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Ein Schrei gellt uns im Ohr.
Ein grimmiger, millionenstimmiger Schrei, der die Erde «r»
beben macht.
Ein Schrei triumphierender Vergangenheit.
Ein Schrei aus Urwelttagen.
Erlösergeburt.
(1918)
Schmerzgeschüttelte Erde, wundenbedeckt,
Leidendurchwühlt und arm und elend und blök.
Die du in Wehen geschrien, nun hat sich entreckk
Atmende Frucht deinem fiebernden, glühenden Schoß.
Die deine Völker geschlagen: Qualen und Not,
Zeugten gewaltiges Leben aus Trümmern und Tod.
Was so lange in heimlichen Tiefen gebunden;
Was geworden in langsam reifenden Stunden;
Was von Hoffnung genährt in der Stille erblühte
Und zum Lichte, zum segnenden Lichte sich mühte;
Dem die Tore Jahre um Jahre verschlossen —
Jauchzend ist's einer stürmischen Stunde entsprossen.
Siehe, o Menschheit, was deine Erde gebar:
Freiheit, die Traum dir nnd brennende Sehnsucht war;
Die dich nun anblickt mit jungem, lebendigem Sinn:
All ihr Gefesselten, glaubt es: ich bin, ich bin!
AL ihr Geknechteten, die euch die Freiheit mied,
Glaubt: euren Ketten wurde der lösende Schmied.
Ueber die seuszende Demut und zornige Klage
Reck ich die Arme hinaus in die kommenden Tage,
Führ ich euch rufend und ringend, der Arbeit geweihter
Zukunst erschauender fröhlicher Wegebereiter,
Hebe zur Sonne die düstergesalteten Stirnen,
Wecke die Lust und bewege die Kraft in den Hirne«,
Erde, o Erde, so voll voll Gräbern und Gram,
Sieh, dein Erlöser, dein treuer Erlöser kam.
Zünde die Lichter und schmücke den festlichen Baum,
Schmücke der Herzen sorgenverdunkelten Raum.
Der dir geboren, der uns in Stürmen genaht,
Kündet die heilige Botschaft: Erlösung ist Tal!

»! Die Quelle!»
Wochenbeilage für Unterhaltung, Bildung und Wissen
. 1 WM» > M»W IMI'»»«MIMMWMIW
Nr. L Schriftleitung: Dr. E. Kraus U Jahrgang

Heidelberger geschichtliche Tage im Jarmar
Januar 1388 Urkunde Pfalzgraf Ludwigs ll., aus welcher her-
vorgeht, datz zu jener Zeit eine Burg zu Heidel-
berg stand.
1. „ 1839 Gründung der „Harmonie"-Gescllschaft.
Eingemeindung der ehemaligen Dorfgemeinde
Reuenbeim.
» 1546 Erster Protestantischer Gottesdienst in der Heilig-
geistkirche unter Kurfürst Friedrich !i.
Uebersührung der Leiche des letzten Handschuhs-
Heimers in die Kirche zu Handschuhshcim.
16 » 1689 Melac beginnt mit den Vorbereitungen zur Zer-
störung Heidelbergs.
W „ 1689 Zehn Dörfer links des Neckars durch Melac ver-
brannt.

