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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0200
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Carows Lachbühne am Weinbergsweg
Von
H. v. Wedderkop.
Geadelt durch einen Hinweis von Heinrich Mann, füllt diese neueste
Sensationsbühne Berlins nunmehr neben dem vertrauten nördlichen, auch das
westliche Publikum, und zwar wie Herr Carow, Eigentümer, Schauspieler,
Manager von der Rampe aus versicherte, ist das Theater nunmehr dreißig
Prozent westlich, ohne daß deshalb etwa sein Charakter gelitten hätte. Der
Charakter besteht zunächst einmal in einer höchst sozialen Hitze, Engheit,
Sauerstoffmangel infolge einer beispiellosen Ueberfüllung, und, was das Geistige
anbelangt, in einem restlosen Konservativismus, über den sich radikal orientierte
Leute vielleicht ärgern mögen, den abzuleugnen aber kein Mensch imstande ist.
Denn dieser Konservativismus scheint, wie man feststellt, nicht nur nicht dem
Hause fremd, sondern vielmehr sein eigentliches Element zu sein. Alte längst
vergessene Lieder aus der Jäger- und Behrenstraße, wie z. B.: „Wenn man
dreißig ist und vierzig ist und fünfzig ist und allein noch der Wein schmeckt"
ertönen wieder. Der alte Typus Komiker in Gestalt des Herrn Leo Länglich,
und der Knödeltenor von Herrn Ossi Schubert treten auf, und vor allem ein
Hundetheater, wie man es vor fünfzig Jahren auf den Jahrmärkten der Provinz
sah. Das sind so die Attraktionen, die anscheinend ein Berliner Theater braucht,
um wahrhaft zugkräftig zu sein. Das sind indessen nur die Vorbereitungen zu
den Familiendramen, in denen entweder Herr oder Frau Carow die Hauptrolle
spielen. Zweifellos ist Herr Carow populärer, wenn er auftritt, ertönen Lach-
salven, wie man sie seit dem Gebrüder-Herrnfeld-Theater nicht mehr gehört hat.
Aber nicht nur aus Courtoisie, sondern aus rein künstlerischen Gründen möchte
ich der Heimrevue, in der, von vier Liebhabern umgeben, Frau Carow die
Hauptrolle spielt, den Vorzug geben. Schon wegen des zauberhaften Milieus,
in das sie einen Blick tun läßt: Schwellsofa, Schwellkissen, Gold, leichte ver-
führerische Farben, sie als Mittelpunkt, begehrt von vier Kavalieren, einer kann
nicht mehr, ein zweiter ist exotisch, ein dritter ist etwas homo und der vierte
sehr gesund, aber leider ungewandt: „weil wir ja ganz mondäne Menschen sind"
wird da z. B. gesungen. Madame Olala, gewandt und verführerisch, bleibt in
allen Situationen echt gesellschaftlich. Dieses Stimmungsbild eines nördlichen
Salons erinnert am allermeisten an Herrnfeld-Zeiten. Die geniale Komik von
Herrn Carow schlägt natürlich mehr ein, ist indes für meinen Geschmack ein
etwas zu bewußtes Volksstück, der Wirklichkeit nicht mit so viel Liebe abge-
lauscht wie der nördliche Salon.
Das Ganze hat von wegen der Länge etwa das Weihevolle von Bayreuther
Wagner-Aufführungen (mit denen es übrigens die Ausstattungsprinzipien ge-
meinsam hat). Man beginnt um 7 Uhr, endigt dafür aber erst um 1 Uhr. Hat
man diese herrlichen und niemals durch stumpfsinnige Probleme langweilenden
Darbietungen hinter sich, so ist es ohne weiteres klar, daß zeitliche Ausdehnung
und jeglicher Mangel an Ueberhetzung dasjenige ist, was im Grunde der Ber-

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