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— WAL — — — — — 8* —
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Im Rahmen der Ktaſſikerausgaben des Infel-Verlag3 find
vor kurzem von Fritz Bergemann auf Grund des handſchriftlichen

ein glaͤnzendes Erzeugnis der deutſchen Buchkunſt, alles in
llem die Büchner⸗Ausgabe; „KX. E. Fvanzos Büchner-Werk“

allen Verdienſten, die dieſer Herausgeber um die allmählich wach⸗
ſende Kennmis und Anerlennung Büchners ſowie um die Erhal⸗
tung ſeines literariſchen Nachlaſſes ſich erworben hat, kritiſch ver—
fuhr er bei ſeiner Arbeit nicht Da alle ſpäteren Buͤchner⸗Ausgaben
auf der von Franzos fußen und höchſtens gelegentlich kritiſchen
Zweifeln an der Echtheit des Textes durch Konjekturen prattiſche
Folge geben, ſo hatte ſich die neue InſelAusgabe von der bis—
herigen Textüberlieferung möglichſt frei zu maͤchen und auf die
Erſtdrucke und Handſchriſten zurückzugehen. Dazu kam noch daß
die visherigen Büchner⸗Ausgaben ſich in der Hauptſache auf den
Dichter beſchränkten, die poetiſchen Arbeiten Büchners jedoch nur
einen Teil ſeines Lebenswerkes ausmachen. Dieſes in ſeiner er⸗
ſtaunlichen Vielſeitigteit einmal vollſtändig vorzulegen, war ange⸗
ſichts des frühen Endes, mit dem der Tod Büchners Entwicklung
abbrach, eine doppelte Notwendigleit. Es bleibt das unbeſtreitbare
Verdienſt Fritz Bergemanns, dieſe nicht leichte Arbeit in muſter⸗
ltiger Weiſe durchgeführt zu haben Der Inſel⸗Verlag konnte
dieſer Aufgabe um ſo eher gerecht werden als es ihm gelungen
war, den literariſchen Nachlaß Büchners in ſeinen Beſitz zu bringen.
Eine vollſtaͤndige Ausnutzuns dieſes Nachlaͤſſes aber in dem auch
wertvolles biographiſches Material ſteckte, brachte die voͤllig neue
Geſtaltung der vorſtegenden Ausgabe mit ſich. Sie umfaßt zum
erſtenmal das geſamte ſchriftſtelleriſche Vermaͤchtnis des Dichiers,
alſo auch den Heſſiſchen Landboten, bei dem verſucht worden iſt,
den echt Büchnerſchen Text von Weidigs Aenderungen und Zulaten
durch Anwendung zwiefacher Typen zu unterſcheiden die natur⸗
wiſſenſchaftlichen und philoſophiſchen Schriften, die Ueberſetzungen,
wie Briefe und was ſonſt noch aus dem literariſchen Nachlaßz mit⸗
teilenswert erfchien,
neber Geors Büchners Bedeutung ſei zum Schluſſe eine Stelle
aus Joſeph Collins biographiſchem Artiket in Hermann Haupts
Heſſiſchen Biographien (1. Band, Darmſtadt 1913). wiedergegeben:
Was Buͤchner der Wiſſenſchaft hätte werden koͤnnen, laͤßt ſich aus
dem wenigen, was er für ſie tun konnte, nicht Geftimmen: fülr die
Kunſt bedeutet ſein früher Tod den ſchwerſten Verluſt ſeit Kleiſts
jähem Hingang. Als Kuͤnſther hatte er ein Mar erkanntes Ziel vor
Augen und er ging ihm ſicheren Schrittes entgegen, voll ſchoͤpferi⸗
ſcher Kraft, jedem Eindruck empfänglich und des bezeichnendſten
Auzdrucks fahig. Als Vorbilder ſtanden ihm die am höchſten, die
die Natur am wirklichſten gegeben. Die Begabung wie den Cha⸗
raͤtter des nicht für jeden zuganglichen SAnglingsS, dem die leere
Begeiſterung und die prahleriſche Gebärde zugleich zuwider waren,
haben ſeine Mitverſchworenen, die vor Gericht über ihn ausfagen
wmußten gerühmt: ſeinen edlen Sinn fitı alles Schöne und Große,
ſeine Begeiſterung wie ſeinen Scharfſinn, ſeinen überwiegenden
Geiſt, ſeine hinreißende Beredſamtett und als tiefften Grund feiner
politiſchen Denlart das reinſte Mitleid mit den Armen und Nied⸗
— —

