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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0269
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IX. Fremdsicht auf Bischöfe: Abbo von Fleury und sein Werk

unterschiedlichem Ausarbeitungsgrad auftauchen, die Abbo hier zusammen-
führt.
Dieses Dossier nun diente als Medium in dem Konflikt. Ein vergleichbares
Vorgehen, aber eine unterschiedliche Kommunikationssituation lässt sich bei
Abbos Brief Nr. 1 erkennen. Diesen Brief sandte Abbo 997 an Papst Gregor V., um
ihn über die erfolgreiche Wiedereinsetzung des 991 abgesetzten Arnulfs von
Reims zu berichten. Abbo konnte triumphierend vermerken, dass er Arnulf das
vom Papst gesandte Pallium überreicht habe — ein herber Rückschlag für Gerbert
und Abbos Erzfeind Arnulf von Orleans. In diesem Brief reagiert Abbo direkt auf
Argumente Gerberts zur Legitimierung seiner Ansprüche auf den Erzbischofs-
stuhl und weist diese vehement zurück.
Abbos Vorgehensweise zeichnet sich durch Wissensorganisation, Ausar-
beitung von Gedanken in verschiedenen Zusammenhängen und durch den
Einsatz von zwei verschiedenen Arten von Dossiers aus: Erstens Privatarbeiten,
Handbücher, die die Suche von Argumenten erleichtern sollten und zweitens
systematische kanonistischen Dossiers, die nicht nur zum eigenen Gebrauch,
sondern als Kommunikationsmedien dienten. Bei der Collectio Canonum han-
delt es sich um eine monastische Kanonessammlung, die eine eindeutige mo-
nastische Tendenz aufweist und zum inner-monastischen Gebrauch gedacht
war. Der Liber Apologeticus ist eine klassische ad-hoc-Schrift, bei der der si-
tuative Verwendungszweck noch deutlicher zu Tage tritt. Arnulf von Orleans
reagierte darauf mit einer eigenen Verteidigungsschrift, obwohl der Liber nicht
an ihn gerichtet war, sondern an die Könige.
Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Gruppe der Ratgeber, die
untereinander in heftige Auseinandersetzungen verstrickt waren, wird auch der
Umgang mit Wissen über politische Ordnung immer komplexer. Eine wichtige
Rolle bei der Wissensorganisation und bei der Erstellung der dafür nötigen
Dossiers, spielte die Gemeinschaft, in der die Experten lebten und somit auch der
Ort, an dem das Wissen zugänglich war, das in einer eigenen Tradition weiter-
gegeben wurde. Fleury und Reims waren herausragende intellektuelle Zentren
mit je eigener Wissenstradition. Abbos Biograph Aimo etwa setzte Abbos Ar-
beitsweise fort und ging Akte für Akte, Dossier für Dossier im Archiv durch, wie
er selbst in der Vita Abbonis berichtet. Die Aneignung von Wissensbeständen
verlief im Reformmönchtum ohne Zweifel auch über personellen Austausch und
Reformnetzwerke. Doch blieb die Weitergabe des Wissens auch stets an Perso-
nen und an einzelne Orte gebunden.
Es handelt sich bei der Wissensorganisation um einen komplexen Aneig-
nungsprozess, bei dem sich einige Unterschiede zwischen den Gruppen der
Bischöfe und der Äbte abzeichnen:
Im monastischen Bereich konnte man noch nicht auf Spezialwissen der ei-
genen Gruppe zurückgreifen, sondern auf die für die Zeit typischen Quellen des
kanonischen Rechts und Kirchenväter wie Gregor den Großen, der auch für die
Bischöfe eine Autorität darstellte. Nur der Umgang mit den Quellen war von
monastischen Bedürfnissen geprägt und es wurden systematische kanonistische
Sammlungen zur Verteidigung des Reformmönchtums angelegt, die nicht zur
breiten Verbreitung und Rezeption gedacht waren, sondern entweder im enge-
 
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