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Purchla, Jacek
Teatr i jego architekt: w stulecie otwarcia gmachu Teatru im. Juliusza Słowackiego w Krakowie — Kraków: Miedzynarodowe Centrum Kultury, 1993

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https://doi.org/10.11588/diglit.57698#0151
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in Bayreuth gemeinsam, auch dieses wurde bald zum „Wallfahrtsort” — zum Santiago
de Compostela des polnischen Theaters.9
Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, daß das Slowacki-
Theater angesichts einer baldigen und heftigen Gegenreaktion auf den Historismus
sowie der sich um 1900 vollziehenden Wandlung in der Kunstauffassung sehr schnell
seine Aktualität einbüßen mußte. Obgleich seine neubarocke, sehr „bewegliche”
Architektur vielleicht auch bestimmte Elemente des heraufziehenden Jugendstils
antizipierte, war dieses Theater in den Augen der jungen aufbegehrenden Avantgarde
Symbol der abklingenden Epoche des Kitschigen und des Spießertums.
„Das neue Theater erinnert mich an eine mißratene Torte, die die
Köchin großzügig mit Mandeln und allerlei Früchten garniert hat. Wenn es wenigstens
möglich wäre, den am Dachrand aufgestellten Schnickschnak herunter zu bekom-
men...”,10 schrieb zu Beginn des 20. Jh. ein strenger Kritiker der Krakauer Architektur
des vergangenen Jahrhunderts.
Die Bedeutung des Baustils ist aber an seiner Wirkung zu messen.
Bereits der für das Theater ausgeschriebene Wettbewerb war ein Erfolg. Namhafte
Preisrichter und nicht weniger bekannte Teilnehmer sprechen für seinen Rang. Die
eingereichten Entwürfe zeichneten sich durch ein hohes Niveau aus, das Mißtrauen
gegenüber den heimischen Architekten erwies sich als völlig unbegründet. Nicht ohne
Bedeutung war die Tatsache, daß der Ertrag des Wettbewerbs in internationalen
Medien veröffentlicht wurde; das mit dem ersten Preis ausgezeichnete Projekt von
Fellner und Helmer wurde auf einem der zentral gelegenen Plätze in Zürich, am Ufer
eines malerischen Sees errichtet.11 Das von Zawiejski erbaute Krakauer Theater blieb
nicht ohne Einfluß auf das Werk von Fellner und Helmer — das Gebäude des
kroatischen Nationaltheaters in Zagreb12 und die Gestalt des neuen Lemberger
Stadttheaters.
Eine umfassende und gerechte Beurteilung des Werkes von Zawiejski
muß davon ausgehen, wie bescheiden die Mittel waren, die man für den Bau bereit-
gestellt hatte. Dies muß man vor allem dann vor Augen haben, wenn man Vergleich
mit ähnlichen Bauten in anderen reicheren europäischen Metropolen anstellt, die für
Vorhaben dieser Art ungleich größere Aufwendungen aufbrachten. Vor diesem
Hintergrund hat auch das Pathos des Baustils seine Berechtigung und seinen ideellen
Grund. Zawiejski meisterte seine Aufgabe ausgezeichnet.
Zawiejski repräsentierte einen für die Architektur des 19. Jh. typischen
„regressive utopian”, wie es Manfredo Tafuri treffend bezeichnete. Diese „regressive
utopian” wirkten in einer Welt des aufkommenden Kapitalismus, in einer Welt, in der
sehr dynamische soziale Prozesse abgelaufen sind, in der Zeit der „Dampfmaschine
und der Elektrizität”, und doch schufen sie ihre Werke dem Zeitgeist zum Trotz, im
Sinne vergangener Epochen. Eklektizismus und Pluralismus waren nach Tafuri die
beste Reaktion von Architekten des 19. Jh. auf die desintegrierende Wirkung einer
Umwelt, die durch die neue, im Zeichen der Technik stehende „Welt der Präzision”13
geprägt wurde.
 
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