Der Kronprinz und der Poſtaſſiſtent
Von HO m d.

Jür emen Srzähler iſt es nicht mehr lohnend, ſich mit den
Leuten zu unterhalten! Die meiſten ſind nur noch wandelnde
Nechenmaſchinen mit ſtrohenen Köpfen und vertrockneten Herzen

über einen Kamm geſchoren ohne Verſonlichteit und Eigenart

ſt in dem furchtbarſten Erlebnis Deutſchlands ſeit dem dreißie⸗
gen Kriege, ſelbſt im Weltkrieg haben ſie nichts erlebt oder

n doch kein Erlebnis daraus zu berichten. Wie eine Dampf-

e iſt das ſchreckliche Eveignis uber ihr geiſtiges Leben dahin⸗

gangen. Das geiſtige Leben iſt Schablone geworden. Sogar
die Käuze, die für den Alltagstopf meiſt lächerlichen und für den
Menſchentenner ſo intereſſanten Käuze und Kaͤuzinnen die ihr
Leben lang wenigſtens am einem einzigen Erlebnis zehren ſind
ausgeſtorben. Ein Kurszettel oder beſtenfalls ein armſeliger poli⸗
tiſcher Leitartitel iſt atles, was dabet heraustommt, wenn man den
Menſchen von heute am die Schadeldecke klopft.
Das war in der langen, geſchichtlich verhältnismäßis ſo er⸗
loſen Zeit zwiſchen dem Krieg von 1871 und dem Welttries
Jaſt jeder Teilnehmer des ſiebziger Epiſodenkrieges hatte
eine Epiſode erlebt, die ſich ſeinem Gedächtnis ſeſt einge⸗
‚ und die er bei jeder vaſſenden Gelegenheit zum Beſten gab.
ch dem Kriege gedient, wußten wenigſtens irgend eine Ge⸗
aus ihrer Kaſernen⸗ oder Manöverzeit zu erzählen Ande⸗
eder war ein Erlebnis aus ihrer Geſchäfts- oder Beamten⸗
ahn, aus ihrer Geſellen⸗ oder Studentenzeit lebendig geblie⸗
Wo man auch antklopfte, jeder hatte ſeine eigene Geſchichte

\




erAHBLiH Ür den Geſchechtenichrerver.

So lernte ich um 1901 herum in Hanau einen penfionetter
Oberpoftjefretär kennen, der ſein ganzes Leben hindurch von einem
Erlebnis zu erzählen pflegte, das jeder ſeiner Bekannten immer
wieder zu hören belam und es doch immer wieder gern hoͤrte, weil
es der Erzäͤhler prächtig zu erzählen verſtand und ſo ganz dabei
war, daß er es ſelber immer wieder von neuem erlebte

