Denn mag in den Geishavierteln und im Yoschiwara vor sich gehen was will, das
ist durch Tradition geheiligtes alteingesessenes Laster; das Treiben der Taxi-
tänzerinnen aber ist importiert und gilt — wie alles Importierte übrigens, seien
es „gefährliche Gedanken", russische Filme oder Kameras mit lichtstarken
Objektiven — als gefährlich. Außerdem besteht in Japan die Vorschrift, daß
Festgenommene zum Zweck ihrer Vernehmung auf dem Polizeirevier die Kleider
ausziehen und eine Art dünnen Morgenrocks anlegen müssen; und dabei kommt
der japanische Schupo, der in seinen Reihen ja noch mehr Schnüffler, Sadisten und
sonstige Genießer zählt als der Polizeimann anderer Gegenden, auf seine Kosten.
Mit geradezu amerikanischem „pep" brechen Kriminalpolizisten zu verdächtigen
Liebespaaren in die Zimmer, verhauen die Galane und verhaften die Mädchen,
hängen sich an Autos, in denen „joy rides" unternommen werden, legen sich unter
die Bänke im Tiergarten von Tokio und komportieren sich überhaupt auf die
zivilisierteste Art von der Welt.
So eine Taxitänzerin ist allerdings auch nicht immer ein Engel. In einem Tanz-
palast des Akasaka-Viertels kannte ich eine Tänzerin aus Osaka, die besonders
wegen ihres ruhigen Benehmens und ihrer vornehmen einheimischen Kleidung
beliebt war. Aber eines Tages betrat ein Fremder das Lokal, ein junger sympa-
thischer Mensch, sah die Tänzerin, lief auf sie zu, warf ihr eine Handvoll Tanz-
tickets ins Gesicht und rief: „So, da steckst du, kleiner Teufel!" Und: „Nachdem
du mich ausgepreßt und ausgesogen hast, dachtest du, du brauchtest mich nicht
mehr! -" Den Umstehenden erzählte er, sie wären Mann und Frau ge-
wesen, und sie hätte, nachdem sie sein ganzes Geld ausgegeben, ihn verlassen, in-
dem sie alles Wertvolle mitgenommen habe, was es im Haus noch gab. Das
Mädchen erklärte weinend, sie kenne den Mann gar nicht, und schon nahm man
Partei für sie und ereiferte sich gegen den Mann. Der meinte aber: „Gut, dann
komm auf die Polizeiwache mit mir. Da wird man dich ausziehen und wird unter
deiner Brust eintätowiert meine Initialen finden. Stimmt das?" — Es stimmte.
Bei der Tätowierung fällt mir ein, daß die Mädchen von Osaka in mancher Be-
ziehung ihren Schwestern von Tokio weit voraus sind. Osaka ist Handelszentrum;
die Einwohner lebten patrizierhaft und erzogen die Töchter auf das strengste.
Daher ist auch die Reaktion darauf heftiger als bei der Tokioterin, die schon
immer etwas mehr Freiheit genossen hatte. Die Osakaiterinnen (ich glaube, so
muß man sie nennen) tätowieren sich z. B. den Namen des geliebten Filmhelden
auf die Brust. In einer Mädchenschule stellte sich bei einer ärztlichen Unter-
suchung heraus, daß ganze Klassen auf den durch Haarwellen verdeckten Ohr-
läppchen geheime Vereinszeichen eintätowiert trugen, oder Herzen oder sonstige
Symbole. Bei einer Razzia faßte man in einem Tanzlokal eine Achtzehnjährige,
deren ganzer Körper mit riesigen roten Päonien tätowiert war, die sich um einen
Spruch wanden: So lang noch ein Funke Leben in mir ist.
Brauche ich keine guten Ratschläge !
