teilte ihn die Cour d'Appel am 27. August 1873 zu zwei Jahren Gefängnis, die im
Strafgefängnis von Mons zu verbüßen waren.
Über die Haftzeit selbst teilen die verblaßten Dokumente der Gefängnis-
verwaltung verschiedenes mit. Einer der damaligen Oberbeamten schrieb in
das Register des Strafgefangenen — Paul Verlaine, geboren in Metz am 30.
März 1844, von Beruf Magistratsbeamter in Paris, verheiratet — folgende
Kennzeichnung: „Sa conduite fut reguliere, sa moralite bonne, mais son
caractere etait faible."
An gleicher Stelle ist zu lesen, daß sich Victor Hugo für seinen jüngeren Kol-
legen, von dem damals schon die „Poemes Saturniens" veröffentlicht waren, ein-
gesetzt hat. Auf Grund seiner Autorität verschaffte er ihm einige Erleichterungen;
sein Schützling durfte beliebig viel Lesestoff erhalten und war nicht gezwungen,
an der täglichen Arbeit der anderen Gefangenen teilzunehmen.
Noch viele andere Einzelheiten kann man hier erfahren: daß der Strafgefangene
Verlaine sein Mittagessen von außerhalb holen lassen durfte; daß er in den Mo-
naten April, Mai, Juli, Oktober und Dezember 68. — Francs, im Juni, August,
September und November dagegen 76.— Francs, im Januar jedoch nur 70.— Frs.
ausgegeben hatte; daß er bei seiner Überführung nach Mons noch im Besitz von
112.80 Francs gewesen war, und seine Familie ihm im Laufe seiner Gefängniszeit
827.— Francs hatte zukommen lassen; endlich, daß seine Strafe kraft eines Ge-
setzes vom 4. März 1870 auf 446 Tage herabgesetzt wurde, seine Strafzeit am
22. Januar 1875 beendet war, und er an diesem Tag in Gesellschaft einer Anzahl
Diebe und Mörder durch zwei Gendarmen als lästiger Ausländer über die Grenze
abgeschoben wurde. 132,59 Francs hatte der Dichter an diesem Tag in der Tasche
— seine „mässe de sortie".
Ein Trupp Gefangener kommt gerade vorbei; alle haben denselben Blick und
die matten Augen, die jeder bekommt, sobald diese Mauern ihn umschließen. Sie
haben soeben einen „Spaziergang" auf dem Innenhof gemacht; dabei haben sie
wahrscheinlich ihre stieren Blicke nicht auf die Sonne oder in die Luft, sondern
auf die Fenster des Frauengefängnisses gerichtet, in der Hoffnung, eine weibliche
Gestalt erkennen zu können.
Unter den Strafgefangenen von Mons war Verlaine die Nummer 1. Von der
Zelle 1 aus, die im Mittelteil des Gefängnisses liegt, vermag niemand, soviel Mühe
er sich auch gibt, das kleinste Stückchen Himmel zu entdecken. Die Pritsche, die,
gleich nachdem der Gefangene durch den Wärter geweckt worden ist, zusammen-
geklappt werden muß, dient tagsüber als Tisch. Auch zu Verlaines Zeit war diese
Pritsche da, wie der Direktor versichert. Und sollte sie auch durch eine neue
ersetzt worden sein, das Modell ist jedenfalls noch dasselbe. Auch die Luke, durch
die der Gefangene Nummer 1 sein Essen zugeschoben bekam und noch heute
bekommt, ist dieselbe geblieben, wie das Guckloch, durch das er jeden Augenblick,
Tag und Nacht, bespitzelt werden konnte. Viel hat sich in der Menschheits-
geschichte geändert in diesen fünfundfünfzig Jahren, welterschütternde Erfin-
dungen sind gemacht worden, Revolutionen kamen, Kriege haben gewütet. Auf
das Strafgefängnis von Mons haben die Ereignisse nicht die geringste Wirkung
gehabt. Die Zelle Nummer 1 ist in all diesen Jahren unverändert geblieben. An
der einen weißgekalkten Wand hängt hinter Glas ein Blatt mit weisen „Sprüchen
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Strafgefängnis von Mons zu verbüßen waren.