Oberpoſtſekretär Schweder — ſo will ich ihn nennen — ſtand
als junger Poſtaſſiſtent in voller Untform mit dem Degen an der
Seite auf dem Bahnhofe zu Julda vor dem Bahnpoſtwagen, ſah
pflichtgemäß, ohne eine Hand zu rühren zu, wie die Unterbeamten
Palete aus- und einluden, und ließ ſich von den rot⸗ und paus⸗
bäckigen heiratsfähigen Fuldaer Mädchen bewundern Da trat ein
dem Zug entſtiegener fein gelleideter, ſtattlicher vollbartiger Herr
an den ſchneidigen Briefträgerleutnant Hean und erkundigte ſich
nach den Sehensſwürdigleiten Fuldas. Mit einem Blick hatte
Schweder erkannt, daß der ſtattliche Herr kein anderer war als der
damalige deutſche Kronprinz, der nachmalige KXaijer Friedrich.
Obwohl ungedient ſtand Schweder militaͤriſch ſtramm und erbol
ſich, da ſein Dienſt gerade beendet ſei, Seine Kaiſerliche Hoheit
ſelbſt zu führen Leutſelig nahm der Kronprinz Friedrich das
Anerbieten an, lehnte aber die Kaiſerliche Hoheit ab. Er ſei ſeiner
Vittoria, die in Kiſſingen weile, einmal durchgegangen, um ſich in
Fulda inkognito als ſchlichter Herr von Babelsberg zwanglos
einen vergnügten Nachmittag zu machen Alſo ja nicht Kaiferliche
Hoheit, ſondern nur Herr von Babelsbers.

Schweder führte nun, nachdem er einem Poſtſchaffner zuge⸗
flüſtert, daß es der Kronprinz ſei, den Herrn von Babelsberg erſt
in den Dom, dann auf den Frauenberg, dann in das damals
mönchsverlaſſene Kloſter, dann den Paſſionsſtationen entlang auf
den Calvarienberg und ſchließlich hinab nach Horas. In Horas
kehrten Herr von Babelsberg und Schweder im „Kreuz“ ein
„Kaiſerliche Hoheit wird ſchon die Zeche bezahlen,“ dachte Schwe⸗
der, denn es war der ſtebenundzwanztaͤſte des Monats und der
ſchneidige Briefträgerleutnant hatte nur noch eine Fünfpfennig-
marle im Portemonnaie.

Zu jener Zett war das Fuldaer Bier ſozuſagen nicht zum
trinken, wenn es auch die Fuldaer doch tranten Nur drei oͤder
vter große Blaſen bildeten den Schaum Herr v. Babelsberg fragte,
ob der Wirt kein anderes Bier habe. Schweder nahm den Wirt
beiſeite und klärte ihn über den hohen Gaſt auf. Bereitwillig
ſteckte der Wirt ein Faß Erlanger Bier aus Hanau an, das eigent
lich für den KXegelabend der Gymnaſiallehrer beſtimmt war Dieſes
dunkle Bier mundete Herrn v. Babelsberg ganz vortrefflich Auch
Appetit betam et. Auf Schweders Vorſchlaa beſtellte er erſt zwei
heiße Fuldaer Knoblinen — nebenbei bemertt die delikateſten
Siedewurſtchen der Welt — und dann zweimal durchwachſenen
Speck mit je vier Ochſenaugen Schweder hegnügte ſich mit einer
Fnobline, einer Speckeierportion und drei Schoppen Erlanger aus
Hanau. Kalſerliche Hoheit aßen vier Knoblinen und Dreimal Speck
mit Eiern, wozu Kaiſerliche Hoheit nicht weniger als zehn Schop⸗
ven Erlanger aus Hanau genehmigten. Kein Wunder daß Kron-
prinz Friedrich oder Herr v. Babelsbera immer geſprachiger wurde
Leutfelig, wie er nun einmal war erzaͤhlte er von ſeiner Wiktoria,
ſenem Wilhelm, ſeinem Heinricdh, ſeiner Mama Augufte und feinem
alten Papa Wilhelm, gerade ſo offen und freuberzig, wie ein Jul⸗
daer Bäckermeiſter tun würde, die luſtiaſten Auetdoten Schließlich
wurde es Zeit aufzubrechen, wenn Herr v. Babelsberg noch den
Zug nach Kijffingen erreichen wollte.

