Burger-Mütelfeld
Wort selbst ist rheinischen Ursprungs — gäbe als hier. Dem ist nicht so. Eben-
sowenig wie es am Rhein lauter Katholiken gibt, sondern seine Bevölkerung
von Bacharach bis Kleve auch stark mit Protestanten durchsetzt ist, also daß
fast jedes Rheinnest seine zwei Kirchen mit verschiedenem Ritus besitzt. Was
nun die Sentimentalität angeht, so sind die meisten Rheinländer verflucht
nüchterne, gewandte und verschmitzte Gesellen, wie ja auch das Aufnahmever-
mögen des Volkes hier meist
sehr schnell arbeitet und
keiner langen Leitung bedarf.
Und dann hat der rheinische
Mensch gegen eine allzu große
Empfindsamkeit sofort seinen
Spott als Ausgleicher dafür
bei der Hand. Heinrich Heine,
der Düsseldorfer, der mehr
Rheinländer als Jude war,
ist das mustergültige welt-
berühmte Beispiel für diese
Ironie geworden, die immer
ihr Salz und ihren Hohn
auf die noch so gerührte
Stimmung zu streuen oder
als Schwänzchen an sie anzu-
hängen weiß.
Aus dieser Freude an der
Selbstverulkung nun etwa auf
einen Gefühlsmangel oder eine
seelische Oberflächlichkeit des
Rheinländers zu schließen,
wäre grundfalsch. Jeder mag
sein Empfinden äußern, wie
es ihm beliebt. Und wer es
verhüllt oder versteckt, wie
der schottische Edelmann
Macduff im „Macbeth" seine
Tränen in seinem Hut verbirgt,
oder wer es auch unter einer Larve vermummt, der braucht darum nicht
weniger Gemüt zu haben als derjenige, der es vor aller Welt in den Laden
legt. Mir fällt dabei eine Geschichte zur Kennzeichnung des rheinischen
Menschen aus meiner Geburtsstadt Köln ein: Dort hatte ein Vater, ein wohl
geachteter Bürger, seinen einzigen Sohn, an dem er sehr hing, verloren. Zum
Erstaunen vieler Herren erschien er nun nach der Beerdigung seines Jungen
am Abend auf seiner gewohnten Kegelbahn. Er sprach zwar kaum ein Wort.
Aber er schob sämtliche Kugeln mit. Wonach er dann zum Schluß, indem er sich
ein paar Tränen aus der Nase schneuzte, feierlich erklärte: „Irgendwie wird man
sich doch seinen Schmerz über unser menschliches Schicksal austoben dürfen."
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