Über die Haftzeit selbst teilen die verblaßten Dokumente der Gefängnis-
verwaltung verschiedenes mit. Einer der damaligen Oberbeamten schrieb in
das Register des Strafgefangenen — Paul Verlaine, geboren in Metz am 30.
März 1844, von Beruf Magistratsbeamter in Paris, verheiratet — folgende
Kennzeichnung: „Sa conduite fut reguliere, sa moralite bonne, mais son
caractere etait faible."
An gleicher Stelle ist zu lesen, daß sich Victor Hugo für seinen jüngeren Kol-
legen, von dem damals schon die „Poemes Saturniens" veröffentlicht waren, ein-
gesetzt hat. Auf Grund seiner Autorität verschaffte er ihm einige Erleichterungen;
sein Schützling durfte beliebig viel Lesestoff erhalten und war nicht gezwungen,
an der täglichen Arbeit der anderen Gefangenen teilzunehmen.
Noch viele andere Einzelheiten kann man hier erfahren: daß der Strafgefangene
Verlaine sein Mittagessen von außerhalb holen lassen durfte; daß er in den Mo-
naten April, Mai, Juli, Oktober und Dezember 68. — Francs, im Juni, August,
September und November dagegen 76.— Francs, im Januar jedoch nur 70.— Frs.
ausgegeben hatte; daß er bei seiner Überführung nach Mons noch im Besitz von
112.80 Francs gewesen war, und seine Familie ihm im Laufe seiner Gefängniszeit
827.— Francs hatte zukommen lassen; endlich, daß seine Strafe kraft eines Ge-
setzes vom 4. März 1870 auf 446 Tage herabgesetzt wurde, seine Strafzeit am
22. Januar 1875 beendet war, und er an diesem Tag in Gesellschaft einer Anzahl
Diebe und Mörder durch zwei Gendarmen als lästiger Ausländer über die Grenze
abgeschoben wurde. 132,59 Francs hatte der Dichter an diesem Tag in der Tasche
— seine „mässe de sortie".
Ein Trupp Gefangener kommt gerade vorbei; alle haben denselben Blick und
die matten Augen, die jeder bekommt, sobald diese Mauern ihn umschließen. Sie
haben soeben einen „Spaziergang" auf dem Innenhof gemacht; dabei haben sie
wahrscheinlich ihre stieren Blicke nicht auf die Sonne oder in die Luft, sondern
auf die Fenster des Frauengefängnisses gerichtet, in der Hoffnung, eine weibliche
Gestalt erkennen zu können.
Unter den Strafgefangenen von Mons war Verlaine die Nummer 1. Von der
Zelle 1 aus, die im Mittelteil des Gefängnisses liegt, vermag niemand, soviel Mühe
er sich auch gibt, das kleinste Stückchen Himmel zu entdecken. Die Pritsche, die,
gleich nachdem der Gefangene durch den Wärter geweckt worden ist, zusammen-
geklappt werden muß, dient tagsüber als Tisch. Auch zu Verlaines Zeit war diese
Pritsche da, wie der Direktor versichert. Und sollte sie auch durch eine neue
ersetzt worden sein, das Modell ist jedenfalls noch dasselbe. Auch die Luke, durch
die der Gefangene Nummer 1 sein Essen zugeschoben bekam und noch heute
bekommt, ist dieselbe geblieben, wie das Guckloch, durch das er jeden Augenblick,
Tag und Nacht, bespitzelt werden konnte. Viel hat sich in der Menschheits-
geschichte geändert in diesen fünfundfünfzig Jahren, welterschütternde Erfin-
dungen sind gemacht worden, Revolutionen kamen, Kriege haben gewütet. Auf
das Strafgefängnis von Mons haben die Ereignisse nicht die geringste Wirkung
gehabt. Die Zelle Nummer 1 ist in all diesen Jahren unverändert geblieben. An
der einen weißgekalkten Wand hängt hinter Glas ein Blatt mit weisen „Sprüchen
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