Da 306 GHerr v. Babelsberg ſeine Brieftaſche, um ſelbſtver⸗
ſtaͤndlich, wie er fagte, die ganze Zeche zu bezahlen, was fonſt ſein
Adiutant tue, da Prinzen kein Geld bei ſich tragen Und.— wel⸗
ches Pech hatte er richtia vergeſſen, Geld einzuſtecken. Sich vor
Lachen ſchuttelnd, erſuchte er Schweder, die Zeche auszulegen und
ihm ein Zwanzigmarkſtück vorzuſchießen. Der Hofmarſchall werde
ihm alles am nächſten Tage zurückſenden. Mit einer Fünfpfennig-
marte ließen ſich auch damals fünf Knoblinen, vier Speckeierkuchen
und dreigehn Schoppen Erlanger Bier aus Hanau nicht bezahlen.
Aber Schweder verriet als Weltmann nichts von ſeiner Verlegen⸗
heit. Sr hob ſich mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung, aing ins
Nebenzimmer zum Wirt, blieb dieſem die Zeche jOulDig, was bet
ſeiner uniform leine Schwierigleiten machte und entlieh noch dann
ein Zwanzigmartſtuck, das er wieder mit einer ehrfurchtovollen
Verbeugung Herrn v. Babelsberg aushHändigte,

In Sulda hatte es ſich indeſſen herumgeſprochen, daß der
Kronprinz in Begleitung des Poſtaſſiſtenten Schweder auf den
Irauenberg geſtiegen ſei, und abends wieder zum Bahnhof zurüc-
kehren werde. So hatten ſich denn die Spitzen der Militärz und
Zivilbehorden nebſt einer Muſikkapelle eingefunden. Als Herr D,
Babelsberg mit Schweder ſich dem Bahnhof näherte, ſpielte die
Kabelle „Heil dir im Siegerkranz, worauf Oberbürgermeiſter
Rang in Frack und Zylinder mit der großen Amtskette entotöſten
Hauptes vortrat, um die Anſprache zu halten. Kronprinz Fried⸗
rich winkte jedoch ab und ließ durch Schweder ſagen, daß er intog⸗
nito reiſe und ſich den Empfans verbiete. Nır Schweder durfte
die Kaiſerliche Hoheit zum Zuge bealeiten, wo der Bahnhofsvor⸗



Hjindie. Neidpiaßenwd mußien dee Spiben der ZWil- und. Miliiäv-
vehorden Zujehen, wie ſich faijerlidhe HohHeit IS zum AYbaang des
Zuges aufs Leutſeltoſte mint Schweder unterhielien und Hm zum
Schlune noch lachend die Hand Drückte,

Natürlich wurden Schweder jeine Auslagen ſchon am nächſten
Tage vom Hofmarſchall zuruͤckerftattet, nein vielmehr: ein Hun—
dertmarkſchein und eine goldene Buſennadel, die er Leider bald
verlor gingen ihm vom Hofmarſchall zu. Monatelang war Schwe⸗
der in Julda der Held des Tages. Der Poſtdirektor verichtete das
Ereignis am die Oberpoſtdtrektion in Kaſſel und ließ Schweder
auffordern, ſich nochmals zum Sefretäteramen zu melden. Damals
tonnten die Poſtaſſiſtenten Sekretar werden wenn ſie das ſoge⸗
nannte Z3wanzigfrageneramen beſtanden, was jpäter aufgehoben
wurde Schweder war durchgefallen, aber der Freund des deut⸗
ſchen Kronprinzen durfte doch nicht Poſtaſſiſtent bleiben Das
Zweitemal fielen denn auch die zwanzig Iragen ſo — aus, daß
Schweder wohl oder übel beſtehen mußte.