Die einzige Großstadtjapanerin, die heute echt japanisch gekleidet geht, sich
japanisch bewegt und benimmt, ist die Geisha. Man behauptet, etwas groß-
sprecherisch, sie wäre die Trägerin der japanischen Kultur. Aber gegen das Ge-
rede von Kulturträgern ist man ja einigermaßen skeptisch geworden, und so wollen
wir nur behaupten, daß die Geisha das Leben, das Straßenbild, das Vergnügen,
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ist durch Tradition geheiligtes alteingesessenes Laster; das Treiben der Taxi-
tänzerinnen aber ist importiert und gilt — wie alles Importierte übrigens, seien
es „gefährliche Gedanken", russische Filme oder Kameras mit lichtstarken
Objektiven — als gefährlich. Außerdem besteht in Japan die Vorschrift, daß
Festgenommene zum Zweck ihrer Vernehmung auf dem Polizeirevier die Kleider
ausziehen und eine Art dünnen Morgenrocks anlegen müssen; und dabei kommt
der japanische Schupo, der in seinen Reihen ja noch mehr Schnüffler, Sadisten und
sonstige Genießer zählt als der Polizeimann anderer Gegenden, auf seine Kosten.
Mit geradezu amerikanischem „pep" brechen Kriminalpolizisten zu verdächtigen
Liebespaaren in die Zimmer, verhauen die Galane und verhaften die Mädchen,
hängen sich an Autos, in denen „joy rides" unternommen werden, legen sich unter
die Bänke im Tiergarten von Tokio und komportieren sich überhaupt auf die
zivilisierteste Art von der Welt.
So eine Taxitänzerin ist allerdings auch nicht immer ein Engel. In einem Tanz-
palast des Akasaka-Viertels kannte ich eine Tänzerin aus Osaka, die besonders
wegen ihres ruhigen Benehmens und ihrer vornehmen einheimischen Kleidung
beliebt war. Aber eines Tages betrat ein Fremder das Lokal, ein junger sympa-
thischer Mensch, sah die Tänzerin, lief auf sie zu, warf ihr eine Handvoll Tanz-
tickets ins Gesicht und rief: „So, da steckst du, kleiner Teufel!" Und: „Nachdem
du mich ausgepreßt und ausgesogen hast, dachtest du, du brauchtest mich nicht
mehr! -" Den Umstehenden erzählte er, sie wären Mann und Frau ge-
wesen, und sie hätte, nachdem sie sein ganzes Geld ausgegeben, ihn verlassen, in-
dem sie alles Wertvolle mitgenommen habe, was es im Haus noch gab. Das
Mädchen erklärte weinend, sie kenne den Mann gar nicht, und schon nahm man
Partei für sie und ereiferte sich gegen den Mann. Der meinte aber: „Gut, dann
komm auf die Polizeiwache mit mir. Da wird man dich ausziehen und wird unter
deiner Brust eintätowiert meine Initialen finden. Stimmt das?" — Es stimmte.
Bei der Tätowierung fällt mir ein, daß die Mädchen von Osaka in mancher Be-
ziehung ihren Schwestern von Tokio weit voraus sind. Osaka ist Handelszentrum;
die Einwohner lebten patrizierhaft und erzogen die Töchter auf das strengste.
Daher ist auch die Reaktion darauf heftiger als bei der Tokioterin, die schon
immer etwas mehr Freiheit genossen hatte. Die Osakaiterinnen (ich glaube, so
muß man sie nennen) tätowieren sich z. B. den Namen des geliebten Filmhelden
auf die Brust. In einer Mädchenschule stellte sich bei einer ärztlichen Unter-
suchung heraus, daß ganze Klassen auf den durch Haarwellen verdeckten Ohr-
läppchen geheime Vereinszeichen eintätowiert trugen, oder Herzen oder sonstige
Symbole. Bei einer Razzia faßte man in einem Tanzlokal eine Achtzehnjährige,
deren ganzer Körper mit riesigen roten Päonien tätowiert war, die sich um einen
Spruch wanden: So lang noch ein Funke Leben in mir ist.
Brauche ich keine guten Ratschläge !
Die einzige Großstadtjapanerin, die heute echt japanisch gekleidet geht, sich
japanisch bewegt und benimmt, ist die Geisha. Man behauptet, etwas groß-
sprecherisch, sie wäre die Trägerin der japanischen Kultur. Aber gegen das Ge-
rede von Kulturträgern ist man ja einigermaßen skeptisch geworden, und so wollen
wir nur behaupten, daß die Geisha das Leben, das Straßenbild, das Vergnügen,
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