Krieg und Freiheit.
Zwei Dichtungen aus Ernst Preczangs
^5 m Strom der Zeit'.
Der Schrei. t
(1914)
Ein Schrei gellt uns im Ohr.
Ein millionenstimmiger, grimmiger Schrei.
Ein Schrei aus Zorn und Wut, aus Rachsucht und Mordlust
geboren.
In allen Ländern gellt er empor, über die Meere bin zittert
der Schrei und läßt alle Zonen der Erde erbeben.
Wir horchen erschreckt.
Arbeiteten wir nicht? '
Schassten wir nicht friedlich mit Kopf und Hand am Gedeihen
der Menschheit?
Um das Kind im Mutterleibe schon ging unsere Sorge. Un-
wenn es geboren war, pflegten wir's unter unsäglichen Mühen
empor zu Kraft und Gesittung. Wir opferten unsere Tage für
feine Nahrung und stritten für das gesunde Brot feines werden-
den Geistes.
Was tiefschürfende Forscher in Jahrhunderten an Erkenntnis
ergraben, was an leuchtenden Wahrheiten bineinslrahlte in dies
Dasein — wir widmeten es w,- - -- . datz es einst
vollkommener werde als wir, Weiser und gerechter.
Und weil sich de: B-m ,a... ..... die in der
Geschichte der Menschheit anfklasfen, lietzen wir ihn zurückschauen
in das Ringen und Kämpfen versunkener Jahrtausende und in
das lastende Zwielicht urweltgrauer Vorzeit.
Lietzen ihn sehen, wie das Menschengeschlecht sich einst ab-
zweigte von dem dumpfen, unbewußten Dasein des Tieres. Wie
der Urmensch mit dem Stein in der Faust durch das verworrene
Gestrüpp finsterer Wälder streifte und sich brüllend auf Feind und
Beute warf.
Lietzen ihn sehen, wie er emporstieg aus seiner Wildheit zu
gezähmteren Begierden, wie der Kraft der Faust die Kraft des
Geistes sich gesellte. Wie das Fünkchen im Hirn ausleuchtete und
wuchs und wuchs, wie die Augen sich weiteten und Heller und
Heller wurden, wie die Stirn sich hob und der Adel des Denkens
sich einte mit dem feinen Empfinden einer ahnenden Seele.
Siehe, sagten wir, dies ist der Mensch.
Et» bewußt denkendes, bewußt fühlendes, bewußt schaffendes
Wesen — das erst ist der Mensch.
Richt Vernichtung ist die ihm eignende Krast — blinde Ele-
mente vernichten, und vernichtend wirkt auch das unverständige
Tier.
Aber bewutzt schöpferisch ist n u r der Mensch!
Wir bewiesen es tausendfältig.
Wir lietzen unsere Kinder das Heranreifen umwälzender Er-
findungen und das blitzartige Aufleuchten genialer Geister schauen;
Wir zeigten ihnen die fruchte- und folgenreiche Wirkung großer
Gedanken und edler Gefühle; wir lehrten es sie lieben, das lichte

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Reich der Kunst und Wissenschaft, und kämpften um die Oeffnnng
der Pforten zu diesem Reich.
Und wir sagten: Hier ist die Bahn, auf der die Menschheit
emporgewandelt zu immer höherer Vollendung. Aus diesem Grunde
erblüht den Völkern Heil und segnende Fruchtbarkeit.
Denn jene Vollendung begreift alles in sich, was gut und ge-
recht, schön und weise ist.
Diese Vollendung bedeutet den endgültigen Sieg des denker-dm
Hirns und der fühlenden Seele über alles, was der Menschheit
aus ihrer tierischen Herkunft auhaftet und offen und versteckt sich
forterbte durch Generationen und aber Generationen.
War uns diese Vollendung nicht Hoffnung und Gewißheit?
Wir sahen Götter avdanken'und Himmel zerfallen, fahen tan
fendjährige Lügen ohnmächtig am Boden liegen und junge Wahr-
heiten ihr leuchtendes Banner siegreich entfalten, sahen die nickifche
Roheit, die Steine aushob, sich machtlos winden unter dem Hellen
Auge einer Willensstärken Gesittung, sahen Ketten, die Jahrtausende
geklirrt, zerbrechen — und hätten zweifeln sollens
Wo wir auch hinschauten, überall trat uns der neuschöpserischs
Geist der Völker vor den Blick.
Seine Waffe war nicht mehr die Zaust, shndern der über-
zeugende Gedanke.
Er hat herrliche Siege erstritien, hat Licht geworfen in dutUle
Hirne und Herzen; er lehrte die geistig Blinden sehen, lehrte sie
das Dasein der Gesamtheit und das Glück des Einzelnen achten,
lehrte den Einzelnen, sein Glück im Glück der Gesamtheit zu finden.
Er kündete den Triumph der Menschheit über ihre Vergangen-
heit an.
Den Sieg des Hirnes über die Faust.
Und nun?
 
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