Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

DOI issue:
Heft 1
DOI article:
Dowson, Tom: Der Sonntag in London
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0080
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Jules Magon

Während der Saison wird an jedem dritten Sonntagnachmittag ein merk-
würdiges Vergnügen veranstaltet für eine kleine Clique Anspruchsvoller, genannt
Film-Gesellschaft. Die modernsten Filme werden vorgeführt, besonders deutsche,
russische und verbotene, auch ausgezeichnete Naturfilme und ganz primitive,
die die Kunst noch in ihrem unvollkommenen Anfangsstadium zeigen. Aber die
Mitglieder der Gesellschaft selbst sind viel amüsanter. Man kann Damen mit
schweren Ohrgehängen und mittelvictorianischen Frisuren sehen, wie man sie
jetzt wieder trägt. Und Männer (größtenteils „Tapetten") mit karmesinroten,
schwarzen, smaragdgrünen und orangefarbenen Hemden, die die längsten Ziga-
rettenspitzen von ganz London im Mund haben.
Es gibt natürlich unter anderem
auch Privat-Gesellschaften, die aber
nicht immer so amüsant sind, wie
man erwarten könnte, besonders,
wenn zu viele Schauspieler oder
Bloomsburiten dabei sind. Schau-
spieler können nur über sich selber
reden, und aus Bloomsbury kommt
eine trostlose Sorte von hyperintellek-
tuellen Journalisten, die in einer so
engstirnigen Manier über Kunst
schwatzen, wie es normale Menschen
nicht tun.
Wahrhaftig: das Beste, was man
Sonntags mit London anfangen kann,
ist, ihm den Rücken zu kehren. Im
Auto z. B., aber die Straßen sind so
überfüllt, daß der Verkehr bald
völlig unmöglich sein wird, wenn
nicht bald neue Untergrundbahn-
linien eröffnet werden. Und wohin
fährt der Londoner? Nach Oxford,
Thame, Hudley, Virginia Water —
alles Orte im Themse-Tal; oder nach
Eastbourne, Worthing, Brighton,
Hastings, die an der Südküste liegen. athend und Margate an der Ostküste
sind weniger elegant, aber ebenso populär. Sehr hübsch kann man den Sonntag
verbringen, wenn man den Zug nach Maidenhead nimmt und dann die
Themse im Boot hinabfährt bis Henley und wieder zurück. Dieser Teil
des Ufers ist ganz reizend und nicht so überlaufen. In Maidenhead kann man
in dem hervorragenden, wenn auch etwas teuren ungarischen Restaurant
dinieren und im Freien tanzen auf einer von unten beleuchteten Glasfläche —

und alles strömt über von Jugend (?), Liebe, Lachen und schimmerndem Licht.
Der erfahrene Londoner fährt von diesem fröhlichen Fleckchen nicht im Auto
nach Hause, denn zu dieser Nachtzeit sind viele Fahrer ein bißchen beschwipst.
Ein nüchterner Zug ist der sicherere Weg.

38
 
Annotationen