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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 1
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Woolf, Virginia: Joseph Conrad
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0038
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JOSEPH CONRAD
Von
VIRGINIA WOOLF
Immer war um ihn ein Hauch von Geheimnis. Teils war es seine polnische Ab-
stammung, teils seine einprägsame Erscheinung, teils seine Neigung, irgendwo
im Hinterland zu leben, außer Hörweite des Klatsches, außer Reichweite der
Salons, so daß man, um Nachrichten von ihm zu erhalten, auf den Bericht gewöhn-
licher Besucher angewiesen war, die von ihrem unbekannten Gastgeber zu
erzählen wußten, daß er die vollendetsten Umgangsformen habe, die schönsten
Augen, und englisch mit einem betont ausländischen Akzent spreche.
Trotzdem, denn es ist dem Tod gegeben, unser Erinnern zu beflügeln und zu
vervielfältigen, hat das Genie Conrads etwas Einmaliges (und nicht nur Zufälliges),
schwer in Worte zu Fassendes. Sein Ansehen in späteren Jahren war, mit einer
augenfälligen Ausnahme, zweifellos in England das denkbar beste; trotzdem war
er nicht volkstümlich. Er wurde mit leidenschaftlichem Vergnügen von einigen
gelesen; andere ließ er kalt und unbeteiligt. Sein Leserkreis setzte sich zusammen
aus Leuten unterschiedlichsten Alters, unterschiedlicher Neigungen. Vierzehn-
jährige Schuljungen, die sich durch Marryat, Scott, Henty und Dickens durch-
fraßen, verschlangen ihn mit dem Rest; die Gereiften und Verwöhnten dagegen,
die sich im Laufe der Zeit bis zum Herzen der Literatur durchgegessen haben und
nun ein paar köstliche Krümel wieder und wieder umdrehen, räumten Conrad
bewußt einen Platz auf ihrem gepflegten Tisch ein. Eine Quelle der Schwierigkeit
und Ablehnung kann freilich da gefunden werden, wo sie die Menschen immer
gefunden haben, nämlich in seiner Vollendung. Man schlägt eine seiner Seiten
auf und fühlt, was Helen gefühlt haben muß, als sie sich in ihrem Spiegel betrach-
tete und zu der Erkenntnis kam, daß — wie immer sie es anstellen mochte —
sie doch nie und unter keinen Umständen für eine gewöhnliche Frau gehalten
werden könnte. So war Conrad veranlagt, dahin erzog er sich, und solcher Art
war sein Pflichtgefühl gegenüber einer fremden Sprache, die er sich bezeichnender-
weise mehr um ihrer lateinischen als angelsächsischen Eigenschaften willen er-
wählt hatte, daß es ihm unmöglich erschien, einen häßlichen oder belanglosen
Federstrich zu tun. Seine Heldin, sein Stil, sind manchmal ein bißchen langweilig
in den unbewegten Szenen. Laß aber jemanden das Wort an sie richten, wie reißt
sie uns dann mit, wieviel Farbigkeit, Triumph und Größe! Dennoch ist der Ein-
wand berechtigt, Conrad hätte an Ansehen und Beliebtheit gewonnen, wenn er
das, was er zu schreiben hatte, ohne jene nie nachlassende Sorge um die Form
geschrieben hätte. Das hemmt und hängt und lenkt ab, behaupten seine Kritiker,
und verweisen dabei auf jene berühmten Stellen, die man neuerdings, aus dem
Zusammenhang gerissen, nebst anderer Blütenlese englischer Prosa zur Schau zu
stellen pflegt. Er war eingebildet und steif und feierlich, werfen sie ihm vor, und
der Klang seiner eigenen Stimme war ihm teurer als die Stimme der Menschheit
in ihrer Not. Kritik ist billig und ebenso schwer zu widerlegen wie die Einwände
Tauber, wenn Figaro gespielt wird: sie sehen das Orchester; von weit her hören
sie einen undeutlichen Klangfetzen; ihr eigenes Geschwätz wird unterbrochen;

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