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Entscheidungen des Preussischen Oberverwaltungsgerichts in Staatssteuersachen — 1.1893

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Abtheilung I. Entscheidungen in Einkommensteuersachen
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https://doi.org/10.11588/diglit.61806#0368
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Die hiergegen eingelegte Beschwerde, nach welcher Censitin
unter Berufung auf Zeugen behauptete, rechtzeitig, d. h. am
2. Juni 1892, ihre Berufungsschrift dem genannten Vorsitzenden
eingereicht zu haben, wurde vom Oberverwaltungsgericht als
begründet anerkannt.
Gründe.
Durch die Aussagen der gerichtlich vernommenen Zeugen,
des Rechtsanwalts - Bureauvorstehers N. zu A. und des
Schreiberlehrlings O. daselbst — von der Vereidigung des
letzteren wurde, weil er noch nicht 16 Jahre alt, gerichtsseitig
Abstand genommen — ist für tatsächlich festgestellt zu er-
achten, daß die in Rede stehende Berufungsschrift kurz nach
4 Uhr am Nachmittage des 2. Juni 1892 im Steuerbureau des
Magistrats (Vorsitzender der Einkommensteuer-Veranlagungs-
kommission zu A. war zur Zeit der Oberbürgermeister daselbst)
zur persönlichen Uebernahme angeboten und demnächst in
Folge dort ertheilten Rathes in einen im Rathhause daselbst
befindlichen Briefkasten, dessen nächste Leerung nach Aufschrift
um 5 Uhr bevorstand, eingesteckt worden ist.
Unter diesen Umständen wurde die Frist durch Einwerfung
der Berufungsschrift in den Briefkasten des Vorsitzenden der
Veranlagungskommission gewahrt. Die Steuerpflichtige konnte
mit voller Bestimmtheit darauf rechnen, daß ihre Berufungs-
schrift noch im Laufe des 2. Juni 1892 und damit fristgemäß
im geordneten Geschäftsgänge in die Hände des zuständigen
Beamten gelangen mußte (vergl. Entscheidung des Reichs-
gerichts vom 20. März 1880, Bd. I der Entscheidungen
in Civilsachen S. 429).
Die Zurückweisung der Berufung wegen Nichteinhaltung
der Ausschlußfrist entsprach deshalb nicht den gesetzlichen Vor-
schriften (§. 44 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes), insofern
die nach §. 40 des Gesetzes zu bemessende Frist am 2. Juni
1892, dem erwiesenen Eingangstage der Berufungsschrift bei
der Behörde, noch nicht abgelaufen war.
Somit war die Beschwerde als begründet anzuerkennen,
und die nicht spruchreife Sache der Berufungskommission zur
 
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