sehen sollen. 75 000 Menschen in einer großen
Arena sind auch kein alltäglicher Anblick, und
so bekam man wenigstens etwas für sein Geld.
Als wir das Stadion verließen und den
kleinen Zeitungsjungen, den Stimmungs-
barometern Amerikas, das Resultat mitteilten,
sprangen sie in die Luft, hoben ihre Hände,
und riefen: „Schmelling, Schmelling!" Wir
dämpften ihre Freude durch Einzelheiten.
Popularität ist, wie jeder weiß, eine sehr leicht
variable Größe. Man muß sie hegen und ver-
suchen, ihre Wurzeln zu ergründen, um sie
nähren zu können. Urteilen Sie selbst, was mit
Schmelings Popularität getan wurde.
Ganz New York wartete mit großer
Spannung darauf, Schmeling als den zweiten
Dempsey, den neuen Liebling, auf den himmel-
hohen Schild amerikanischer Volksgunst zu
heben. Mit jeder Sekunde vor dem fight stieg
seine Popularität. „Der Herr Maxie" wurde
allmählich „Our Max" („Maehks). Als Sharkey,
der schon immer unbeliebt war, weil er sich
nicht beherrschen kann, mit einer amerika-
nischen Flagge um die Schultern im Ring
erschien, schwoll das leise „Buuhh — buuhh"-
Geschrei, das ihn begrüßte, zu einem wahren
Orkan an. Da war also die Glut der Begei-
sterung einer unabsehbaren Menge, die nur
darauf wartete, daß „the black Uhlan" mit ein
Rudolf Großmann
paar schneidigen Angriffen hineinblies, um zu einem Riesenfeuer aufzuflammen
und Sharkey moralisch zu erledigen. Statt dessen ein nervöser, überaus vor-
sichtiger Schmeling, der sich geduldig ins Gesicht schlagen ließ, und der schließlich
in der vierten Runde bereits langsam, ganz langsam mit verzerrtem Gesicht
auf den Boden sinkt und sich den Bauch hält. Was sollte die arme Popularität
da machen? Sie kann noch so festgewurzelt sein, noch so gerecht und fair, sie
erhält einen Riß. Heute wissen wir längst alles. Wir haben gehört, daß die
ganze Passivität während der ersten Runden programmäßig war. Ich bin sicher,
daß der Boxexpert schon während des Kampfes dachte: Taktik, ick hör' dir
loofen. Jedoch die Masse, die nun einmal das Publikum eines Massenschauspiels
ausmacht und dafür bezahlt, hört keine Taktik „loofen". Aber sie sieht einen
Kämpfer, der nicht kämpft.
Die Amerikaner sind ihren Favoriten ungewöhnlich treu. Siehe Lindbergh,
Dempsey und viele andere. Sie kennen keine Mißgunst. Sie sind ungewöhnlich
fair gegen Schmeling, the fighter from the fatherland, gewesen. Sie haben gesagt:
Das war nicht viel, was er gezeigt hat. Aber er hat Pech gehabt. Let's give him
another chance. Welches war seine zweite Chance? Ich kann deutlicli die Ueber-
Schriften in den Zeitungen vor mir sehen, wie sie gelautet hätten: „Max lehnt
Titel ab. Verlangt zweiten Kampf im September." Die ersten Runden des
Sharkey-Kampfes wären vergessen gewesen, der foul wäre vergessen worden.
„Herr Max" wäre endgültig „Our Maxie" geworden. Darüber besteht nicht der
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Arena sind auch kein alltäglicher Anblick, und
so bekam man wenigstens etwas für sein Geld.
Als wir das Stadion verließen und den
kleinen Zeitungsjungen, den Stimmungs-
barometern Amerikas, das Resultat mitteilten,
sprangen sie in die Luft, hoben ihre Hände,
und riefen: „Schmelling, Schmelling!" Wir
dämpften ihre Freude durch Einzelheiten.
Popularität ist, wie jeder weiß, eine sehr leicht
variable Größe. Man muß sie hegen und ver-
suchen, ihre Wurzeln zu ergründen, um sie
nähren zu können. Urteilen Sie selbst, was mit
Schmelings Popularität getan wurde.
Ganz New York wartete mit großer
Spannung darauf, Schmeling als den zweiten
Dempsey, den neuen Liebling, auf den himmel-
hohen Schild amerikanischer Volksgunst zu
heben. Mit jeder Sekunde vor dem fight stieg
seine Popularität. „Der Herr Maxie" wurde
allmählich „Our Max" („Maehks). Als Sharkey,
der schon immer unbeliebt war, weil er sich
nicht beherrschen kann, mit einer amerika-
nischen Flagge um die Schultern im Ring
erschien, schwoll das leise „Buuhh — buuhh"-
Geschrei, das ihn begrüßte, zu einem wahren
Orkan an. Da war also die Glut der Begei-
sterung einer unabsehbaren Menge, die nur
darauf wartete, daß „the black Uhlan" mit ein
Rudolf Großmann
paar schneidigen Angriffen hineinblies, um zu einem Riesenfeuer aufzuflammen
und Sharkey moralisch zu erledigen. Statt dessen ein nervöser, überaus vor-
sichtiger Schmeling, der sich geduldig ins Gesicht schlagen ließ, und der schließlich
in der vierten Runde bereits langsam, ganz langsam mit verzerrtem Gesicht
auf den Boden sinkt und sich den Bauch hält. Was sollte die arme Popularität
da machen? Sie kann noch so festgewurzelt sein, noch so gerecht und fair, sie
erhält einen Riß. Heute wissen wir längst alles. Wir haben gehört, daß die
ganze Passivität während der ersten Runden programmäßig war. Ich bin sicher,
daß der Boxexpert schon während des Kampfes dachte: Taktik, ick hör' dir
loofen. Jedoch die Masse, die nun einmal das Publikum eines Massenschauspiels
ausmacht und dafür bezahlt, hört keine Taktik „loofen". Aber sie sieht einen
Kämpfer, der nicht kämpft.
Die Amerikaner sind ihren Favoriten ungewöhnlich treu. Siehe Lindbergh,
Dempsey und viele andere. Sie kennen keine Mißgunst. Sie sind ungewöhnlich
fair gegen Schmeling, the fighter from the fatherland, gewesen. Sie haben gesagt:
Das war nicht viel, was er gezeigt hat. Aber er hat Pech gehabt. Let's give him
another chance. Welches war seine zweite Chance? Ich kann deutlicli die Ueber-
Schriften in den Zeitungen vor mir sehen, wie sie gelautet hätten: „Max lehnt
Titel ab. Verlangt zweiten Kampf im September." Die ersten Runden des
Sharkey-Kampfes wären vergessen gewesen, der foul wäre vergessen worden.
„Herr Max" wäre endgültig „Our Maxie" geworden. Darüber besteht nicht der
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