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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 1.1921

DOI issue:
Heft 4/5
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Uhde, Wilhelm: Von Bildern und Burgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.62259#0158
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„Ja, aber der 30. ist heute“, meinte Dr. Bagier zögernd.
Ich erschrak und sah nach der Uhr. Wenn man da oben wohnt,
achtet man nicht sehr auf das Datum, — Es ist halb zwei, in einer
halben Stunde beginnt die Vente.“
Wir schwiegen wohl eine Weile. In mir wurden allerlei Er-
innerungen wach. „Die Auktion ist in Saal 1. Wie oft habe ich
dort gesessen, fiebernd, ob ich irgend ein Bild, eine Skulptur, einen
Stoff, die ich liebte, mit meinen geringen Mitteln würde ersteigern
können. Ich weiss, wie es ist, wrenn man dort zusammenkommt,
kenne das Licht, das im Frühjahr um diese Stunde in diesem Raume
ist, fühle den groben roten Stoff der Wandbekleidung, weiss wie die
Bänke und Stühle stehen, sehe das Kommen und Gehen der Diener.
Die eifrigsten Sammler werden jetzt ihre Plätze eingenommen haben.
Leonce Rosenberg leitet die Auktion als Sachverständiger. Vor zehn
Jahren quälte er mich wochenlang, dass ich ihm ein Bild von Picasso
verkaufen möge, eine majestätische Frauengestalt, die mit gefalteten
Händen in einem Stuhle sitzt. Aber gerade von diesem Bilde wollte
ich mich nie trennen. Heute wird er es nun doch erwerben können.
Ein leidenschaftlicher Liebhaber hat Glück und erreicht schliesslich
sein Ziel.“
„Welches Bild liebten Sie am meisten?“
„Vielleicht ist es ein Bild von Rousseau, eine kleine rote Frauen-
figur in einem Frühlingswalde. Ich fand dieses Bild bei einer Wäscherin
eines pariser Vorortes als Ofenschirm vor dem Kamin. Dort hatte
es viele Jahre gestanden und war ganz schwarz geworden. Es war
eine köstliche und zärtliche Stunde als ich es zu Hause reinigte. Ich
hatte es als schmutziges Bettlerkind mit nach Hause genommen und
es entpuppte sich dort als eine Prinzessin. Rousseau hatte damals
noch keine Preise und ich hatte das Bild für vierzig Francs gekauft.
Auch von diesem Bilde habe ich mich nie trennen wollen, und ich
musste immer sehen, andere Bilder zu verkaufen, um dieses und
einige, die ich sehr liebte, behalten zu können.“*)
„Es ist ein schwerer Verlust, den Sie erleiden.“
„Gewiss, in einem vorgerückten Alter ist es keine Kleinigkeit,
alles zu verlieren. Das ist die materielle Seite. Aber sonst: glauben
Sie nicht, dass unser Empfinden sich in vielem geändert hat, dass
das Recht zum Genuss, zum privaten Anhäufen und Auskosten von
schönen Dingen vor unserem neuen Gewissen nicht mehr recht be-
stehen kann? Und dann: in einem gewissen Sinne war meine Sammlung
*) Dieses Bild von Rousseau wurde auf der Vente mit 26 000,— Francs bezahlt.

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