. Er gibt an, daß seine Vorfahren sehr vermögend gewesen seien,
jedoch, das Gut ihrer Väter verpraßt hätten, so daß jetzt nur noch ein kleines Anwesen
übriggeblieben sei, aus welchem sein Vater vertrieben worden sei. Er wohne jetzt in
der Provinz Sachsen. Er hat noch fünf Schwestern und einen Bruder. Ein zweiter
Bruder ist wegen Mordes hingerichtet worden. Der S. selbst hat nach seiner Angabe
vom 8. bis 10. Lebensjahre eine Realschule, vom 10. bis 12. die Dorfschule in
seiner Heimat, vom 12. bis 14. Jahre eine katholische Bezirksschule in Dresden
besucht. Ein Handwerk hat er nicht gelernt. Er behauptet, daß weder dazu noch
zur Vollendung seiner Realschulbildung das Geld seiner Eltern gelangt hätte. Er
will während des Krieges nach Warschau gelangt sein und dort einige Zeit Vor-
lesungen an der Universität gehört haben. 1915 wurde er wegen Diebstahls einmal
zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt, für die ihm eine vierjährige Bewährungsfrist
bewilligt wurde. In demselben Jahre wurde er wegen Diebstahls zu drei Monaten
Gefängnis verurteilt. Außerdem verbüßte er 1915 wegen Betteins eine Haftstrafe.
1918 wurde er wegen Mordes zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Strafe wurde
später auf 10 Jahre herabgesetzt. Er hatte gemeinschaftlich mit seinem Bruder und
einem Dritten einen Mann, der für eine Zuckerschiebung einen großen Geldbetrag
bei sich führte, in einer Heidegegend ermordet. Nach der Tat flüchteten alle drei
und wurden in einem Großstadthotel schwer bewaffnet ergriffen. Alle drei haben
den Mord geleugnet, doch wurden die beiden andern Männer zum Tode verurteilt
und hingerichtet, während S. als Jugendlicher die genannte Höchststrafe erhielt. —
Bei seiner Einlieferung in die Gefangenenanstalt gab er an, daß er früher einmal
starkes Fieber gehabt und den rechten Unterarm gebrochen habe. Andere Krank-
heiten habe er nicht durchgemacht. Die Untersuchung ergab, daß er auf dem rechten
Auge fast gar nicht sehen konnte. Nach Angabe der Augenärzte besteht eine rechts-
seitige Sehnervenatrophie (17. 1. 1919). Bald nach der Aufnahme klagte er über
Sehbeschwerden und behauptete, sein Pensum (Tütenkleben) nicht machen zu können.
Anfang 1919 wurde er bei einer Aussprache mit dem Arzt sehr ausfallend,, und
seitdem hat er sich fortgesetzt wegen aller möglichen Beschwerden krank gemeldet.
Im Oktober 1919 wurde er zur Beobachtung auf seinen Geisteszustand im Kranken-
haus der Gefangenenanstalt eingebettet. Er verschlimmerte dort den Zustand seines
Auges, an welchem eine geringe ekzematöse Lidrandentzündung bestand, fortgesetzt
durch Reiben u. dgl., war jedoch sehr beleidigt, wenn er zurechtgewiesen wurde. Es
zeigte sich, daß er mit allen Mitteln bestrebt war, seine Freiheit wiederzuerlangen
und die Hoffnung auf Entweichen aus der Anstalt nicht aufgegeben hatte. Bereits
damals wurde vom dortigen Anstaltsarzt im Krankenbogen vermerkt, daß S. sich
wohl zum Querulanten ausbilden würde. Während seiner Gefangenschaft hier hat er
mit seinen Zeichnungen begonnen. Unterricht hat er niemals darin gehabt. Trotz
aller Ermahnungen war er zeitweise bis zu einem Jahre nicht zur Arbeit zu bewegen,
obgleich ihm sogar Arbeit zugewiesen wurde, die von Blinden gemacht werden kann

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