Später brachte es Schweder noch zum Oberpoſtſekretäar. Sein
ganzes Leben lang zehrte er von dem großen Ereignis ſeines Le⸗
bens, von dem Zuſammentreffen mit dem Kronprinzen und dem
nachmaligen Ktaiſer Zriedrich. Mancher Zuhörer witterte Schwin⸗
del, wurde aber bald belehrt, daß die Geſchichte amtlich verbürgt
ſei.

Nur Schweders Bruder, der Poſtverwalter in einem Ilecken bei
Julda war, blieb unbelehrbar er ſei am achtundzwanziaſten jenes
Monats von dem Kronprinzenbegleiter um die Auslagen ange⸗
pumpt worden und habe ſie nie zurückerhalten. Aber der Poſtver⸗
walter Schweder war nicht Liebkind in Caſſel, wie ſein Bruder,
ſondern ichwarz angeſchrieben; alſo wenig glaubwürdig. Stephans
Vertreter Kaſubsti hatte einſt Schweders Amt beſucht und ſich mit

den Worten vorgeſtellt: „Ich bin der Geheime Oberpoſtrat Ka⸗
ſubsti aus Berlin.“

— mich, Aich lenne zu lärne. Wollt r net e wink Blatz
gen ham?! hatte der Poſtverwalter auf fuldiſch erwidert, was Ka⸗
ſubsti nicht verſtand. %R

„Stellen Sie mich dem Perſonal vor!“

„Könne mer gemach. Do is der Landbriefträger Kramer. Kra⸗
mer, do is der Härr Krabutzti aus Bärlin.“

Donnerwetter nochmal. Jeheimrat Kaſubsti aus Berlin bin


So/ ſo! No alſo, Kramer, dös is der Geheimrat Kraſſebumstt
us Barlin Dos iſt der Briefträger Pult. Pult, dos is der Ge⸗
heimrat Kraſſellubstt us Berlin.“

„Aber Nenſch, können Sie denn meine Namen gar nicht be—
halten?·
wärr Geheimrat Kaſſebluntzki, der Deiwel ſoll ſo breißziſche
Bollackenome behalt.“

Geheimret Kaſubsti hatte darauf der Kaſſeler Oberpoſtdirektion
geraten, den Fuldaer Bauer auf ſeinem Fuldaer Dorf zu laſſen,
wesbalb die Oberpoſtdirektion den Poſtverwalter im 3wanzig⸗
fragenexamen glatt durchfallen liez. Das war das große Erlebnis
des Bruders des KronprinzenbegleiterS. Dieſer erzählte es ge⸗
woͤhnlich nach feiner Kronprinzengeſchichte, worüber die beiden
Brüder ſpinnefeind geworden waren.

Viele Jahre ſpäter beſuchte der Kaſſeler Poſtrat Schwensky
das Poſtamt des Poſtverwalters Schweders „Ich bin der Poſtrat
Schwensty aus Kaffel, ſtellte ſich der Poftrat vor. Schwanztt?
Boß en Nome??“ platzte Schweder heraus und hätte es auch mit
dem Poſtrat Schwensty verdorben, wenn er dieſem nicht zut Ent—
ſchuldigung ſein Erlebnis mit dem Geheimen Poſtrat Kaſſe⸗
Drunmsti aus Berlin erzählt häͤtte.

Erſt auf dem Sterbebette
Schweder mit ſeinem Bruder und geſtand dieſem, daß die Kron⸗
brinzengeſchichte in gewiſſer Beziehung doch Schwindel geweſen
ſet Aus dem Fenſter des Abteils erſter Klaſſe heraus habe ihm
namlich die Hand zum Abſchied reichend, Herr v. Babelsberg erklärt,
daß er weder der Kronprinz noch der Herr v. Babelsberg fei und
daß der Herr Poſtaſſiſtent ſeine Auslagen nie wiederbekommen
werde Sr tue aber gut, zu verſchwetgen, daß er ſich habe anführen
laſſen Der Glanz, den Kronprinzen nach Horas begleitet und ihn
dort bewirtet zu haben, würde für ſein ganzes Leben vorhalten.
Und er hielt vor, und Schweder glaubte ſchließlich ſelbſt, daß der
Schwindler der Kronprinz geweſen ſei. Sein Kronprinz war er

