DIE NEGERJUDEN NEW YORKS
Von
D. GEST
Fast alle Rassen und Sekten der Welt sind in dem weiten Schoße New Yorks
vertreten. Trotzdem ist die Tatsache überraschend, daß Harlem, das „Klein-
Afrika" dieser großen Stadt, ein bißchen Abessinien einschließt und in diesem
Negersekten, von denen die eine ein Mischmasch zwischen jüdischer und christ-
licher Religion darstellt, während zwei andere absolut nach den Religionsriten
des orthodoxen Judentums leben. Ein jüdischer Fleischer berichtete die Tatsache
Herrn Chapiro, einem jüdischen Kaufmann, der sie der „New York Sun" mit-
teilte. Karl Helm wurde auf Reportage ausgeschickt und nahm W. B. Seabrook,
den Autor von „The Magic Island", das sich mit der Religion der Haiti-Neger
eingehend befaßt, mit auf seinen Forschungsgang. Der Führer brachte die beiden
zu einem alten Ziegelsteinbau, dessen Front ein kleines Schild mit der Aufschrift
zeigte: „Die den göttlichen Vorschriften folgen. Heilige Kirche des lebendigen
Gottes. Pfeiler und Grund der Wahrheit. Gottesdienst Freitag, Sonnabend,
Sonntag. Bischof A. W. Matthews." Im Innern wartete eine kleine Gemeinde.
Die neugierigen Männer sahen ein Klavier, auf dessen Deckel mehrere Tamburine,
ein Triangel, ein paar Messingzimbeln und eine Gitarre lagen. Hinter dem Betpult
stand eine weitere Gitarre und auf einem Tisch davor noch ein Saxophon. „Diese
Instrumente spielen sie", sagte Herr Chapiro. „Sonderbar!" — „Gar nicht
sonderbar", sagte Mr. Seabrook. „Sie haben ein biblisches Recht auf diese
Instrumente. Was spielte denn König David, als er vor der Bundeslade tanzte?"
„Das Kynor", sagte Mr. Chapiro, „ist unser Saxophon, die Gitarre das ,Newel',
das Tamburin dagegen das biblische ,Tupim', wie die hebräischen Bezeichnungen
für diese Instrumente lauten."
An einer Wand stand das hebräische Alphabet. Bischof Matthews unterrichtet
im Laufe der Woche im Hebräischen. Nicht weit davon war der Davidsschild,
die zwei übereinandergelegten Dreiecke mit einer hebräischen Inschrift. Dann die
zehn Gebote, voll ausgeschrieben. Auf einer schwarzen Wandtafel stand in un-
mißverständlichem Englisch „175 Dollar sofort benötigt". Auf einem andern
ein Plakat „Harret auf die Ausgießung des heiligen Geistes, die zu Pfingsten kam",
eine andere Inschrift „Völker, bereitet euch vor, dem Herrn entgegenzuziehen",
„Von Jesus kommt das Heil". Ein Fenster in der Rückwand zeigte in bemaltem
Glas das Kreuz und die Krone Christi.
„Diese Gemeinde", erklärte Mr. Chapiro, „ist die liberalste der drei. Sie er-
kennen Jesus an. Manche unter ihnen als Prophet im Range von Moses, andere,
glaube ich, schreiben ihm Göttlichkeit zu. Sie glauben, daß sie die wahren, ur-
sprünglichen Söhne Israels aus dem Stamme Juda sind, während nach ihrer
Meinung alle weißen Juden den zehn verlorengegangenen Stämmen angehören."
„Ohne Zweifel haben sie eine begründete Basis für den Glauben, von hebrä-
ischer Abstammung zu sein, da sie doch Abessinier sind", sagte Mr. Seabrook.
„Gewiß, das sind sie", antwortete Mr. Chapiro.
„In dem biblischen Bericht von dem Besuch der Königin von Saba bei König
Salomon", fuhr Mr. Seabrook fort, „ist gesagt, daß sie eine Äthiopierin war."
