AMERIKANISCHE COLLEGES
Von
ANDR^ MAUROIS
In Amerika ist die Erziehung eine Religion. Die Reichen machen hier den
Universitäten Schenkungen, wie in anderen Ländern den Kirchen. Als ich in
Yale zu Besuch war, wurde gerade eine Subskription über zwanzig Millionen
Dollar eröffnet, weil der dortige Präsident die Besoldung der Universitäts-
professoren für unzureichend erachtete. In drei Tagen waren achtzehn Millionen
zusammengebracht. Ein früherer Schüler der Universität Dartmouth, der seinen
Namen nicht verraten wollte, überreichte kürzlich der Anstalt einen Scheck
über eine Million Dollar zur Errichtung einer neuen Bibliothek. Ein reicher
Amerikaner kennt keine größere Ehre als die Universität, die ihn gebildet hat,
zu beschenken. Die Überfülle der Schenkungen schafft immer neue Lehr- und
Unterrichtsgebiete und gibt den Schülern vielleicht eine übermäßig große Aus-
wahl an Möglichkeiten. Die Abteilung für dramatische Kunst besitzt in Yale
ein Mustertheater: es ist, was seine Licht- und Kulissenanlage besitzt, das voll-
kommenste der Welt. Eine Besichtigung dieser Anlagen ist äußerst interessant.
Ein großer dramatischer Autor wurde dort herangebildet: Eugen O'Neill;
aber ich dachte, während ich sie bewunderte, an Napoleons Wort: „Es soll
in der Hauptsache Latein und Mathematik unterrichtet werden".
Ja, und das genügt, große Geister zu bilden. „Liebe eine einzige Frau," sagt
John Donne, „und liebe sie nur um einer Sache willen."
*
Dartmouth. Jede Universität hat ihren eigenen Geist; Dartmouth ist wild
und ungebändigt. Das College liegt einsam in Wäldern; es wurde einstmals von
Eleazar Wheelock, einem frommen Mann, auf den letzten Ausläufern der hohen
Berge gegründet, um Indianer zu unterrichten. Eleazar Wheelock zog mit einer
Bibel, einer Trommel und mit fünfhundert Gallonen Rum in die Wildnis. Der
Kriegsruf der Universität: Wah hoo wah! ist ein Indianerschrei. Auf der Wetter-
fahne der neuen Bibliothek, die jetzt fertiggestellt wurde, ist der Indianer Eleazar
abgebildet, er sitzt auf seiner Trommel, und hinter ihm tanzen die Rumfässer
durcheinander.
Die Studenten haben hier einen „outing-club" (Ausflugsklub) gegründet,
sie besitzen zahlreiche Wohnhütten auf den waldigen Hügeln der Umgebung
von Dartmouth und auch noch weiter in den hohen Bergen. Wer sich in den
Klub einträgt, kann eines dieser Holzhäuser für einen oder mehrere Tage reser-
vieren. Man findet dort ein Bett vor, Decken, einen Tisch, einen Stuhl und das
Nötige, um Feuer zu machen.
„Wenn ich abends einmal traurig bin," erzählt mir ein Student, „wenn mich
irgend etwas quält, wenn ich einen unangenehmen Brief von dem Mädchen,
das ich liebe, erhalten habe, oder auch wenn ich einfach das Bedürfnis empfinde
zu philosophieren, dann sage ich zu einem Freund: wir kaufen Schinken, ein
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Von
ANDR^ MAUROIS
In Amerika ist die Erziehung eine Religion. Die Reichen machen hier den
Universitäten Schenkungen, wie in anderen Ländern den Kirchen. Als ich in
Yale zu Besuch war, wurde gerade eine Subskription über zwanzig Millionen
Dollar eröffnet, weil der dortige Präsident die Besoldung der Universitäts-
professoren für unzureichend erachtete. In drei Tagen waren achtzehn Millionen
zusammengebracht. Ein früherer Schüler der Universität Dartmouth, der seinen
Namen nicht verraten wollte, überreichte kürzlich der Anstalt einen Scheck
über eine Million Dollar zur Errichtung einer neuen Bibliothek. Ein reicher
Amerikaner kennt keine größere Ehre als die Universität, die ihn gebildet hat,
zu beschenken. Die Überfülle der Schenkungen schafft immer neue Lehr- und
Unterrichtsgebiete und gibt den Schülern vielleicht eine übermäßig große Aus-
wahl an Möglichkeiten. Die Abteilung für dramatische Kunst besitzt in Yale
ein Mustertheater: es ist, was seine Licht- und Kulissenanlage besitzt, das voll-
kommenste der Welt. Eine Besichtigung dieser Anlagen ist äußerst interessant.
Ein großer dramatischer Autor wurde dort herangebildet: Eugen O'Neill;
aber ich dachte, während ich sie bewunderte, an Napoleons Wort: „Es soll
in der Hauptsache Latein und Mathematik unterrichtet werden".
Ja, und das genügt, große Geister zu bilden. „Liebe eine einzige Frau," sagt
John Donne, „und liebe sie nur um einer Sache willen."
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Dartmouth. Jede Universität hat ihren eigenen Geist; Dartmouth ist wild
und ungebändigt. Das College liegt einsam in Wäldern; es wurde einstmals von
Eleazar Wheelock, einem frommen Mann, auf den letzten Ausläufern der hohen
Berge gegründet, um Indianer zu unterrichten. Eleazar Wheelock zog mit einer
Bibel, einer Trommel und mit fünfhundert Gallonen Rum in die Wildnis. Der
Kriegsruf der Universität: Wah hoo wah! ist ein Indianerschrei. Auf der Wetter-
fahne der neuen Bibliothek, die jetzt fertiggestellt wurde, ist der Indianer Eleazar
abgebildet, er sitzt auf seiner Trommel, und hinter ihm tanzen die Rumfässer
durcheinander.
Die Studenten haben hier einen „outing-club" (Ausflugsklub) gegründet,
sie besitzen zahlreiche Wohnhütten auf den waldigen Hügeln der Umgebung
von Dartmouth und auch noch weiter in den hohen Bergen. Wer sich in den
Klub einträgt, kann eines dieser Holzhäuser für einen oder mehrere Tage reser-
vieren. Man findet dort ein Bett vor, Decken, einen Tisch, einen Stuhl und das
Nötige, um Feuer zu machen.
„Wenn ich abends einmal traurig bin," erzählt mir ein Student, „wenn mich
irgend etwas quält, wenn ich einen unangenehmen Brief von dem Mädchen,
das ich liebe, erhalten habe, oder auch wenn ich einfach das Bedürfnis empfinde
zu philosophieren, dann sage ich zu einem Freund: wir kaufen Schinken, ein
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