2
Das neueſte Medikament.
Von Friedrich Möllenhoff.

Leider kann ich es nicht leugnen: ich habe eine durchaus
grundvertehrte Erziehung genoſſen. Man hat mir als Kind einge⸗
trichtert daß man das Alter ehren, gegen Damen zuvorkommend
fein müſſe, man dürfe niemanden in die Rede fallen, man dürfe
nicht mmer recht behalten wollen, ſolle anderer Neberzeugungen


Man kann es mir glauben, daß ich unter dieſen Angewohnheiten
meiner Sugend ſehr zu leiden habe. Täalich blamiere im mich da⸗

— — — — }
WAaACHLS —— — — — —
wrich — hin — — — —
weſen und habe ihn geftaat, 0 er mir Deun nihr Das Buch vom
ſchlechten Ton Hejorgen fönme, Damuit ich enDlich Lerwe, mi Dem
Geiſte der „neuen Zeit“ ein wenig anzupaſſen. VBergebens!

Nachdem ich jedoch von der Vethüngungstheorie des Prof.
Steinach geleſen hatte, kam mir der Einfall: Auch da ueliffen
Einſpritzungen helſen koͤnnen! Nach langen chemiſchen Verſuchen
habe ich endlich das erſehnte Rettungsmittel gefunden, das Medi⸗
kament der Neuzeit „Antibildorin“. — Wenige Einſpritzun
gen genügen, um den zartfühlendſten Menſchen zu einem unge⸗
bildeten Ilegel zu machen. Wer mun immer fürchtet, inmitten die⸗
ſer allgemeinen Verrohung unter die RNäder zu kommen, wer ſich an
die neuen Umgangs formen nicht gewöhnen lann, der laſſe ſich imp⸗
fen mit Antibaldorin. Nur echt mit Marte Handaranate.

Natürlich habe ich das Mittel zunächſt an mir ſelbſt au S Yr O0>
biert. Vormittags nahm ich eine Soritze und ging auf die
Straße Bums, ſtieß ich einen Herrn aus Verſehen an. Früher,
als ich noch unter meiner verfehlten Erziehuns litt, entſchuldigte
ich mich in ſolchen Fällen Setzt mit Antibildorin im Leibe, ſchrie
ich den Mann an: /kanuſie nicht Obacht geben, dummer Kerl.
Du denkſt wohl, die Straße iſt nur für Dich da. Kannſt nicht Par⸗
don ſagen? Drück di nur ſchnell, ſonſt reanet's Ohrfeigen! Der
Herr war ganz ſprachlos. Ich aber war froh und jauchzte: „Wie
das neue Meditament wirkt, Juchhe!! Bald würde ich der rück⸗
ſichts loſeſte Patron der Stadt ſein, dachte ich. Man muß das
heutzutage ſein, wenn man für voll angeſehen werden will. — —

Dann ſprang ich auf die Glektriſche und weil auf dem Vorder⸗
perron eiſt vier Leute mehr Platz genommen hatten, als die Vor—
ſchrift es erlaubte, ſtellte ich mich dazu und machte mich rechi breit
wie ein wichtiger Flegel. Sine Dame bittet uns, doch ſo liebens⸗
würdig zu ſein und etwas zuſammenzurücken. Na, dieſer Perſon
mit der ordinären Ausſprache habe ich es aber geſagt: „Halten
Sie gefalliaſt Sr vorlautes Maull“ habe ich ſie angebrüllt. „Sie
müſſen wohl etwas beſonderes haben, Sie ungebildetes Frauen—
zimmmer? dahren Sie doch mit dem Automobil, wenn Sie ſo
nobel ſind. Und ſo lange habe ich ſie aus geſchimpft bis ſie mit
rotem Nopf ausgeſtiegen iſt — viel früher, als ſie beabſichtigt hatte.
Selbſtverſtãndlich hane auch niemand in der Elektriſchen jür ſie
Partei ergriffen und mir den Mund geſtopft, denn wir leben doch,
Gott ſei Dank, in einem geſitteten Zeitalter. Ich aber Hätte am
liebſten in ale Welt hinausgerufen: „Antibildorin iſt das Beſte!
Kinder kauft Antibildorin!“ —