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D. GEST
Fast alle Rassen und Sekten der Welt sind in dem weiten Schoße New Yorks
vertreten. Trotzdem ist die Tatsache überraschend, daß Harlem, das „Klein-
Afrika" dieser großen Stadt, ein bißchen Abessinien einschließt und in diesem
Negersekten, von denen die eine ein Mischmasch zwischen jüdischer und christ-
licher Religion darstellt, während zwei andere absolut nach den Religionsriten
des orthodoxen Judentums leben. Ein jüdischer Fleischer berichtete die Tatsache
Herrn Chapiro, einem jüdischen Kaufmann, der sie der „New York Sun" mit-
teilte. Karl Helm wurde auf Reportage ausgeschickt und nahm W. B. Seabrook,
den Autor von „The Magic Island", das sich mit der Religion der Haiti-Neger
eingehend befaßt, mit auf seinen Forschungsgang. Der Führer brachte die beiden
zu einem alten Ziegelsteinbau, dessen Front ein kleines Schild mit der Aufschrift
zeigte: „Die den göttlichen Vorschriften folgen. Heilige Kirche des lebendigen
Gottes. Pfeiler und Grund der Wahrheit. Gottesdienst Freitag, Sonnabend,
Sonntag. Bischof A. W. Matthews." Im Innern wartete eine kleine Gemeinde.
Die neugierigen Männer sahen ein Klavier, auf dessen Deckel mehrere Tamburine,
ein Triangel, ein paar Messingzimbeln und eine Gitarre lagen. Hinter dem Betpult
stand eine weitere Gitarre und auf einem Tisch davor noch ein Saxophon. „Diese
Instrumente spielen sie", sagte Herr Chapiro. „Sonderbar!" — „Gar nicht
sonderbar", sagte Mr. Seabrook. „Sie haben ein biblisches Recht auf diese
Instrumente. Was spielte denn König David, als er vor der Bundeslade tanzte?"
„Das Kynor", sagte Mr. Chapiro, „ist unser Saxophon, die Gitarre das ,Newel',
das Tamburin dagegen das biblische ,Tupim', wie die hebräischen Bezeichnungen
für diese Instrumente lauten."
An einer Wand stand das hebräische Alphabet. Bischof Matthews unterrichtet
im Laufe der Woche im Hebräischen. Nicht weit davon war der Davidsschild,
die zwei übereinandergelegten Dreiecke mit einer hebräischen Inschrift. Dann die
zehn Gebote, voll ausgeschrieben. Auf einer schwarzen Wandtafel stand in un-
mißverständlichem Englisch „175 Dollar sofort benötigt". Auf einem andern
ein Plakat „Harret auf die Ausgießung des heiligen Geistes, die zu Pfingsten kam",
eine andere Inschrift „Völker, bereitet euch vor, dem Herrn entgegenzuziehen",
„Von Jesus kommt das Heil". Ein Fenster in der Rückwand zeigte in bemaltem
Glas das Kreuz und die Krone Christi.
„Diese Gemeinde", erklärte Mr. Chapiro, „ist die liberalste der drei. Sie er-
kennen Jesus an. Manche unter ihnen als Prophet im Range von Moses, andere,
glaube ich, schreiben ihm Göttlichkeit zu. Sie glauben, daß sie die wahren, ur-
sprünglichen Söhne Israels aus dem Stamme Juda sind, während nach ihrer
Meinung alle weißen Juden den zehn verlorengegangenen Stämmen angehören."
„Ohne Zweifel haben sie eine begründete Basis für den Glauben, von hebrä-
ischer Abstammung zu sein, da sie doch Abessinier sind", sagte Mr. Seabrook.
„Gewiß, das sind sie", antwortete Mr. Chapiro.
„In dem biblischen Bericht von dem Besuch der Königin von Saba bei König
Salomon", fuhr Mr. Seabrook fort, „ist gesagt, daß sie eine Äthiopierin war."
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