Irmgard v. Reppert
MUSIK IN AMERIKA
Von
MARC BLITZSTEIN
MUSIKER. PUNKT l. Man hat mich zur Tonfilmproduktion nach Camden,
New Jersey, mitgenommen. Es ist August 1928, das erste Jahr der organi-
sierten Tonfilme. Die großen Gesellschaften — Paramount, First National, Fox,
Metro-Goldwyn-Mayer — haben noch keine Spezialstudios für Synchronisie-
rungseffekte gebaut; sie sind nach Camden gezogen, dem Quartier der
Victor-Phonograph-Company, und benutzen deren Anlagen. Sie haben eine ver-
lassene Kirche okkupiert und sie als provisorisches Laboratorium eingerichtet.
Sechzig Musiker sitzen im Halbkreis, der Dirigent steht vor ihnen. Am Ende des
langen Chorganges ist eine Wand, auf die das Bild projiziert wird, das vertont
werden soll. (Dies ist nämlich keine richtige „talkie"-Fabrikation, sondern ein
Verfahren, das zu stummen Filmen eine Musik-Begleitung produziert.) Es ist
Hochsommer und eine gräßliche Hitze; die Männer haben ihre Röcke abgelegt
und sitzen schwitzend in Hemdsärmeln. Dieses Orchester ist bestimmt das hervor-
ragendste Musik-Instrument auf der ganzen Welt. Es setzt sich aus der Elite
zusammen, eine erstklassige Auswahl aus den besten Symphonieorchestern der
Vereinigten Staaten — aus Philadelphia, New York, Boston, Chicago, San Fran-
cisco, Detroit —, die alle ausgesprochen reich sind und wertvollere Kräfte be-
zahlen können als die meisten europäischen Orchester. Die Musiker haben jetzt
Sommerferien und verdienen durch diese Extra-Beschäftigung unglaubliche
Summen. Sicherlich hat noch kein Orchestermitglied jemals ein solches Honorar
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