Mittags hatte ich einen Ireund zu beſuchen, der in einem Vor⸗
ort wohnt. Vorher nahm ich ſchnell noch eine zweite Sinfprigung,
und großartia hat ſie ſich bewahrt. Wie ich nämlich an den Fahr⸗
lartenſchalter komme, ſteht dort eine große Menge Menſchen an.
Wie die Leute nur ſo dumm ſein lönnen! Da war ich geſcheiter.
Eins, zwei drei! Ein paar Rippenftöße, daß dem Empfanger
Soren und Sehen vergeht, einem andern einen Tritt gegen das
Schienbein, dem Dritten den Ellbogen in den Magen, den Vierten
beiſeite geauetſcht, ſo arbeite ich mich vor an den Schalter. Wer
Einwendungen macht, dem biete ich die Belanntſchaft mit meinen
Fäuſten oder dem Schlagring an. Im Handumdrehen hatte 105
meine Jahrkarte und war doch ganz zuletzt gekommen. Anttbil⸗
dorin ſpart Zeit, erwirbt allſeitigen Reſpekt und iſt das einzig
Wahre! Erſt ſeit turzem habe ich das Mittel in den Handel ge⸗
bracht, aber ſchon erfreut er ſich reißenden Abſatzes.

neberall, wohin ich komme, kann ich ſofort erkennen, wer mit
Antibildorin geimpft iſt. Im Virtshaus, auf der Straße, auf dem
Poſtamt, in Verſammlungen, in der Elektriſchen, in der Eiſenbahn,
in Geſchaftsraãumen, im Theater, im Konzert, Kimo, überall finde
ich Anhänger meiner Erfindung. Sogar gewiſſe Parlamen⸗
tarter ſind ganz Antteungebildete Nenſchen! Und deshalb ſieber
Leſer, überlege es dir ernſtlich, ob es nicht auch flr dich, Deine
Einlommensverhaͤltniſſe, deine Widerſtandstraft im Konkurrenz⸗
kampf des Lebens zweckmäßiger iſt, wenn du mein Patient wirſt.
Wer ſein Gewiffen toͤten will, wer ſein Scherflein beitragen will
zur allgemeinen Verwilderung, zur Ausrottung des deutſchen
Idealismus, aller Selbſtloſigleit und Opferfreudigleit, der ge⸗
brauche Antibildorin! Jeder Schleichhaͤndler beſorgt es dir gerne.

Der Stachelbeerwein.

Von Anna Gawg.

Mit ardkem Eifer brauten ſie ihn im erſten Jahre ihrer Ehe
nach einem bewahrten Rezept. Ste füllten das edle Naß in einen
großen Glaskolben, der mit einer Strohhülſe umſponnen war. Dann
trugen ſie dieſen vorſichtig in den Keller. Hier ſollte er ſtehen, bis
er ſich geklärt haben würde. Dann wollten ſie ihn in Flaſchen ab⸗
fullen, gut verkorken, verſiegeln und ſachgemaͤß lagern.

„Du wirſt ſehen, Oskar, das gibt einen guten Wein. Und ſo
billig, ſagte ſie befriedigend.

„Die erſte Ilaſche wird geleert, wenn der erſte Sohn erſchtenen
ijt,“ beſtimmte er und zog ſeine Frau zärtlich an ſich.

„Oder die erſte Tochter, verbeſſerte — — —




 
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